und heiter in breitere vollere Form, während eine durchgefühlte Farbe, die öfters selbst der venetianischen morbidezza im Fleisch nahe kommt, den warmen Lebenssinn ausspricht; aber wie ein Dämon bricht doch auch bei ihnen überall wieder das Formlose mit seinen Ecken, Zacken und Grillen durch. Es geht dieß ganz in das Widerliche; Zeitblom z. B. hat würdige und schön angelegte Köpfe, aber ihn plagt der Kobold, eine höchst alberne Anschwellung der Nasenwurzel stehend anzubringen, ja es kann ihm ein- fallen, auf allen Feldern eines Hochaltars rothe Nasen mit Consequenz durchzuführen. Neben edlerer weiblicher Form spreizt sich, wo eine trotz dem eckigen Gefälte ernst und voll entwickelte Gewandung sie nicht deckt, die männliche Gestalt in den Schulen aller Orten wie ein hölzerner Sägebock. Große Physiognomiker sind sie Alle; dieser Zug ergibt sich zwar aus der allgemeinen Charakteristik des deutschen Styls, aber wir müssen ihn hervorheben, um ihn im Folgenden mit verstärktem Accent wieder aufzunehmen. Uebrigens gehen auch die süddeutschen Meister zur komischen Lösung des Widerspruchs fort und übertreiben das Komische in jenen Feinden und Peinigern Christi zur Verzerrung.
§. 730.
Am Ausgange des Mittelalters erwächst auch in Deutschland eine Blüthe, welche vollendet zu nennen wäre, wenn nicht der unästhetische Bruch zwischen Inhalt und Form auch jetzt ungetilgt bliebe, ja gerade vielmehr als Manier sich festsetzte, während jene Lösung durch das Komische (vergl. §. 726), nun genährt durch die Stimmung der Zeit, eine Fülle reicher, aber auch grillen- hafter Erdichtungen der Phantasie und des Humors erzeugt. Der eindringende Humanismus wirkt nicht nach der ästhetischen Seite, die Reformation entzieht der Kunst den größten Cheil des Mythenkreises und schließt doch die ursprüng- liche Stoffwelt, auf welche die deutsche Malerei durch ihren innersten Charakter, durch den nun in seiner ganzen Reinheit sich bewährenden Geist schlichter Treue und Wahrhaftigkeit besonders nachdrücklich berufen ist, nicht unmittelbar in ent- schiedener Weise auf.
Der italienisch plastische Styl hat in dieser Periode, die zu den geistig fruchtbarsten Momenten der Menschheit gehört, ein Höchstes, ein Absolutes erreicht, der malerisch deutsche nicht; denn jener hat sich das Maaß des Malerischen angeeignet, dessen er fähig ist und bedarf, dieser hat sich das Maaß des Plastischen, das ihm noth thut und das er er- trägt, nicht angeeignet. Jener zeigt daher einen wirklichen Abschluß, dieser weist im beziehungsweisen Abschluß hinaus auf eine Zukunft, wo die tiefe, aber grobe deutsche Natur nach einem langen, schweren Durch-
und heiter in breitere vollere Form, während eine durchgefühlte Farbe, die öfters ſelbſt der venetianiſchen morbidezza im Fleiſch nahe kommt, den warmen Lebensſinn ausſpricht; aber wie ein Dämon bricht doch auch bei ihnen überall wieder das Formloſe mit ſeinen Ecken, Zacken und Grillen durch. Es geht dieß ganz in das Widerliche; Zeitblom z. B. hat würdige und ſchön angelegte Köpfe, aber ihn plagt der Kobold, eine höchſt alberne Anſchwellung der Naſenwurzel ſtehend anzubringen, ja es kann ihm ein- fallen, auf allen Feldern eines Hochaltars rothe Naſen mit Conſequenz durchzuführen. Neben edlerer weiblicher Form ſpreizt ſich, wo eine trotz dem eckigen Gefälte ernſt und voll entwickelte Gewandung ſie nicht deckt, die männliche Geſtalt in den Schulen aller Orten wie ein hölzerner Sägebock. Große Phyſiognomiker ſind ſie Alle; dieſer Zug ergibt ſich zwar aus der allgemeinen Charakteriſtik des deutſchen Styls, aber wir müſſen ihn hervorheben, um ihn im Folgenden mit verſtärktem Accent wieder aufzunehmen. Uebrigens gehen auch die ſüddeutſchen Meiſter zur komiſchen Löſung des Widerſpruchs fort und übertreiben das Komiſche in jenen Feinden und Peinigern Chriſti zur Verzerrung.
§. 730.
Am Ausgange des Mittelalters erwächst auch in Deutſchland eine Blüthe, welche vollendet zu nennen wäre, wenn nicht der unäſthetiſche Bruch zwiſchen Inhalt und Form auch jetzt ungetilgt bliebe, ja gerade vielmehr als Manier ſich feſtſetzte, während jene Löſung durch das Komiſche (vergl. §. 726), nun genährt durch die Stimmung der Zeit, eine Fülle reicher, aber auch grillen- hafter Erdichtungen der Phantaſie und des Humors erzeugt. Der eindringende Humaniſmus wirkt nicht nach der äſthetiſchen Seite, die Reformation entzieht der Kunſt den größten Cheil des Mythenkreiſes und ſchließt doch die urſprüng- liche Stoffwelt, auf welche die deutſche Malerei durch ihren innerſten Charakter, durch den nun in ſeiner ganzen Reinheit ſich bewährenden Geiſt ſchlichter Treue und Wahrhaftigkeit beſonders nachdrücklich berufen iſt, nicht unmittelbar in ent- ſchiedener Weiſe auf.
Der italieniſch plaſtiſche Styl hat in dieſer Periode, die zu den geiſtig fruchtbarſten Momenten der Menſchheit gehört, ein Höchſtes, ein Abſolutes erreicht, der maleriſch deutſche nicht; denn jener hat ſich das Maaß des Maleriſchen angeeignet, deſſen er fähig iſt und bedarf, dieſer hat ſich das Maaß des Plaſtiſchen, das ihm noth thut und das er er- trägt, nicht angeeignet. Jener zeigt daher einen wirklichen Abſchluß, dieſer weist im beziehungsweiſen Abſchluß hinaus auf eine Zukunft, wo die tiefe, aber grobe deutſche Natur nach einem langen, ſchweren Durch-
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[733/0241]
und heiter in breitere vollere Form, während eine durchgefühlte Farbe,
die öfters ſelbſt der venetianiſchen morbidezza im Fleiſch nahe kommt, den
warmen Lebensſinn ausſpricht; aber wie ein Dämon bricht doch auch bei
ihnen überall wieder das Formloſe mit ſeinen Ecken, Zacken und Grillen
durch. Es geht dieß ganz in das Widerliche; Zeitblom z. B. hat würdige
und ſchön angelegte Köpfe, aber ihn plagt der Kobold, eine höchſt alberne
Anſchwellung der Naſenwurzel ſtehend anzubringen, ja es kann ihm ein-
fallen, auf allen Feldern eines Hochaltars rothe Naſen mit Conſequenz
durchzuführen. Neben edlerer weiblicher Form ſpreizt ſich, wo eine
trotz dem eckigen Gefälte ernſt und voll entwickelte Gewandung ſie nicht
deckt, die männliche Geſtalt in den Schulen aller Orten wie ein hölzerner
Sägebock. Große Phyſiognomiker ſind ſie Alle; dieſer Zug ergibt ſich
zwar aus der allgemeinen Charakteriſtik des deutſchen Styls, aber wir müſſen
ihn hervorheben, um ihn im Folgenden mit verſtärktem Accent wieder
aufzunehmen. Uebrigens gehen auch die ſüddeutſchen Meiſter zur komiſchen
Löſung des Widerſpruchs fort und übertreiben das Komiſche in jenen
Feinden und Peinigern Chriſti zur Verzerrung.
§. 730.
Am Ausgange des Mittelalters erwächst auch in Deutſchland eine
Blüthe, welche vollendet zu nennen wäre, wenn nicht der unäſthetiſche Bruch
zwiſchen Inhalt und Form auch jetzt ungetilgt bliebe, ja gerade vielmehr als
Manier ſich feſtſetzte, während jene Löſung durch das Komiſche (vergl. §. 726),
nun genährt durch die Stimmung der Zeit, eine Fülle reicher, aber auch grillen-
hafter Erdichtungen der Phantaſie und des Humors erzeugt. Der eindringende
Humaniſmus wirkt nicht nach der äſthetiſchen Seite, die Reformation entzieht
der Kunſt den größten Cheil des Mythenkreiſes und ſchließt doch die urſprüng-
liche Stoffwelt, auf welche die deutſche Malerei durch ihren innerſten Charakter,
durch den nun in ſeiner ganzen Reinheit ſich bewährenden Geiſt ſchlichter Treue
und Wahrhaftigkeit beſonders nachdrücklich berufen iſt, nicht unmittelbar in ent-
ſchiedener Weiſe auf.
Der italieniſch plaſtiſche Styl hat in dieſer Periode, die zu den
geiſtig fruchtbarſten Momenten der Menſchheit gehört, ein Höchſtes, ein
Abſolutes erreicht, der maleriſch deutſche nicht; denn jener hat ſich das
Maaß des Maleriſchen angeeignet, deſſen er fähig iſt und bedarf, dieſer
hat ſich das Maaß des Plaſtiſchen, das ihm noth thut und das er er-
trägt, nicht angeeignet. Jener zeigt daher einen wirklichen Abſchluß,
dieſer weist im beziehungsweiſen Abſchluß hinaus auf eine Zukunft, wo
die tiefe, aber grobe deutſche Natur nach einem langen, ſchweren Durch-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 733. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/241>, abgerufen am 22.02.2025.
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