Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
florentinische: der einmal gefundene Typus für diese Art des Ausdrucks §. 723. 1. Am Ausgange des Mittelalters ersteht aus diesen Bedingungen eine 1. Das dialektische Verhältniß der Geschichte der Kunst zur Geschichte
florentiniſche: der einmal gefundene Typus für dieſe Art des Ausdrucks §. 723. 1. Am Ausgange des Mittelalters erſteht aus dieſen Bedingungen eine 1. Das dialektiſche Verhältniß der Geſchichte der Kunſt zur Geſchichte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0220" n="712"/> florentiniſche: der einmal gefundene Typus für dieſe Art des Ausdrucks<lb/> wiederholt ſich wie ein Götter-Ideal mit geringer Mannigfaltigkeit.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 723.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#b">1.</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Am Ausgange des Mittelalters erſteht aus dieſen Bedingungen eine<lb/> Blüthe der Malerei, welche im freien Dienſte der Religion die Stoffe der-<lb/> ſelben zur reinen Schönheit erhebt und hiemit den Bund mit derſelben, während<lb/> ſie ihn vollendet, im Grunde, wiewohl noch nicht in der That, löst (vergl. §. 63);<lb/> nur vereinzelt wird die urſprüngliche Stoffwelt, mit erwachter Sinnenfreude der<lb/><note place="left">2.</note><hi rendition="#g">claſſiſche</hi> Mythus aufgenommen. Dieſe Blüthe ſchafft einen Styl, der durch<lb/> das höchſte Maaß der Verſchmelzung mit dem ächt Maleriſchen, welches inner-<lb/> halb der plaſtiſchen Richtung möglich iſt, in ähnlicher Weiſe abſolut und<lb/> muſterhaft daſteht, wie die antike Kunſt, deren innige Aneignung ihm ſelbſt zu<lb/> Grunde liegt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Das dialektiſche Verhältniß der Geſchichte der Kunſt zur Geſchichte<lb/> der Religion iſt nicht nur in §. 63, der hier als Hauptſtelle angeführt<lb/> iſt, ſondern ſo vielfach dargeſtellt, daß wir hier ganz kurz ſein können.<lb/> Der erſte Theil behandelt es auch in §. 27, zu §. 63 wird insbeſondere<lb/> auf die Krit. Gänge des Verf. B. 1 S. 183—187 hingewieſen, im<lb/> zweiten Theil ſ. §. 417. 418. 464. 466; im gegenwärtigen hat zuletzt<lb/> §. 695 den Gegenſtand wieder aufgenommen. Nirgends ſo wie in der<lb/> herrlichen Erſcheinung des reifen Ideals der italieniſchen Malerei ſieht<lb/> man bewährt, wie die höchſte Blüthe jenes Bundes bereits ſeine Lockerung<lb/> iſt. Man kann daher auch die kirchlichen Werke der großen Meiſter frei<lb/> bewundern, ohne irgend mit ihnen und ihrer Zeit Gemeinſchaft des hiſtori-<lb/> ſchen Glaubens an den Stoff zu haben: dieſer iſt rein künſtleriſches Motiv<lb/> geworden. Raphaels Madonnen ſind die ewig ſchöne reine Weiblichkeit,<lb/> die keuſche Mutterſchaft, die Mutterliebe und alle Liebe, M. Angelo’s<lb/> jüngſtes Gericht iſt die ewige Gerechtigkeit; von der Frage über die<lb/> Exiſtenz der Gegenſtände, über die Möglichkeit der Thatſachen kann dabei<lb/> völlig abſtrahirt werden. Man meine aber ja nicht, wir wiederholen mit<lb/> dieſem Satze nur daſſelbe, was in der Begriffslehre des Schönen von der<lb/> äſthetiſchen Intreſſeloſigkeit, der gegen die Exiſtenz des Gegenſtands gleich-<lb/> gültigen reinen Formfreude geſagt iſt, und wir widerſprechen unſerer<lb/> Behauptung, daß die Stoffe der Kunſt Gegenſtände möglicher Erfahrung<lb/> ſein ſollen. Man kann fordern, daß der Gegenſtand nach Naturgeſetzen<lb/> möglich ſei, ohne darum im Geringſten ein Intereſſe für ſeine wirkliche<lb/> Exiſtenz in Anſpruch zu nehmen, man kann gegenüber einer gegebenen<lb/> Kunſt von dieſer Forderung abſtrahiren, ohne ſie darum aufzugeben, ohne<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [712/0220]
florentiniſche: der einmal gefundene Typus für dieſe Art des Ausdrucks
wiederholt ſich wie ein Götter-Ideal mit geringer Mannigfaltigkeit.
§. 723.
Am Ausgange des Mittelalters erſteht aus dieſen Bedingungen eine
Blüthe der Malerei, welche im freien Dienſte der Religion die Stoffe der-
ſelben zur reinen Schönheit erhebt und hiemit den Bund mit derſelben, während
ſie ihn vollendet, im Grunde, wiewohl noch nicht in der That, löst (vergl. §. 63);
nur vereinzelt wird die urſprüngliche Stoffwelt, mit erwachter Sinnenfreude der
claſſiſche Mythus aufgenommen. Dieſe Blüthe ſchafft einen Styl, der durch
das höchſte Maaß der Verſchmelzung mit dem ächt Maleriſchen, welches inner-
halb der plaſtiſchen Richtung möglich iſt, in ähnlicher Weiſe abſolut und
muſterhaft daſteht, wie die antike Kunſt, deren innige Aneignung ihm ſelbſt zu
Grunde liegt.
1. Das dialektiſche Verhältniß der Geſchichte der Kunſt zur Geſchichte
der Religion iſt nicht nur in §. 63, der hier als Hauptſtelle angeführt
iſt, ſondern ſo vielfach dargeſtellt, daß wir hier ganz kurz ſein können.
Der erſte Theil behandelt es auch in §. 27, zu §. 63 wird insbeſondere
auf die Krit. Gänge des Verf. B. 1 S. 183—187 hingewieſen, im
zweiten Theil ſ. §. 417. 418. 464. 466; im gegenwärtigen hat zuletzt
§. 695 den Gegenſtand wieder aufgenommen. Nirgends ſo wie in der
herrlichen Erſcheinung des reifen Ideals der italieniſchen Malerei ſieht
man bewährt, wie die höchſte Blüthe jenes Bundes bereits ſeine Lockerung
iſt. Man kann daher auch die kirchlichen Werke der großen Meiſter frei
bewundern, ohne irgend mit ihnen und ihrer Zeit Gemeinſchaft des hiſtori-
ſchen Glaubens an den Stoff zu haben: dieſer iſt rein künſtleriſches Motiv
geworden. Raphaels Madonnen ſind die ewig ſchöne reine Weiblichkeit,
die keuſche Mutterſchaft, die Mutterliebe und alle Liebe, M. Angelo’s
jüngſtes Gericht iſt die ewige Gerechtigkeit; von der Frage über die
Exiſtenz der Gegenſtände, über die Möglichkeit der Thatſachen kann dabei
völlig abſtrahirt werden. Man meine aber ja nicht, wir wiederholen mit
dieſem Satze nur daſſelbe, was in der Begriffslehre des Schönen von der
äſthetiſchen Intreſſeloſigkeit, der gegen die Exiſtenz des Gegenſtands gleich-
gültigen reinen Formfreude geſagt iſt, und wir widerſprechen unſerer
Behauptung, daß die Stoffe der Kunſt Gegenſtände möglicher Erfahrung
ſein ſollen. Man kann fordern, daß der Gegenſtand nach Naturgeſetzen
möglich ſei, ohne darum im Geringſten ein Intereſſe für ſeine wirkliche
Exiſtenz in Anſpruch zu nehmen, man kann gegenüber einer gegebenen
Kunſt von dieſer Forderung abſtrahiren, ohne ſie darum aufzugeben, ohne
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