Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
der Architektur, als ein Hinüberwirken der Malerei; diese Sphäre ist daher
der Architektur, als ein Hinüberwirken der Malerei; dieſe Sphäre iſt daher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0278" n="770"/> der Architektur, als ein Hinüberwirken der Malerei; dieſe Sphäre iſt daher<lb/> in §. 573 ſchon mitbeſprochen. Die Beſtimmung der Muſter für die<lb/> weichen Stoffe, womit Räume und Geräthe bekleidet werden, durch die<lb/> Malerei, trägt, wo ſie ihrer Aufgabe treu bleibt, ebenfalls den archi-<lb/> tektoniſchen Ornamentscharakter, der ihre Erwähnung zu §. 596, <hi rendition="#sub">2.</hi> be-<lb/> gründete. Wirklich Maleriſches in Teppichform zu weben, zu ſticken, mag<lb/> im Kleineren anmuthiges Spiel ſein, im Großen mußten wir die Ver-<lb/> ſetzung in ſolches Material bedauern (§. 660 Anm. 2). Auch die in Glas<lb/> übertragene Wand-Decoration iſt bei der gothiſchen Baukunſt (§. 592, <hi rendition="#sub">2.</hi>)<lb/> ſchon erwähnt. Die Glasmalerei ſoll ſich ebenfalls nicht überſteigern, nicht<lb/> ſelbſtändige Gemälde zu geben ſuchen, ſondern das Prinzip kleinerer Gruppen<lb/> in architektoniſcher Feldertheilung und zugleich Teppichartiger Behandlung<lb/> des Ganzen walten laſſen. — Die Decoration der Wand kann die Haupt-<lb/> fläche einfärbig halten und nur die Grenzen der Architektur-Glieder mit<lb/> figurirteren Stäben, Säumen einfaſſen, ſie kann das Ganze mit einer<lb/> freien Nachbildung der Skenographie ſchmücken, wie dieß in der bekannten<lb/> Rokoko-artig phantaſtiſchen Weiſe von den Römern geſchah, ſie kann es<lb/> mit wiederkehrenden Formen überkleiden, deren buntes, doch von geome-<lb/> triſchen Einheiten beherrſchtes Spiel wir bei der mauriſchen Baukunſt be-<lb/> reits als Arabeske erwähnt haben (§. 588, <hi rendition="#sub">2.</hi>) In ſchlichterer Weiſe ſind<lb/> gewöhnlich die Deſſins unſerer Papiertapeten gehalten, ſtyllos, wie gegen-<lb/> wärtig alle verſchönernde Kunſt. Es iſt nun aber die Einfaſſung und Ein-<lb/> ſäumung, welche zu einer bedeutenderen Form führt. Sie vermittelt durch<lb/> jene Säume zunächſt die architektoniſchen Haupttheile; ſie kann aber zugleich<lb/> Wandgemälde mit den Flächen und den Schlußgliedern derſelben überleitend<lb/> verbinden, und nun wächst ſie aus Stäben, Bändern, Blumen- und Ranken-<lb/> Formen immer in’s Vollere, bis ſie dahin gereift iſt, etwas vom Geiſte<lb/> des maleriſchen Kunſtwerks in ſich herüberzunehmen und hier phantaſtiſch<lb/> ausblühen zu laſſen. So weit gediehen kann dieſe Form immerhin auch<lb/> für ſich allein, ohne die Mitwirkung eigentlicher Wandgemälde, ſprechen<lb/> und in breiten Säumen durch ihre bunten Verſchlingungen die Beſtimmung<lb/> des Raums u. ſ. w. andeuten; doch bleibt ihre wahre Stellung die einer<lb/> Einfaſſung, worin ſich zugleich der Inhalt eines ſelbſtändigen Werkes der<lb/> Malerei wie in einem Echo wiederholt. Dieß iſt nun die Arabeske im<lb/> reicheren, volleren Sinne des Worts. Von der einen Seite iſt ſie archi-<lb/> tektoniſch beſtimmt und gerade darin liegt das Motiv zum Phantaſtiſchen,<lb/> denn die architektoniſch verwendete organiſche Bildung iſt in ein fremdes<lb/> Element verſetzt, das ſie aus ihren Fugen zieht: das in ſie eingedrungene<lb/> geometriſche Geſetz bringt nothwendig die theilweiſe Aufhebung des or-<lb/> ganiſchen Geſetzes mit ſich. Dieſe Art von Geſetzloſigkeit beſtimmt nun<lb/> den Künſtlergeiſt zur Entbindung des Traumartigen in der Phantaſie:<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [770/0278]
der Architektur, als ein Hinüberwirken der Malerei; dieſe Sphäre iſt daher
in §. 573 ſchon mitbeſprochen. Die Beſtimmung der Muſter für die
weichen Stoffe, womit Räume und Geräthe bekleidet werden, durch die
Malerei, trägt, wo ſie ihrer Aufgabe treu bleibt, ebenfalls den archi-
tektoniſchen Ornamentscharakter, der ihre Erwähnung zu §. 596, 2. be-
gründete. Wirklich Maleriſches in Teppichform zu weben, zu ſticken, mag
im Kleineren anmuthiges Spiel ſein, im Großen mußten wir die Ver-
ſetzung in ſolches Material bedauern (§. 660 Anm. 2). Auch die in Glas
übertragene Wand-Decoration iſt bei der gothiſchen Baukunſt (§. 592, 2.)
ſchon erwähnt. Die Glasmalerei ſoll ſich ebenfalls nicht überſteigern, nicht
ſelbſtändige Gemälde zu geben ſuchen, ſondern das Prinzip kleinerer Gruppen
in architektoniſcher Feldertheilung und zugleich Teppichartiger Behandlung
des Ganzen walten laſſen. — Die Decoration der Wand kann die Haupt-
fläche einfärbig halten und nur die Grenzen der Architektur-Glieder mit
figurirteren Stäben, Säumen einfaſſen, ſie kann das Ganze mit einer
freien Nachbildung der Skenographie ſchmücken, wie dieß in der bekannten
Rokoko-artig phantaſtiſchen Weiſe von den Römern geſchah, ſie kann es
mit wiederkehrenden Formen überkleiden, deren buntes, doch von geome-
triſchen Einheiten beherrſchtes Spiel wir bei der mauriſchen Baukunſt be-
reits als Arabeske erwähnt haben (§. 588, 2.) In ſchlichterer Weiſe ſind
gewöhnlich die Deſſins unſerer Papiertapeten gehalten, ſtyllos, wie gegen-
wärtig alle verſchönernde Kunſt. Es iſt nun aber die Einfaſſung und Ein-
ſäumung, welche zu einer bedeutenderen Form führt. Sie vermittelt durch
jene Säume zunächſt die architektoniſchen Haupttheile; ſie kann aber zugleich
Wandgemälde mit den Flächen und den Schlußgliedern derſelben überleitend
verbinden, und nun wächst ſie aus Stäben, Bändern, Blumen- und Ranken-
Formen immer in’s Vollere, bis ſie dahin gereift iſt, etwas vom Geiſte
des maleriſchen Kunſtwerks in ſich herüberzunehmen und hier phantaſtiſch
ausblühen zu laſſen. So weit gediehen kann dieſe Form immerhin auch
für ſich allein, ohne die Mitwirkung eigentlicher Wandgemälde, ſprechen
und in breiten Säumen durch ihre bunten Verſchlingungen die Beſtimmung
des Raums u. ſ. w. andeuten; doch bleibt ihre wahre Stellung die einer
Einfaſſung, worin ſich zugleich der Inhalt eines ſelbſtändigen Werkes der
Malerei wie in einem Echo wiederholt. Dieß iſt nun die Arabeske im
reicheren, volleren Sinne des Worts. Von der einen Seite iſt ſie archi-
tektoniſch beſtimmt und gerade darin liegt das Motiv zum Phantaſtiſchen,
denn die architektoniſch verwendete organiſche Bildung iſt in ein fremdes
Element verſetzt, das ſie aus ihren Fugen zieht: das in ſie eingedrungene
geometriſche Geſetz bringt nothwendig die theilweiſe Aufhebung des or-
ganiſchen Geſetzes mit ſich. Dieſe Art von Geſetzloſigkeit beſtimmt nun
den Künſtlergeiſt zur Entbindung des Traumartigen in der Phantaſie:
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