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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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§. 668.

Diese sämmtlichen Momente der Licht- und Schattengebung treten nun1.
zusammen mit der Linearperspective und es erzeugt sich aus dieser Verbindung
die Luftperspective (vergl. §. 254, 2.). Es unterscheiden sich im Wesentlichen
drei Entfernungsgrade, Vorder-, Mittel- und Hintergrund: ein besonderes,
neben den ästhetischen Werth der dargestellten Gegenstände sich legendes Stufen-
Verhältniß der malerischen Idealität. Die Wohlordnung eines Bildes, wie sie2.
durch diese Vereinigung von Mitteln dem Raumgefühle die Genugthnung klarer
Auseinandersetzung und Zusammenfassung gibt, heißt Haltung.

1. Es ist von der Abdämpfung, den Tönen und dem Gesammtione
überhaupt die Rede gewesen, aber noch nicht von dem besonderen Gesetze,
wornach in dem Grade, in welchem die Gegenstände sich vom Auge des
Zuschauers in die Tiefe hinein entfernen, vermöge der zunehmenden Dich-
tigkeit der Luftschichte Alles sich abdämpft. Wir kommen hiermit auf die
Linearperspective zurück, die mit diesen Trübungsstufen des Luftschleiers
verbunden erst ihre Erfüllung und Ergänzung findet. Es liegt nun in
diesen Verflüchtigungsgraden des Körperlichen mit dem schon zu §. 663
berührten Tempo ihrer drei Hauptstufen, den drei Gründen oder Plänen,
eine eigenthümliche Form ästhetischer Wirkung. Die Raumferne idealisirt
wie die Zeitferne (vergl. §. 380, 1.); das Zurückweichen nimmt den Kör-
pern, den Individuen ihre Erdenschwere, der duftige Schleier führt die
Seele sehnsüchtig in's Weite, in's Unendliche. Die Deutlichkeit und Schärfe
des Nahen dagegen gibt das kräftige Gefühl der geschlossenen Existenz,
der Individualität, der Energie des Daseins, der Wirklichkeit. Im Mit-
telgrunde liegen beide Empfindungen im Gleichgewicht. Was nun die
darzustellenden Gegenstände betrifft, so kommt es auf ihre ästhetische Gel-
tung je nach verschiedenen Zweigen der Malerei an. Liegt, wie in der
Historie und im Genre, der Nachdruck auf den Individuen, so werden
naturgemäß die bedeutenden in das volle Licht und die scharfen Schatten
des Vordergrunds und des näheren Mittelgrunds treten, die unbedeutenderen
sich in den Hintergrund verlieren. Dadurch entsteht kein Widerspruch mit
dem Satze von der idealisirenden Kraft der vereinigten Linien- und Luft-
Perspective. Es handelt sich um zweierlei Formen der Idealität, welche,
obwohl sie sich in entgegengesetzter Linie bewegen, sich wohl miteinander
vertragen. Die Entschiedenheit der Existenz im hellen Strahle des Lichts,
der Schärfe des Umrisses und der Kraft des abhebenden Schattens ist
zugleich Lostrennung vom allgemeinen, individualitätslosen Grunde des
Lebens; dieser muß auch sein Recht haben, wir müssen gemahnt werden,
daß die Existenz mit ihrer Kraft auch die Last und Qual der Endlichkeit

§. 668.

Dieſe ſämmtlichen Momente der Licht- und Schattengebung treten nun1.
zuſammen mit der Linearperſpective und es erzeugt ſich aus dieſer Verbindung
die Luftperſpective (vergl. §. 254, 2.). Es unterſcheiden ſich im Weſentlichen
drei Entfernungsgrade, Vorder-, Mittel- und Hintergrund: ein beſonderes,
neben den äſthetiſchen Werth der dargeſtellten Gegenſtände ſich legendes Stufen-
Verhältniß der maleriſchen Idealität. Die Wohlordnung eines Bildes, wie ſie2.
durch dieſe Vereinigung von Mitteln dem Raumgefühle die Genugthnung klarer
Auseinanderſetzung und Zuſammenfaſſung gibt, heißt Haltung.

1. Es iſt von der Abdämpfung, den Tönen und dem Geſammtione
überhaupt die Rede geweſen, aber noch nicht von dem beſonderen Geſetze,
wornach in dem Grade, in welchem die Gegenſtände ſich vom Auge des
Zuſchauers in die Tiefe hinein entfernen, vermöge der zunehmenden Dich-
tigkeit der Luftſchichte Alles ſich abdämpft. Wir kommen hiermit auf die
Linearperſpective zurück, die mit dieſen Trübungsſtufen des Luftſchleiers
verbunden erſt ihre Erfüllung und Ergänzung findet. Es liegt nun in
dieſen Verflüchtigungsgraden des Körperlichen mit dem ſchon zu §. 663
berührten Tempo ihrer drei Hauptſtufen, den drei Gründen oder Plänen,
eine eigenthümliche Form äſthetiſcher Wirkung. Die Raumferne idealiſirt
wie die Zeitferne (vergl. §. 380, 1.); das Zurückweichen nimmt den Kör-
pern, den Individuen ihre Erdenſchwere, der duftige Schleier führt die
Seele ſehnſüchtig in’s Weite, in’s Unendliche. Die Deutlichkeit und Schärfe
des Nahen dagegen gibt das kräftige Gefühl der geſchloſſenen Exiſtenz,
der Individualität, der Energie des Daſeins, der Wirklichkeit. Im Mit-
telgrunde liegen beide Empfindungen im Gleichgewicht. Was nun die
darzuſtellenden Gegenſtände betrifft, ſo kommt es auf ihre äſthetiſche Gel-
tung je nach verſchiedenen Zweigen der Malerei an. Liegt, wie in der
Hiſtorie und im Genre, der Nachdruck auf den Individuen, ſo werden
naturgemäß die bedeutenden in das volle Licht und die ſcharfen Schatten
des Vordergrunds und des näheren Mittelgrunds treten, die unbedeutenderen
ſich in den Hintergrund verlieren. Dadurch entſteht kein Widerſpruch mit
dem Satze von der idealiſirenden Kraft der vereinigten Linien- und Luft-
Perſpective. Es handelt ſich um zweierlei Formen der Idealität, welche,
obwohl ſie ſich in entgegengeſetzter Linie bewegen, ſich wohl miteinander
vertragen. Die Entſchiedenheit der Exiſtenz im hellen Strahle des Lichts,
der Schärfe des Umriſſes und der Kraft des abhebenden Schattens iſt
zugleich Lostrennung vom allgemeinen, individualitätsloſen Grunde des
Lebens; dieſer muß auch ſein Recht haben, wir müſſen gemahnt werden,
daß die Exiſtenz mit ihrer Kraft auch die Laſt und Qual der Endlichkeit

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[559/0067] §. 668. Dieſe ſämmtlichen Momente der Licht- und Schattengebung treten nun zuſammen mit der Linearperſpective und es erzeugt ſich aus dieſer Verbindung die Luftperſpective (vergl. §. 254, 2.). Es unterſcheiden ſich im Weſentlichen drei Entfernungsgrade, Vorder-, Mittel- und Hintergrund: ein beſonderes, neben den äſthetiſchen Werth der dargeſtellten Gegenſtände ſich legendes Stufen- Verhältniß der maleriſchen Idealität. Die Wohlordnung eines Bildes, wie ſie durch dieſe Vereinigung von Mitteln dem Raumgefühle die Genugthnung klarer Auseinanderſetzung und Zuſammenfaſſung gibt, heißt Haltung. 1. Es iſt von der Abdämpfung, den Tönen und dem Geſammtione überhaupt die Rede geweſen, aber noch nicht von dem beſonderen Geſetze, wornach in dem Grade, in welchem die Gegenſtände ſich vom Auge des Zuſchauers in die Tiefe hinein entfernen, vermöge der zunehmenden Dich- tigkeit der Luftſchichte Alles ſich abdämpft. Wir kommen hiermit auf die Linearperſpective zurück, die mit dieſen Trübungsſtufen des Luftſchleiers verbunden erſt ihre Erfüllung und Ergänzung findet. Es liegt nun in dieſen Verflüchtigungsgraden des Körperlichen mit dem ſchon zu §. 663 berührten Tempo ihrer drei Hauptſtufen, den drei Gründen oder Plänen, eine eigenthümliche Form äſthetiſcher Wirkung. Die Raumferne idealiſirt wie die Zeitferne (vergl. §. 380, 1.); das Zurückweichen nimmt den Kör- pern, den Individuen ihre Erdenſchwere, der duftige Schleier führt die Seele ſehnſüchtig in’s Weite, in’s Unendliche. Die Deutlichkeit und Schärfe des Nahen dagegen gibt das kräftige Gefühl der geſchloſſenen Exiſtenz, der Individualität, der Energie des Daſeins, der Wirklichkeit. Im Mit- telgrunde liegen beide Empfindungen im Gleichgewicht. Was nun die darzuſtellenden Gegenſtände betrifft, ſo kommt es auf ihre äſthetiſche Gel- tung je nach verſchiedenen Zweigen der Malerei an. Liegt, wie in der Hiſtorie und im Genre, der Nachdruck auf den Individuen, ſo werden naturgemäß die bedeutenden in das volle Licht und die ſcharfen Schatten des Vordergrunds und des näheren Mittelgrunds treten, die unbedeutenderen ſich in den Hintergrund verlieren. Dadurch entſteht kein Widerſpruch mit dem Satze von der idealiſirenden Kraft der vereinigten Linien- und Luft- Perſpective. Es handelt ſich um zweierlei Formen der Idealität, welche, obwohl ſie ſich in entgegengeſetzter Linie bewegen, ſich wohl miteinander vertragen. Die Entſchiedenheit der Exiſtenz im hellen Strahle des Lichts, der Schärfe des Umriſſes und der Kraft des abhebenden Schattens iſt zugleich Lostrennung vom allgemeinen, individualitätsloſen Grunde des Lebens; dieſer muß auch ſein Recht haben, wir müſſen gemahnt werden, daß die Exiſtenz mit ihrer Kraft auch die Laſt und Qual der Endlichkeit

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/67>, abgerufen am 25.11.2024.