Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.Schönheit, im tiefen Verfall nur kümmerliche Reste des antiken Formsinns b. Die Malerei des Mittelalters, ihre Blüthe und Nachblüthe. §. 718. Die Vergleichung des Wesens der Malerei mit den Grundzügen der Wir müssen für die Geschichte der Malerei die Periode des Mittel- Schönheit, im tiefen Verfall nur kümmerliche Reſte des antiken Formſinns β. Die Malerei des Mittelalters, ihre Blüthe und Nachblüthe. §. 718. Die Vergleichung des Weſens der Malerei mit den Grundzügen der Wir müſſen für die Geſchichte der Malerei die Periode des Mittel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <pb facs="#f0208" n="700"/> <hi rendition="#et">Schönheit, im tiefen Verfall nur kümmerliche Reſte des antiken Formſinns<lb/> bewahrte. Dieſer Zuſtand bildete den Faden, der von der alten Kunſt<lb/><hi rendition="#g">direct</hi> zu der neueren herüberführte, und der §. ſagt, daß das gut war,<lb/> weil die antike Kunſt in ihrer Vollkommenheit den zarten Keim des<lb/> neuen Lebens, das in dieſe Formen eine andere Seele eingießen ſollte,<lb/> durch die zwingende Macht ihres idealen Glanzes erdrückt hätte. Dieß<lb/> lautet noch ungenau: die Formen ſelbſt mußten verändert werden und<lb/> doch mußte etwas von ihnen bleiben. Nur der allgemeine Geiſt und<lb/> Hauch ihres Adels ſollte in freier Weiſe herüberfließen in eine anders ge-<lb/> ſtimmte Phantaſie, ſo daß dieſe, was dem neuen Syſteme des Ausdrucks,<lb/> der Haltung und Bewegung, das die chriſtliche Geiſteswelt forderte, nicht<lb/> entſprach, ausſtoßen und was ihm entſprach, ſelbſtändig wenden und um-<lb/> bilden konnte.</hi> </p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#i">β</hi>. <hi rendition="#g">Die Malerei des Mittelalters, ihre Blüthe und<lb/> Nachblüthe</hi>.</head><lb/> <div n="4"> <head>§. 718.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die Vergleichung des Weſens der Malerei mit den Grundzügen der<lb/> romantiſchen Phantaſie (§. 447—458) ergibt, daß dieſe in der bildenden Kunſt<lb/> weſentlich <hi rendition="#g">maleriſch</hi> war. Dennoch laſſen zwei Hinderniſſe, die neue My-<lb/> thenbildung und der Geiſt aſcetiſch weltloſer Innerlichkeit, deren erſteres das<lb/> letztere überdauert, nicht zu, daß dieſes Ideal die ganze Tiefe und den ganzen<lb/> Umfang einer ihm übrigens ſo homogenen Kunſt erſchöpfe.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Wir müſſen für die Geſchichte der Malerei die Periode des Mittel-<lb/> alters theilweiſe länger ziehen, als dieß in der Geſchichte der Phantaſie<lb/> geſchehen iſt. Der Verlauf unſerer Darſtellung wird dieß begründen;<lb/> die Ueberſchrift zeigt es an durch den Zuſatz: Nachblüthe, der §. durch<lb/> den Satz, daß der Mythus den Stylmangel überdauert habe. — Wie<lb/> wir in der Lehre von der Sculptur überall das Weſen dieſer Kunſt mit<lb/> einem beſtimmten geſchichtlichen Ideale, dem claſſiſchen, zuſammenfallen<lb/> ſahen, ſo iſt es auch in der Lehre von der Malerei ſchwer zu vermeiden,<lb/> daß nicht in der Erörterung ihres Weſens bereits die Schilderung eines<lb/> beſtimmten Ideals, mit welchem daſſelbe ebenſo innig zuſammenfällt, des<lb/> romantiſchen nämlich, hier aber zugleich auch des modernen, hervorbreche.<lb/> Man vergleiche nur mit der Lehre vom Weſen der Malerei die Dar-<lb/> ſtellung zunächſt des mittelalterlichen Ideals in den angeführten §§.:<lb/> es ſetzt dem nicht aufgegebenen Mythus ein neues Herz ein, die Gefühls-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [700/0208]
Schönheit, im tiefen Verfall nur kümmerliche Reſte des antiken Formſinns
bewahrte. Dieſer Zuſtand bildete den Faden, der von der alten Kunſt
direct zu der neueren herüberführte, und der §. ſagt, daß das gut war,
weil die antike Kunſt in ihrer Vollkommenheit den zarten Keim des
neuen Lebens, das in dieſe Formen eine andere Seele eingießen ſollte,
durch die zwingende Macht ihres idealen Glanzes erdrückt hätte. Dieß
lautet noch ungenau: die Formen ſelbſt mußten verändert werden und
doch mußte etwas von ihnen bleiben. Nur der allgemeine Geiſt und
Hauch ihres Adels ſollte in freier Weiſe herüberfließen in eine anders ge-
ſtimmte Phantaſie, ſo daß dieſe, was dem neuen Syſteme des Ausdrucks,
der Haltung und Bewegung, das die chriſtliche Geiſteswelt forderte, nicht
entſprach, ausſtoßen und was ihm entſprach, ſelbſtändig wenden und um-
bilden konnte.
β. Die Malerei des Mittelalters, ihre Blüthe und
Nachblüthe.
§. 718.
Die Vergleichung des Weſens der Malerei mit den Grundzügen der
romantiſchen Phantaſie (§. 447—458) ergibt, daß dieſe in der bildenden Kunſt
weſentlich maleriſch war. Dennoch laſſen zwei Hinderniſſe, die neue My-
thenbildung und der Geiſt aſcetiſch weltloſer Innerlichkeit, deren erſteres das
letztere überdauert, nicht zu, daß dieſes Ideal die ganze Tiefe und den ganzen
Umfang einer ihm übrigens ſo homogenen Kunſt erſchöpfe.
Wir müſſen für die Geſchichte der Malerei die Periode des Mittel-
alters theilweiſe länger ziehen, als dieß in der Geſchichte der Phantaſie
geſchehen iſt. Der Verlauf unſerer Darſtellung wird dieß begründen;
die Ueberſchrift zeigt es an durch den Zuſatz: Nachblüthe, der §. durch
den Satz, daß der Mythus den Stylmangel überdauert habe. — Wie
wir in der Lehre von der Sculptur überall das Weſen dieſer Kunſt mit
einem beſtimmten geſchichtlichen Ideale, dem claſſiſchen, zuſammenfallen
ſahen, ſo iſt es auch in der Lehre von der Malerei ſchwer zu vermeiden,
daß nicht in der Erörterung ihres Weſens bereits die Schilderung eines
beſtimmten Ideals, mit welchem daſſelbe ebenſo innig zuſammenfällt, des
romantiſchen nämlich, hier aber zugleich auch des modernen, hervorbreche.
Man vergleiche nur mit der Lehre vom Weſen der Malerei die Dar-
ſtellung zunächſt des mittelalterlichen Ideals in den angeführten §§.:
es ſetzt dem nicht aufgegebenen Mythus ein neues Herz ein, die Gefühls-
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