Die "neudeutsch-romantisch-religiöse" Richtung worin Overbeck, Veit, Schadow und Andere stecken blieben, während ein Cornelius und Schnorr sich herausarbeiteten, liegt uns als eine überwundene Stufe klar genug vor, um das Wahre und Falsche in ihr zu unterscheiden. Das Wahre bestand in dem tiefen Drange zur Ausfüllung der Lücke, die jene classische Gruppe gelassen, zur Ergänzung ihrer Einseitigkeit, d. h. zum Malerischen; das Falsche in der Verwechslung, die der §. ausspricht. Dieser Drang hätte, wie schon gesagt, auf die Stoffe führen müssen, welche dem Maler jenen Ausdruck tief innerlichen Seelenlebens, der den classischen Stoffen und Mythen fehlt, jene Charakterformen, wie wir sie in Lehre vom Wesen der Malerei gefordert, und die farbenreichen, beweg- ten Culturformen entgegenbringen, die das Mittelalter, obwohl freilich nicht allein, doch mehr, als das classische Alterthum, darbietet (vergl. §. 709, 2.), und was die Stylfrage betrifft, so galt es, gegen jene Plastiker der Malerei sich nach der einen Seite an den deutschen Styl unserer großen Meister am Schlusse des Mittelalters anzuschließen, nach der andern von den großen Coloristen, den Venetianern, den Niederländern zu lernen. Es war keine Gefahr mehr, in die Fehler der Ersteren zu verfallen, denn jenen Reformatoren verdankte man ja bereits positiv das geläuterte Form- gefühl, die reine Zeichnung, man mußte aber zur weiteren Ergänzung der alt- deutschen Styl-Härten zugleich den Blick auf die reifen Italiener, einen Leonardo da Vinci, einen Raphael als ewige Muster des Schönen richten. Daß hiemit kein eklektischer Auszug, keine todte Nachahmung gemeint ist, sondern ein freies, selbständiges Umschauen und Hineinfühlen, brauchen wir nicht zu versichern. Statt dessen predigt man dogmatisch das Mittel- alter, wird katholisch, behauptet den christlichen Mythus als allein würdi- gen Stoff, ergeht sich abstract in neuen Allegorien, und um die Ansätze falscher Freiheit zu meiden, die freilich selbst bei Raphael schon sich zeigen, zieht man aus dieser Doctrin die natürliche Consequenz, daß der gebundene Styl der unreifen, aber desto frömmeren Meister das absolute Muster sei. Also wieder ein Extrem, doch eigentlich nicht das logisch genaue: nicht ein Extrem des streng Malerischen, sondern ein Heraustreten aus dem Aesthetischen überhaupt als einer Welt des freien Scheins, aber ein begreifliches Extrem, dem wir doch, insbesondere im Ausdruck tiefer Gemüthswelt, zum Theil auch in Belebung der Farbe unendlich viel danken.
§. 740.
Die neuesten Bestrebungen der Malerei stellen den noch gährenden Läu- terungskampf der entgegengesetzten Stylprinzipien dar, worin die deutsche Malerei, aus der Romantik sich losringend, in großartigem Aufschwung aber-
Die „neudeutſch-romantiſch-religiöſe“ Richtung worin Overbeck, Veit, Schadow und Andere ſtecken blieben, während ein Cornelius und Schnorr ſich herausarbeiteten, liegt uns als eine überwundene Stufe klar genug vor, um das Wahre und Falſche in ihr zu unterſcheiden. Das Wahre beſtand in dem tiefen Drange zur Ausfüllung der Lücke, die jene claſſiſche Gruppe gelaſſen, zur Ergänzung ihrer Einſeitigkeit, d. h. zum Maleriſchen; das Falſche in der Verwechslung, die der §. ausſpricht. Dieſer Drang hätte, wie ſchon geſagt, auf die Stoffe führen müſſen, welche dem Maler jenen Ausdruck tief innerlichen Seelenlebens, der den claſſiſchen Stoffen und Mythen fehlt, jene Charakterformen, wie wir ſie in Lehre vom Weſen der Malerei gefordert, und die farbenreichen, beweg- ten Culturformen entgegenbringen, die das Mittelalter, obwohl freilich nicht allein, doch mehr, als das claſſiſche Alterthum, darbietet (vergl. §. 709, 2.), und was die Stylfrage betrifft, ſo galt es, gegen jene Plaſtiker der Malerei ſich nach der einen Seite an den deutſchen Styl unſerer großen Meiſter am Schluſſe des Mittelalters anzuſchließen, nach der andern von den großen Coloriſten, den Venetianern, den Niederländern zu lernen. Es war keine Gefahr mehr, in die Fehler der Erſteren zu verfallen, denn jenen Reformatoren verdankte man ja bereits poſitiv das geläuterte Form- gefühl, die reine Zeichnung, man mußte aber zur weiteren Ergänzung der alt- deutſchen Styl-Härten zugleich den Blick auf die reifen Italiener, einen Leonardo da Vinci, einen Raphael als ewige Muſter des Schönen richten. Daß hiemit kein eklektiſcher Auszug, keine todte Nachahmung gemeint iſt, ſondern ein freies, ſelbſtändiges Umſchauen und Hineinfühlen, brauchen wir nicht zu verſichern. Statt deſſen predigt man dogmatiſch das Mittel- alter, wird katholiſch, behauptet den chriſtlichen Mythus als allein würdi- gen Stoff, ergeht ſich abſtract in neuen Allegorien, und um die Anſätze falſcher Freiheit zu meiden, die freilich ſelbſt bei Raphael ſchon ſich zeigen, zieht man aus dieſer Doctrin die natürliche Conſequenz, daß der gebundene Styl der unreifen, aber deſto frömmeren Meiſter das abſolute Muſter ſei. Alſo wieder ein Extrem, doch eigentlich nicht das logiſch genaue: nicht ein Extrem des ſtreng Maleriſchen, ſondern ein Heraustreten aus dem Aeſthetiſchen überhaupt als einer Welt des freien Scheins, aber ein begreifliches Extrem, dem wir doch, insbeſondere im Ausdruck tiefer Gemüthswelt, zum Theil auch in Belebung der Farbe unendlich viel danken.
§. 740.
Die neueſten Beſtrebungen der Malerei ſtellen den noch gährenden Läu- terungskampf der entgegengeſetzten Stylprinzipien dar, worin die deutſche Malerei, aus der Romantik ſich losringend, in großartigem Aufſchwung aber-
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Die „neudeutſch-romantiſch-religiöſe“ Richtung worin Overbeck,
Veit, Schadow und Andere ſtecken blieben, während ein Cornelius
und Schnorr ſich herausarbeiteten, liegt uns als eine überwundene
Stufe klar genug vor, um das Wahre und Falſche in ihr zu unterſcheiden.
Das Wahre beſtand in dem tiefen Drange zur Ausfüllung der Lücke, die
jene claſſiſche Gruppe gelaſſen, zur Ergänzung ihrer Einſeitigkeit, d. h. zum
Maleriſchen; das Falſche in der Verwechslung, die der §. ausſpricht.
Dieſer Drang hätte, wie ſchon geſagt, auf die Stoffe führen müſſen,
welche dem Maler jenen Ausdruck tief innerlichen Seelenlebens, der den
claſſiſchen Stoffen und Mythen fehlt, jene Charakterformen, wie wir ſie
in Lehre vom Weſen der Malerei gefordert, und die farbenreichen, beweg-
ten Culturformen entgegenbringen, die das Mittelalter, obwohl freilich nicht
allein, doch mehr, als das claſſiſche Alterthum, darbietet (vergl. §. 709, 2.),
und was die Stylfrage betrifft, ſo galt es, gegen jene Plaſtiker der Malerei
ſich nach der einen Seite an den deutſchen Styl unſerer großen Meiſter
am Schluſſe des Mittelalters anzuſchließen, nach der andern von den
großen Coloriſten, den Venetianern, den Niederländern zu lernen. Es
war keine Gefahr mehr, in die Fehler der Erſteren zu verfallen, denn
jenen Reformatoren verdankte man ja bereits poſitiv das geläuterte Form-
gefühl, die reine Zeichnung, man mußte aber zur weiteren Ergänzung der alt-
deutſchen Styl-Härten zugleich den Blick auf die reifen Italiener, einen
Leonardo da Vinci, einen Raphael als ewige Muſter des Schönen richten.
Daß hiemit kein eklektiſcher Auszug, keine todte Nachahmung gemeint iſt,
ſondern ein freies, ſelbſtändiges Umſchauen und Hineinfühlen, brauchen
wir nicht zu verſichern. Statt deſſen predigt man dogmatiſch das Mittel-
alter, wird katholiſch, behauptet den chriſtlichen Mythus als allein würdi-
gen Stoff, ergeht ſich abſtract in neuen Allegorien, und um die Anſätze
falſcher Freiheit zu meiden, die freilich ſelbſt bei Raphael ſchon ſich zeigen,
zieht man aus dieſer Doctrin die natürliche Conſequenz, daß der
gebundene Styl der unreifen, aber deſto frömmeren Meiſter das abſolute
Muſter ſei. Alſo wieder ein Extrem, doch eigentlich nicht das logiſch
genaue: nicht ein Extrem des ſtreng Maleriſchen, ſondern ein Heraustreten
aus dem Aeſthetiſchen überhaupt als einer Welt des freien Scheins, aber
ein begreifliches Extrem, dem wir doch, insbeſondere im Ausdruck tiefer
Gemüthswelt, zum Theil auch in Belebung der Farbe unendlich viel danken.
§. 740.
Die neueſten Beſtrebungen der Malerei ſtellen den noch gährenden Läu-
terungskampf der entgegengeſetzten Stylprinzipien dar, worin die deutſche
Malerei, aus der Romantik ſich losringend, in großartigem Aufſchwung aber-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 751. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/259>, abgerufen am 05.07.2024.
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