Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
den Geist durchscheinen lasse, so läßt sie auch ihr Darstellungsmittel nicht
den Geiſt durchſcheinen laſſe, ſo läßt ſie auch ihr Darſtellungsmittel nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0050" n="542"/> den Geiſt durchſcheinen laſſe, ſo läßt ſie auch ihr Darſtellungsmittel nicht<lb/> in ſeiner ungebrochenen Materialität. Die Kohle, das Blei, die Kreide<lb/> gibt mir den Strich nur, indem ihr Korn durch den leichten Druck meiner<lb/> Hand kleine Theile an die Fläche abſetzt, die Farben ſind meiſt ein zerriebe-<lb/> ner und flüſſig aufgelöster Körper. Der Unterſchied des Bindemittels der<lb/> Farbe iſt nun in hohem Grade wichtig; in entfernterem Sinn allerdings<lb/> wiegt auch dieſe Seite des Materials in der Malerei mit, als das plaſtiſche<lb/> Material, aber nothwendig verändert ſich doch der Charakter des<lb/> Scheins, der ſich auf der Fläche ausbreitet, je nachdem das Bindemittel<lb/> durch ſeine Fettigkeit einen volleren Eindruck von Lebenswärme mit ſich<lb/> bringt, oder durch mehr wäſſerigen Charakter kälter wirkt und das Auge<lb/> daher mehr nach der Form als ſolcher hinleitet. Man ſieht nun, wie<lb/> dieß mit der Art der Fläche zuſammenhängt: die Mauerfläche wirkt eben-<lb/> falls kälter und zugleich kann ſie nicht das Bindemittel des Oels in ſich<lb/> aufnehmen, Leinwand und Holz wirkt an ſich wärmer und nimmt zugleich<lb/> dieß Mittel auf. Damit hängt die verſchiedene Art des äußern Verfahrens,<lb/> das wir ſoweit hier anführen, auf’s Engſte zuſammen; wird um der dau-<lb/> erhafteren Bindung willen auf naſſen Kalk (<hi rendition="#aq">al fresco</hi>) gemalt, ſo fordert<lb/> dieß eine Raſchheit der Ausführung, welche ſchon an ſich nicht erlaubt,<lb/> in die Fülle und feinere Einzelheit des erſcheinenden Lebens ſo hineinzu-<lb/> treten, wie es der Oelmaler kann, weil er ſich Zeit laſſen darf. Nur<lb/> unvollkommen kann ſich das Wandgemälde durch das Bindemittel des ein-<lb/> geglühten Wachſes (Enkauſtik) dem wärmeren Glanze nähern, den das<lb/> Staffeleibild durch das des Oels erreicht; die Bindung durch andere<lb/> klebrige Stoffe, Leim, Gummi, Eigelb, Feigenſaft (Tempera) konnte ſchon<lb/> rein techniſch nicht leiſten, was die Bindung mit Oel, weil die Farben zu<lb/> ſchnell trockneten u. ſ. w., aber auch in der äſthetiſchen Wirkung nicht,<lb/> weil ihr nicht nur die tiefere Wärme der Oelfarbe abgeht, ſondern weil<lb/> ſie auch das Verſchmelzen und ſanfte Ueberleiten der Töne und Schat-<lb/> tirungen, das ganze Gebiet der gebrochenen Farbe, das Durchſchimmern<lb/> einer Farbe durch die andere vermittelſt der Laſur entfernt nicht in der<lb/> Vollkommenheit zuläßt, wie dieſe. Aber auch hier können dieſe erſten, allge-<lb/> meinen Bemerkungen nicht weiter fortgeführt werden, theils weil diejenigen<lb/> Momente, welche mit dem innern Geiſte der höheren Kunſt in ſichtbarerem<lb/> Zuſammenhang ſtehen, an den Stellen wieder aufzunehmen ſind, wo von<lb/> dieſem Geiſt, inſofern er Styl-, Zweig- und Schul-Unterſchiede begründet,<lb/> die Rede ſein wird, theils aber, weil die Art der Farbenbindung und Technik<lb/> des Auftrags ebenſo wie die Wahl des Flächenmaterials in eine Vielheit<lb/> und Mannigfaltigkeit zerläuft, welche uns über die Grenzen führen würde.<lb/> Mehreres davon iſt noch im Anhange von der Ziermalerei zu berühren.<lb/> Nur flüchtig erwähnen wir noch zwei Formen, denen das wahre Weſen<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [542/0050]
den Geiſt durchſcheinen laſſe, ſo läßt ſie auch ihr Darſtellungsmittel nicht
in ſeiner ungebrochenen Materialität. Die Kohle, das Blei, die Kreide
gibt mir den Strich nur, indem ihr Korn durch den leichten Druck meiner
Hand kleine Theile an die Fläche abſetzt, die Farben ſind meiſt ein zerriebe-
ner und flüſſig aufgelöster Körper. Der Unterſchied des Bindemittels der
Farbe iſt nun in hohem Grade wichtig; in entfernterem Sinn allerdings
wiegt auch dieſe Seite des Materials in der Malerei mit, als das plaſtiſche
Material, aber nothwendig verändert ſich doch der Charakter des
Scheins, der ſich auf der Fläche ausbreitet, je nachdem das Bindemittel
durch ſeine Fettigkeit einen volleren Eindruck von Lebenswärme mit ſich
bringt, oder durch mehr wäſſerigen Charakter kälter wirkt und das Auge
daher mehr nach der Form als ſolcher hinleitet. Man ſieht nun, wie
dieß mit der Art der Fläche zuſammenhängt: die Mauerfläche wirkt eben-
falls kälter und zugleich kann ſie nicht das Bindemittel des Oels in ſich
aufnehmen, Leinwand und Holz wirkt an ſich wärmer und nimmt zugleich
dieß Mittel auf. Damit hängt die verſchiedene Art des äußern Verfahrens,
das wir ſoweit hier anführen, auf’s Engſte zuſammen; wird um der dau-
erhafteren Bindung willen auf naſſen Kalk (al fresco) gemalt, ſo fordert
dieß eine Raſchheit der Ausführung, welche ſchon an ſich nicht erlaubt,
in die Fülle und feinere Einzelheit des erſcheinenden Lebens ſo hineinzu-
treten, wie es der Oelmaler kann, weil er ſich Zeit laſſen darf. Nur
unvollkommen kann ſich das Wandgemälde durch das Bindemittel des ein-
geglühten Wachſes (Enkauſtik) dem wärmeren Glanze nähern, den das
Staffeleibild durch das des Oels erreicht; die Bindung durch andere
klebrige Stoffe, Leim, Gummi, Eigelb, Feigenſaft (Tempera) konnte ſchon
rein techniſch nicht leiſten, was die Bindung mit Oel, weil die Farben zu
ſchnell trockneten u. ſ. w., aber auch in der äſthetiſchen Wirkung nicht,
weil ihr nicht nur die tiefere Wärme der Oelfarbe abgeht, ſondern weil
ſie auch das Verſchmelzen und ſanfte Ueberleiten der Töne und Schat-
tirungen, das ganze Gebiet der gebrochenen Farbe, das Durchſchimmern
einer Farbe durch die andere vermittelſt der Laſur entfernt nicht in der
Vollkommenheit zuläßt, wie dieſe. Aber auch hier können dieſe erſten, allge-
meinen Bemerkungen nicht weiter fortgeführt werden, theils weil diejenigen
Momente, welche mit dem innern Geiſte der höheren Kunſt in ſichtbarerem
Zuſammenhang ſtehen, an den Stellen wieder aufzunehmen ſind, wo von
dieſem Geiſt, inſofern er Styl-, Zweig- und Schul-Unterſchiede begründet,
die Rede ſein wird, theils aber, weil die Art der Farbenbindung und Technik
des Auftrags ebenſo wie die Wahl des Flächenmaterials in eine Vielheit
und Mannigfaltigkeit zerläuft, welche uns über die Grenzen führen würde.
Mehreres davon iſt noch im Anhange von der Ziermalerei zu berühren.
Nur flüchtig erwähnen wir noch zwei Formen, denen das wahre Weſen
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