Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

auch hier sich geltend macht. Der plastische Styl hat die streng regel-
mäßigen Gärten geschaffen; allerdings äußert sich hier, am massenhaften
Stoffe, das Plastische eigentlich architektonisch, als durchgängige Gemessen-
heit. So waren die Gärten der Alten, so hat in der Zeit des Classicis-
mus der romanische Geschmack der Franzosen den Garten behandelt. Da
im Rokoko neben der abstrakten Regel die Willkühr des Schnörkels herrschte
(vergl. §. 373), so lief dieser Styl in jene bekannten Spielereien, die
den Baum zur Form von Vögeln, Wappen u. s. w. beschnitten, und in
ähnliche Grillen aus. Der malerische Styl wurde dagegen in dem ger-
manischen England geschaffen. Er begann mit einem Ueberschuß, einem
unnatürlichen Suchen des Natürlichen, (künstliche Felsen, Wasserfälle u. dgl.),
einem affectirt chaotischen Häufen des Mannigfaltigen (Tempel, Moscheen,
Einsiedeleien u. s. w.), einem Nachahmen der Landschaftmalerei in ihrer
pathetischen, heroischen Form, zugleich einem Nachahmen bestimmter Natur
(Schweiz, Arkadien u. s. w.), ja einem Uebertritt in die musikalische
Wirkung und die Dichtung, indem er bestimmte Stimmungen und Ideen
hervorrufen wollte. Eine Neigung dazu scheint übrigens schon in den
spätrömischen Villen sich geregt zu haben (Villa des Hadrian). Endlich
legte sich diese Uebersteigerung und kam das einfach Malerische im modernen
englischen Park auf. Uebrigens stehen wir hier im Geschmacksgebiete, wo
die individuelle Neigung gilt. Zieht Jemand den plastischen Styl vor,
wie z. B. Hegel, so ist daher nicht mit ihm zu rechten. Man mag auch
in passenden Uebergängen die beiden Style verbinden.



auch hier ſich geltend macht. Der plaſtiſche Styl hat die ſtreng regel-
mäßigen Gärten geſchaffen; allerdings äußert ſich hier, am maſſenhaften
Stoffe, das Plaſtiſche eigentlich architektoniſch, als durchgängige Gemeſſen-
heit. So waren die Gärten der Alten, ſo hat in der Zeit des Claſſicis-
mus der romaniſche Geſchmack der Franzoſen den Garten behandelt. Da
im Rokoko neben der abſtrakten Regel die Willkühr des Schnörkels herrſchte
(vergl. §. 373), ſo lief dieſer Styl in jene bekannten Spielereien, die
den Baum zur Form von Vögeln, Wappen u. ſ. w. beſchnitten, und in
ähnliche Grillen aus. Der maleriſche Styl wurde dagegen in dem ger-
maniſchen England geſchaffen. Er begann mit einem Ueberſchuß, einem
unnatürlichen Suchen des Natürlichen, (künſtliche Felſen, Waſſerfälle u. dgl.),
einem affectirt chaotiſchen Häufen des Mannigfaltigen (Tempel, Moſcheen,
Einſiedeleien u. ſ. w.), einem Nachahmen der Landſchaftmalerei in ihrer
pathetiſchen, heroiſchen Form, zugleich einem Nachahmen beſtimmter Natur
(Schweiz, Arkadien u. ſ. w.), ja einem Uebertritt in die muſikaliſche
Wirkung und die Dichtung, indem er beſtimmte Stimmungen und Ideen
hervorrufen wollte. Eine Neigung dazu ſcheint übrigens ſchon in den
ſpätrömiſchen Villen ſich geregt zu haben (Villa des Hadrian). Endlich
legte ſich dieſe Ueberſteigerung und kam das einfach Maleriſche im modernen
engliſchen Park auf. Uebrigens ſtehen wir hier im Geſchmacksgebiete, wo
die individuelle Neigung gilt. Zieht Jemand den plaſtiſchen Styl vor,
wie z. B. Hegel, ſo iſt daher nicht mit ihm zu rechten. Man mag auch
in paſſenden Uebergängen die beiden Style verbinden.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0281" n="773"/>
auch hier &#x017F;ich geltend macht. Der pla&#x017F;ti&#x017F;che Styl hat die &#x017F;treng regel-<lb/>
mäßigen Gärten ge&#x017F;chaffen; allerdings äußert &#x017F;ich hier, am ma&#x017F;&#x017F;enhaften<lb/>
Stoffe, das Pla&#x017F;ti&#x017F;che eigentlich architektoni&#x017F;ch, als durchgängige Geme&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit. So waren die Gärten der Alten, &#x017F;o hat in der Zeit des Cla&#x017F;&#x017F;icis-<lb/>
mus der romani&#x017F;che Ge&#x017F;chmack der Franzo&#x017F;en den Garten behandelt. Da<lb/>
im Rokoko neben der ab&#x017F;trakten Regel die Willkühr des Schnörkels herr&#x017F;chte<lb/>
(vergl. §. 373), &#x017F;o lief die&#x017F;er Styl in jene bekannten Spielereien, die<lb/>
den Baum zur Form von Vögeln, Wappen u. &#x017F;. w. be&#x017F;chnitten, und in<lb/>
ähnliche Grillen aus. Der maleri&#x017F;che Styl wurde dagegen in dem ger-<lb/>
mani&#x017F;chen England ge&#x017F;chaffen. Er begann mit einem Ueber&#x017F;chuß, einem<lb/>
unnatürlichen Suchen des Natürlichen, (kün&#x017F;tliche Fel&#x017F;en, Wa&#x017F;&#x017F;erfälle u. dgl.),<lb/>
einem affectirt chaoti&#x017F;chen Häufen des Mannigfaltigen (Tempel, Mo&#x017F;cheen,<lb/>
Ein&#x017F;iedeleien u. &#x017F;. w.), einem Nachahmen der Land&#x017F;chaftmalerei in ihrer<lb/>
patheti&#x017F;chen, heroi&#x017F;chen Form, zugleich einem Nachahmen be&#x017F;timmter Natur<lb/>
(Schweiz, Arkadien u. &#x017F;. w.), ja einem Uebertritt in die mu&#x017F;ikali&#x017F;che<lb/>
Wirkung und die Dichtung, indem er be&#x017F;timmte Stimmungen und Ideen<lb/>
hervorrufen wollte. Eine Neigung dazu &#x017F;cheint übrigens &#x017F;chon in den<lb/>
&#x017F;pätrömi&#x017F;chen Villen &#x017F;ich geregt zu haben (Villa des Hadrian). Endlich<lb/>
legte &#x017F;ich die&#x017F;e Ueber&#x017F;teigerung und kam das einfach Maleri&#x017F;che im modernen<lb/>
engli&#x017F;chen Park auf. Uebrigens &#x017F;tehen wir hier im Ge&#x017F;chmacksgebiete, wo<lb/>
die individuelle Neigung gilt. Zieht Jemand den pla&#x017F;ti&#x017F;chen Styl vor,<lb/>
wie z. B. Hegel, &#x017F;o i&#x017F;t daher nicht mit ihm zu rechten. Man mag auch<lb/>
in pa&#x017F;&#x017F;enden Uebergängen die beiden Style verbinden.</hi> </p>
          </div>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[773/0281] auch hier ſich geltend macht. Der plaſtiſche Styl hat die ſtreng regel- mäßigen Gärten geſchaffen; allerdings äußert ſich hier, am maſſenhaften Stoffe, das Plaſtiſche eigentlich architektoniſch, als durchgängige Gemeſſen- heit. So waren die Gärten der Alten, ſo hat in der Zeit des Claſſicis- mus der romaniſche Geſchmack der Franzoſen den Garten behandelt. Da im Rokoko neben der abſtrakten Regel die Willkühr des Schnörkels herrſchte (vergl. §. 373), ſo lief dieſer Styl in jene bekannten Spielereien, die den Baum zur Form von Vögeln, Wappen u. ſ. w. beſchnitten, und in ähnliche Grillen aus. Der maleriſche Styl wurde dagegen in dem ger- maniſchen England geſchaffen. Er begann mit einem Ueberſchuß, einem unnatürlichen Suchen des Natürlichen, (künſtliche Felſen, Waſſerfälle u. dgl.), einem affectirt chaotiſchen Häufen des Mannigfaltigen (Tempel, Moſcheen, Einſiedeleien u. ſ. w.), einem Nachahmen der Landſchaftmalerei in ihrer pathetiſchen, heroiſchen Form, zugleich einem Nachahmen beſtimmter Natur (Schweiz, Arkadien u. ſ. w.), ja einem Uebertritt in die muſikaliſche Wirkung und die Dichtung, indem er beſtimmte Stimmungen und Ideen hervorrufen wollte. Eine Neigung dazu ſcheint übrigens ſchon in den ſpätrömiſchen Villen ſich geregt zu haben (Villa des Hadrian). Endlich legte ſich dieſe Ueberſteigerung und kam das einfach Maleriſche im modernen engliſchen Park auf. Uebrigens ſtehen wir hier im Geſchmacksgebiete, wo die individuelle Neigung gilt. Zieht Jemand den plaſtiſchen Styl vor, wie z. B. Hegel, ſo iſt daher nicht mit ihm zu rechten. Man mag auch in paſſenden Uebergängen die beiden Style verbinden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/281
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 773. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/281>, abgerufen am 26.11.2024.