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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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Erfindung und führt so die Kunst im weitesten Umkreis in das Leben ein.
Im Wesentlichen auf Zeichnung und Schattengebung beschränkt (vergl. §. 664.
665), verbindet sie sich doch annähernd auch mit dem Colorit.

Wir haben Formen vor uns, die zwar nur anhängend, weil nur
nachbildelnd und vervielfältigend sind, aber das Wiedererzeugen und
Uebertragen in eine andere Darstellungsform fordert ein Hinein-Em-
pfinden in das Original, das unendlich viel mehr, als bloße Nach-
ahmung, ist und diesen Formen den Namen der beseelten Technik
(§. 518, 2.) sichert, durch welche die Kunst vom Handwerk sich unterschei-
det. Mit einem Theile derselben verhält es sich so, daß auch der erfin-
dende Künstler selbst sein Werk auf ein leicht zu behandelndes Material
übertragen kann, so daß die Technik, die das Weitere zu übernehmen hat,
mit der Kunst nur in entfernterem Verhältniß sich berührt oder wirklich
nur noch Handgriff ist; hier muß also er selbst in die besonderen
Bedingungen des Materials sich einfühlen; wir behalten aber zunächst
den Fall der sinnigen Nachbildung im Auge. Der unendliche praktische
Werth dieser technischen Mittel liegt nun in der Verbreitung der Kunst-
Anschauung in die Massen; allerdings wird die Zeichnung, die Licht- und
Schattengebung, deren Trennbarkeit vom Ganzen der Malerei in den
angeführten §§. schon zur Sprache gekommen ist, (mit einiger Ausnahme,
wovon nachher) hier wirklich isolirt, der Maaßstab wird bedeutend verkleinert,
aber trotzdem sind es Erfindungen von weltgeschichtlicher, völkerbildender
Bedeutung wie die Buchdruckerkunst, mit der sie Hand in Hand gehen.

Wir stellen den Metallstich, wiewohl der Holzschnitt älter ist,
voran, weil nur in Vergleichung mit ihm gezeigt werden kann, was diesem
und dem Steindruck fehlt, und sprechen zuerst von der vollkommensten
Form, dem Kupferstich. Im Abdruck fühlt sich bei allen diesen Mitteln
der Vervielfältigung das Material, sein Element, seine Stimmung durch.
Die kräftige, klangvolle Härte des Metalls nun hat an sich einen Charakter,
der monumental gemahnt, und das Eingraben des Stichels in seinen
soliden Stoff erinnert uns durch eine natürliche Symbolik an die durch-
schneidende Kraft, wodurch sich der historische Mensch in die Erinnerung
dauernd eingräbt. Zugleich setzt nun aber das Kupfer dem Grabstichel
nicht allzugroßen Widerstand entgegen; es ist hart genug, einen kräftigen,
gesammelten Druck der Hand zu verlangen, aber auch weich genug, ihr
zu gestatten, daß sich das feinste Gefühl in sie lege und in der Art ihrer
Bahn, im Anschwellen, Nachlassen, in den Figurationen der Striche sein
inneres Geheimniß ausdrücke. Je mehr die Kunst diese Empfänglichkeit
des Materials benützen lernt, desto mehr schreitet sie, zwar im Elemente
des Farblosen, von dem mehr sculptorischen Charakter der einfachen Zeich-

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Erfindung und führt ſo die Kunſt im weiteſten Umkreis in das Leben ein.
Im Weſentlichen auf Zeichnung und Schattengebung beſchränkt (vergl. §. 664.
665), verbindet ſie ſich doch annähernd auch mit dem Colorit.

Wir haben Formen vor uns, die zwar nur anhängend, weil nur
nachbildelnd und vervielfältigend ſind, aber das Wiedererzeugen und
Uebertragen in eine andere Darſtellungsform fordert ein Hinein-Em-
pfinden in das Original, das unendlich viel mehr, als bloße Nach-
ahmung, iſt und dieſen Formen den Namen der beſeelten Technik
(§. 518, 2.) ſichert, durch welche die Kunſt vom Handwerk ſich unterſchei-
det. Mit einem Theile derſelben verhält es ſich ſo, daß auch der erfin-
dende Künſtler ſelbſt ſein Werk auf ein leicht zu behandelndes Material
übertragen kann, ſo daß die Technik, die das Weitere zu übernehmen hat,
mit der Kunſt nur in entfernterem Verhältniß ſich berührt oder wirklich
nur noch Handgriff iſt; hier muß alſo er ſelbſt in die beſonderen
Bedingungen des Materials ſich einfühlen; wir behalten aber zunächſt
den Fall der ſinnigen Nachbildung im Auge. Der unendliche praktiſche
Werth dieſer techniſchen Mittel liegt nun in der Verbreitung der Kunſt-
Anſchauung in die Maſſen; allerdings wird die Zeichnung, die Licht- und
Schattengebung, deren Trennbarkeit vom Ganzen der Malerei in den
angeführten §§. ſchon zur Sprache gekommen iſt, (mit einiger Ausnahme,
wovon nachher) hier wirklich iſolirt, der Maaßſtab wird bedeutend verkleinert,
aber trotzdem ſind es Erfindungen von weltgeſchichtlicher, völkerbildender
Bedeutung wie die Buchdruckerkunſt, mit der ſie Hand in Hand gehen.

Wir ſtellen den Metallſtich, wiewohl der Holzſchnitt älter iſt,
voran, weil nur in Vergleichung mit ihm gezeigt werden kann, was dieſem
und dem Steindruck fehlt, und ſprechen zuerſt von der vollkommenſten
Form, dem Kupferſtich. Im Abdruck fühlt ſich bei allen dieſen Mitteln
der Vervielfältigung das Material, ſein Element, ſeine Stimmung durch.
Die kräftige, klangvolle Härte des Metalls nun hat an ſich einen Charakter,
der monumental gemahnt, und das Eingraben des Stichels in ſeinen
ſoliden Stoff erinnert uns durch eine natürliche Symbolik an die durch-
ſchneidende Kraft, wodurch ſich der hiſtoriſche Menſch in die Erinnerung
dauernd eingräbt. Zugleich ſetzt nun aber das Kupfer dem Grabſtichel
nicht allzugroßen Widerſtand entgegen; es iſt hart genug, einen kräftigen,
geſammelten Druck der Hand zu verlangen, aber auch weich genug, ihr
zu geſtatten, daß ſich das feinſte Gefühl in ſie lege und in der Art ihrer
Bahn, im Anſchwellen, Nachlaſſen, in den Figurationen der Striche ſein
inneres Geheimniß ausdrücke. Je mehr die Kunſt dieſe Empfänglichkeit
des Materials benützen lernt, deſto mehr ſchreitet ſie, zwar im Elemente
des Farbloſen, von dem mehr ſculptoriſchen Charakter der einfachen Zeich-

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[763/0271] Erfindung und führt ſo die Kunſt im weiteſten Umkreis in das Leben ein. Im Weſentlichen auf Zeichnung und Schattengebung beſchränkt (vergl. §. 664. 665), verbindet ſie ſich doch annähernd auch mit dem Colorit. Wir haben Formen vor uns, die zwar nur anhängend, weil nur nachbildelnd und vervielfältigend ſind, aber das Wiedererzeugen und Uebertragen in eine andere Darſtellungsform fordert ein Hinein-Em- pfinden in das Original, das unendlich viel mehr, als bloße Nach- ahmung, iſt und dieſen Formen den Namen der beſeelten Technik (§. 518, 2.) ſichert, durch welche die Kunſt vom Handwerk ſich unterſchei- det. Mit einem Theile derſelben verhält es ſich ſo, daß auch der erfin- dende Künſtler ſelbſt ſein Werk auf ein leicht zu behandelndes Material übertragen kann, ſo daß die Technik, die das Weitere zu übernehmen hat, mit der Kunſt nur in entfernterem Verhältniß ſich berührt oder wirklich nur noch Handgriff iſt; hier muß alſo er ſelbſt in die beſonderen Bedingungen des Materials ſich einfühlen; wir behalten aber zunächſt den Fall der ſinnigen Nachbildung im Auge. Der unendliche praktiſche Werth dieſer techniſchen Mittel liegt nun in der Verbreitung der Kunſt- Anſchauung in die Maſſen; allerdings wird die Zeichnung, die Licht- und Schattengebung, deren Trennbarkeit vom Ganzen der Malerei in den angeführten §§. ſchon zur Sprache gekommen iſt, (mit einiger Ausnahme, wovon nachher) hier wirklich iſolirt, der Maaßſtab wird bedeutend verkleinert, aber trotzdem ſind es Erfindungen von weltgeſchichtlicher, völkerbildender Bedeutung wie die Buchdruckerkunſt, mit der ſie Hand in Hand gehen. Wir ſtellen den Metallſtich, wiewohl der Holzſchnitt älter iſt, voran, weil nur in Vergleichung mit ihm gezeigt werden kann, was dieſem und dem Steindruck fehlt, und ſprechen zuerſt von der vollkommenſten Form, dem Kupferſtich. Im Abdruck fühlt ſich bei allen dieſen Mitteln der Vervielfältigung das Material, ſein Element, ſeine Stimmung durch. Die kräftige, klangvolle Härte des Metalls nun hat an ſich einen Charakter, der monumental gemahnt, und das Eingraben des Stichels in ſeinen ſoliden Stoff erinnert uns durch eine natürliche Symbolik an die durch- ſchneidende Kraft, wodurch ſich der hiſtoriſche Menſch in die Erinnerung dauernd eingräbt. Zugleich ſetzt nun aber das Kupfer dem Grabſtichel nicht allzugroßen Widerſtand entgegen; es iſt hart genug, einen kräftigen, geſammelten Druck der Hand zu verlangen, aber auch weich genug, ihr zu geſtatten, daß ſich das feinſte Gefühl in ſie lege und in der Art ihrer Bahn, im Anſchwellen, Nachlaſſen, in den Figurationen der Striche ſein inneres Geheimniß ausdrücke. Je mehr die Kunſt dieſe Empfänglichkeit des Materials benützen lernt, deſto mehr ſchreitet ſie, zwar im Elemente des Farbloſen, von dem mehr ſculptoriſchen Charakter der einfachen Zeich- 50*

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 763. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/271>, abgerufen am 25.11.2024.