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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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ergossener Schein, der sich nicht greifen läßt." Es genüge hier, zur
näheren Beleuchtung auf den bedeutendsten Sammelplatz alles Lichts und
aller Farbe, auf das Auge hinzuweisen. Dieses Organ, das der Bild-
ner nur mangelhaft und auch dieß nicht ohne gewisse malerische Hülfen
(von denen jedoch farbige Behandlung ausgeschlossen ist, vergl. §. 608)
wiederzugeben vermag, ist die höchste Läuterung der Materie, die es gibt:
ein glänzender Spiegel auf seiner Oberfläche, farbig durchsichtig, ein
Blitze werfender farbiger Krystall läßt es auf den innersten Grund der
Seele hineinblicken. Diese wunderbare Erscheinung ist uns aber nicht
nur Beispiel, sondern wirklich die höchste, concentrirteste Vereinigung der
über den ganzen Körper und alle Körper ergossenen, nur in ihrer Aus-
breitung nicht so unmittelbar die Tiefe ihres Sinns offenbarenden Far-
benwirkung. Mit dem Auge hat die Kunst die ganze Welt in einem
neuen Sinn ergriffen, die ganze Welt wird ihr nun zum Auge. In der
Form hat das Innere, die bauende Seele sich zwar auch wesentlichen
Ausdruck gegeben, aber in dem fertigen Niederschlage zugleich ebensosehr
wieder verdunkelt; die Form verhüllt, verdeckt im Offenbaren, was sie offen-
bart; die Farbe fährt fort, durch die Form hindurch die innerlich thätige Seele
zu offenbaren, sie macht das Aeußere als Durchscheins-Medium des Innern
selbst zum Innern; "es ist das Innere des Geistes, das sich im Widerscheine
der Aeußerlichkeit als Inneres auszudrücken unternimmt" (Hegel, Aesth.
B. 3. S. 15.). Hiemit sind wir bereits bei dem Hauptsatze angekommen, der
das Wesen der Malerei im Gegensatze gegen das der Bildnerkunst bestimmt:
der Ausdruck überwiegt die Form. Man darf dabei natürlich an keinerlei die
absolute ästhetische Einheit zwischen Idee und Bild lockenden Ueberschuß
der ersteren über das letztere denken, beide bleiben schlechthin ungetrennt,
aber das Bild hat eine Qualification seiner Erscheinung in sich aufge-
nommen, wodurch es die inwohnende Idee nicht als einfach in der Er-
scheinung beruhigt, sondern als einen unerschöpflichen Grund offenbart,
der aus ihm hervorleuchtet, durch es in seine Tiefen zurück- und hinunter-
weist. Es ist hiemit ein Gegensatz, Gegenschlag zwischen Geist und
Materie gesetzt, wie in der Sculptur noch nicht. Man behalte, um sich
dieß ganz klar zu machen, zunächst physikalisch das Wesen der Farbe im
Auge und frage sich dann, welcher Sinn dem Acte zu Grund liege, durch
welchen die Kunst nun das ganze Geheimniß derselben erfaßt und dar-
stellt. Die Farbe entsteht durch eine Brechung des Lichtes an den Kör-
pern; diese wehren es als dichte Materie ab und müssen es zugleich ein-
lassen. Auch bei nicht durchsichtigen Körpern muß theilweise dieses Einlassen
an den feinsten, mit unsern Werkzeugen nicht mehr faßbaren Bildungen
der Oberfläche Statt finden. Unerkennbar kleine prismatische Flächen, in
bestimmter Weise zu einander gestellt, durchschoben und sich verdunkelnd,

ergoſſener Schein, der ſich nicht greifen läßt.“ Es genüge hier, zur
näheren Beleuchtung auf den bedeutendſten Sammelplatz alles Lichts und
aller Farbe, auf das Auge hinzuweiſen. Dieſes Organ, das der Bild-
ner nur mangelhaft und auch dieß nicht ohne gewiſſe maleriſche Hülfen
(von denen jedoch farbige Behandlung ausgeſchloſſen iſt, vergl. §. 608)
wiederzugeben vermag, iſt die höchſte Läuterung der Materie, die es gibt:
ein glänzender Spiegel auf ſeiner Oberfläche, farbig durchſichtig, ein
Blitze werfender farbiger Kryſtall läßt es auf den innerſten Grund der
Seele hineinblicken. Dieſe wunderbare Erſcheinung iſt uns aber nicht
nur Beiſpiel, ſondern wirklich die höchſte, concentrirteſte Vereinigung der
über den ganzen Körper und alle Körper ergoſſenen, nur in ihrer Aus-
breitung nicht ſo unmittelbar die Tiefe ihres Sinns offenbarenden Far-
benwirkung. Mit dem Auge hat die Kunſt die ganze Welt in einem
neuen Sinn ergriffen, die ganze Welt wird ihr nun zum Auge. In der
Form hat das Innere, die bauende Seele ſich zwar auch weſentlichen
Ausdruck gegeben, aber in dem fertigen Niederſchlage zugleich ebenſoſehr
wieder verdunkelt; die Form verhüllt, verdeckt im Offenbaren, was ſie offen-
bart; die Farbe fährt fort, durch die Form hindurch die innerlich thätige Seele
zu offenbaren, ſie macht das Aeußere als Durchſcheins-Medium des Innern
ſelbſt zum Innern; „es iſt das Innere des Geiſtes, das ſich im Widerſcheine
der Aeußerlichkeit als Inneres auszudrücken unternimmt“ (Hegel, Aeſth.
B. 3. S. 15.). Hiemit ſind wir bereits bei dem Hauptſatze angekommen, der
das Weſen der Malerei im Gegenſatze gegen das der Bildnerkunſt beſtimmt:
der Ausdruck überwiegt die Form. Man darf dabei natürlich an keinerlei die
abſolute äſthetiſche Einheit zwiſchen Idee und Bild lockenden Ueberſchuß
der erſteren über das letztere denken, beide bleiben ſchlechthin ungetrennt,
aber das Bild hat eine Qualification ſeiner Erſcheinung in ſich aufge-
nommen, wodurch es die inwohnende Idee nicht als einfach in der Er-
ſcheinung beruhigt, ſondern als einen unerſchöpflichen Grund offenbart,
der aus ihm hervorleuchtet, durch es in ſeine Tiefen zurück- und hinunter-
weist. Es iſt hiemit ein Gegenſatz, Gegenſchlag zwiſchen Geiſt und
Materie geſetzt, wie in der Sculptur noch nicht. Man behalte, um ſich
dieß ganz klar zu machen, zunächſt phyſikaliſch das Weſen der Farbe im
Auge und frage ſich dann, welcher Sinn dem Acte zu Grund liege, durch
welchen die Kunſt nun das ganze Geheimniß derſelben erfaßt und dar-
ſtellt. Die Farbe entſteht durch eine Brechung des Lichtes an den Kör-
pern; dieſe wehren es als dichte Materie ab und müſſen es zugleich ein-
laſſen. Auch bei nicht durchſichtigen Körpern muß theilweiſe dieſes Einlaſſen
an den feinſten, mit unſern Werkzeugen nicht mehr faßbaren Bildungen
der Oberfläche Statt finden. Unerkennbar kleine priſmatiſche Flächen, in
beſtimmter Weiſe zu einander geſtellt, durchſchoben und ſich verdunkelnd,

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[519/0027] ergoſſener Schein, der ſich nicht greifen läßt.“ Es genüge hier, zur näheren Beleuchtung auf den bedeutendſten Sammelplatz alles Lichts und aller Farbe, auf das Auge hinzuweiſen. Dieſes Organ, das der Bild- ner nur mangelhaft und auch dieß nicht ohne gewiſſe maleriſche Hülfen (von denen jedoch farbige Behandlung ausgeſchloſſen iſt, vergl. §. 608) wiederzugeben vermag, iſt die höchſte Läuterung der Materie, die es gibt: ein glänzender Spiegel auf ſeiner Oberfläche, farbig durchſichtig, ein Blitze werfender farbiger Kryſtall läßt es auf den innerſten Grund der Seele hineinblicken. Dieſe wunderbare Erſcheinung iſt uns aber nicht nur Beiſpiel, ſondern wirklich die höchſte, concentrirteſte Vereinigung der über den ganzen Körper und alle Körper ergoſſenen, nur in ihrer Aus- breitung nicht ſo unmittelbar die Tiefe ihres Sinns offenbarenden Far- benwirkung. Mit dem Auge hat die Kunſt die ganze Welt in einem neuen Sinn ergriffen, die ganze Welt wird ihr nun zum Auge. In der Form hat das Innere, die bauende Seele ſich zwar auch weſentlichen Ausdruck gegeben, aber in dem fertigen Niederſchlage zugleich ebenſoſehr wieder verdunkelt; die Form verhüllt, verdeckt im Offenbaren, was ſie offen- bart; die Farbe fährt fort, durch die Form hindurch die innerlich thätige Seele zu offenbaren, ſie macht das Aeußere als Durchſcheins-Medium des Innern ſelbſt zum Innern; „es iſt das Innere des Geiſtes, das ſich im Widerſcheine der Aeußerlichkeit als Inneres auszudrücken unternimmt“ (Hegel, Aeſth. B. 3. S. 15.). Hiemit ſind wir bereits bei dem Hauptſatze angekommen, der das Weſen der Malerei im Gegenſatze gegen das der Bildnerkunſt beſtimmt: der Ausdruck überwiegt die Form. Man darf dabei natürlich an keinerlei die abſolute äſthetiſche Einheit zwiſchen Idee und Bild lockenden Ueberſchuß der erſteren über das letztere denken, beide bleiben ſchlechthin ungetrennt, aber das Bild hat eine Qualification ſeiner Erſcheinung in ſich aufge- nommen, wodurch es die inwohnende Idee nicht als einfach in der Er- ſcheinung beruhigt, ſondern als einen unerſchöpflichen Grund offenbart, der aus ihm hervorleuchtet, durch es in ſeine Tiefen zurück- und hinunter- weist. Es iſt hiemit ein Gegenſatz, Gegenſchlag zwiſchen Geiſt und Materie geſetzt, wie in der Sculptur noch nicht. Man behalte, um ſich dieß ganz klar zu machen, zunächſt phyſikaliſch das Weſen der Farbe im Auge und frage ſich dann, welcher Sinn dem Acte zu Grund liege, durch welchen die Kunſt nun das ganze Geheimniß derſelben erfaßt und dar- ſtellt. Die Farbe entſteht durch eine Brechung des Lichtes an den Kör- pern; dieſe wehren es als dichte Materie ab und müſſen es zugleich ein- laſſen. Auch bei nicht durchſichtigen Körpern muß theilweiſe dieſes Einlaſſen an den feinſten, mit unſern Werkzeugen nicht mehr faßbaren Bildungen der Oberfläche Statt finden. Unerkennbar kleine priſmatiſche Flächen, in beſtimmter Weiſe zu einander geſtellt, durchſchoben und ſich verdunkelnd,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/27>, abgerufen am 27.11.2024.