bereits im Schluß d. Anm. zu §. 531 berührt. Es verhält sich also mit den Stoffen, wie mit den Stylen: wer das Aufkommen der sog. welt- lichen Stoffe beklagt, der muß auch den Sieg des ächt malerischen Styls als Ausdruck des Verfalls beurtheilen, wer dagegen dort naturgemäße Entwicklung sieht, der findet auch hier nichts Anderes, als eine Erhebung der Malerei zu der Form, die ihrem eigentsten Wesen entspricht.
a. Die Malerei des Alterthums.
§. 716.
1.
Nachdem der Orient auf der unreifen Vorstufe der nur mit einfacher Farbe ausgefüllten, das Aeußerliche menschlicher Formen, Zustände und Thätig- keiten zwar scharf charakterisirenden, Umrisse-Zeichnung ohne Kenntniß der 2.Perspective stehen geblieben war, entwickelte sich bei den Griechen die Malerei zur höchsten Vollkommenheit, welche innerhalb eines Standpuncts mög- lich ist, auf welchem der plastische Geist in dem ausschließend engen Sinne als bestimmendes Prinzip herrscht, daß die Farbengebung nur der Schönheit der Form dient. In diese Grenze eingeschlossen tritt zwar auch hier zugleich mit dem Unterschiede der Entwicklungsstufen des Styls (§. 531) eine relativ mehr malerische nach einer großartig plastischen Richtung auf und mit ihr gelangen, insbesondere nach der Verpflanzung der griechischen Kunst in das römische Reich, in naturgemäßem Kreislauf mehr und mehr die rein auf die ursprüng- liche Stoffwelt gegründeten Zweige zum Anbau; aber diese Wendung ist hier Ausdruck des beginnenden Verfalls.
1. Das Wesentliche der orientalischen Malerei ist in Anm. 1 zu §. 649 bereits bezeichnet und bedarf für unseren Zweck nur noch weniger Erläuterung, wobei wir uns an die ägyptische Malerei halten, denn sie ist die ausgebildetste und bekannteste. Wir wiederholen nicht, wie der symbolische Standpunct mit seinen Fratzenbildungen und die strenge Herrschaft des Typus in sämmtlichen Künsten aller Entwicklung zur freieren Schönheit im Wege stehen mußte, sondern heben zunächst hervor, was diese Malerei trotz allen Mängeln wirklich leistete. Die Zeichnung zeigt denn dasselbe tiefe Verständniß der Formen und Grundverhältnisse des Körpers wie die Plastik (in Indien ist sie auch hier weicher und bewegter, in Aegypten strenger gemessen); aber auch Haltung, Gebärde, Bewegung ist fein und scharf der Natur abgelauscht und fließend wieder- gegeben; hier kommt die freie Ausdehnung über das sittenbildliche Gebiet, Landbau, Handwerk, Jagd, Schifffahrt, Spiel, Kampf u. s. w. dem übrigens
bereits im Schluß d. Anm. zu §. 531 berührt. Es verhält ſich alſo mit den Stoffen, wie mit den Stylen: wer das Aufkommen der ſog. welt- lichen Stoffe beklagt, der muß auch den Sieg des ächt maleriſchen Styls als Ausdruck des Verfalls beurtheilen, wer dagegen dort naturgemäße Entwicklung ſieht, der findet auch hier nichts Anderes, als eine Erhebung der Malerei zu der Form, die ihrem eigentſten Weſen entſpricht.
α. Die Malerei des Alterthums.
§. 716.
1.
Nachdem der Orient auf der unreifen Vorſtufe der nur mit einfacher Farbe ausgefüllten, das Aeußerliche menſchlicher Formen, Zuſtände und Thätig- keiten zwar ſcharf charakteriſirenden, Umriſſe-Zeichnung ohne Kenntniß der 2.Perſpective ſtehen geblieben war, entwickelte ſich bei den Griechen die Malerei zur höchſten Vollkommenheit, welche innerhalb eines Standpuncts mög- lich iſt, auf welchem der plaſtiſche Geiſt in dem ausſchließend engen Sinne als beſtimmendes Prinzip herrſcht, daß die Farbengebung nur der Schönheit der Form dient. In dieſe Grenze eingeſchloſſen tritt zwar auch hier zugleich mit dem Unterſchiede der Entwicklungsſtufen des Styls (§. 531) eine relativ mehr maleriſche nach einer großartig plaſtiſchen Richtung auf und mit ihr gelangen, insbeſondere nach der Verpflanzung der griechiſchen Kunſt in das römiſche Reich, in naturgemäßem Kreislauf mehr und mehr die rein auf die urſprüng- liche Stoffwelt gegründeten Zweige zum Anbau; aber dieſe Wendung iſt hier Ausdruck des beginnenden Verfalls.
1. Das Weſentliche der orientaliſchen Malerei iſt in Anm. 1 zu §. 649 bereits bezeichnet und bedarf für unſeren Zweck nur noch weniger Erläuterung, wobei wir uns an die ägyptiſche Malerei halten, denn ſie iſt die ausgebildetſte und bekannteſte. Wir wiederholen nicht, wie der ſymboliſche Standpunct mit ſeinen Fratzenbildungen und die ſtrenge Herrſchaft des Typus in ſämmtlichen Künſten aller Entwicklung zur freieren Schönheit im Wege ſtehen mußte, ſondern heben zunächſt hervor, was dieſe Malerei trotz allen Mängeln wirklich leiſtete. Die Zeichnung zeigt denn daſſelbe tiefe Verſtändniß der Formen und Grundverhältniſſe des Körpers wie die Plaſtik (in Indien iſt ſie auch hier weicher und bewegter, in Aegypten ſtrenger gemeſſen); aber auch Haltung, Gebärde, Bewegung iſt fein und ſcharf der Natur abgelauſcht und fließend wieder- gegeben; hier kommt die freie Ausdehnung über das ſittenbildliche Gebiet, Landbau, Handwerk, Jagd, Schifffahrt, Spiel, Kampf u. ſ. w. dem übrigens
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bereits im Schluß d. Anm. zu §. 531 berührt. Es verhält ſich alſo mit
den Stoffen, wie mit den Stylen: wer das Aufkommen der ſog. welt-
lichen Stoffe beklagt, der muß auch den Sieg des ächt maleriſchen Styls
als Ausdruck des Verfalls beurtheilen, wer dagegen dort naturgemäße
Entwicklung ſieht, der findet auch hier nichts Anderes, als eine Erhebung
der Malerei zu der Form, die ihrem eigentſten Weſen entſpricht.
α. Die Malerei des Alterthums.
§. 716.
Nachdem der Orient auf der unreifen Vorſtufe der nur mit einfacher
Farbe ausgefüllten, das Aeußerliche menſchlicher Formen, Zuſtände und Thätig-
keiten zwar ſcharf charakteriſirenden, Umriſſe-Zeichnung ohne Kenntniß der
Perſpective ſtehen geblieben war, entwickelte ſich bei den Griechen die
Malerei zur höchſten Vollkommenheit, welche innerhalb eines Standpuncts mög-
lich iſt, auf welchem der plaſtiſche Geiſt in dem ausſchließend engen Sinne als
beſtimmendes Prinzip herrſcht, daß die Farbengebung nur der Schönheit der Form
dient. In dieſe Grenze eingeſchloſſen tritt zwar auch hier zugleich mit dem
Unterſchiede der Entwicklungsſtufen des Styls (§. 531) eine relativ mehr
maleriſche nach einer großartig plaſtiſchen Richtung auf und mit ihr gelangen,
insbeſondere nach der Verpflanzung der griechiſchen Kunſt in das römiſche
Reich, in naturgemäßem Kreislauf mehr und mehr die rein auf die urſprüng-
liche Stoffwelt gegründeten Zweige zum Anbau; aber dieſe Wendung iſt hier
Ausdruck des beginnenden Verfalls.
1. Das Weſentliche der orientaliſchen Malerei iſt in Anm. 1
zu §. 649 bereits bezeichnet und bedarf für unſeren Zweck nur noch
weniger Erläuterung, wobei wir uns an die ägyptiſche Malerei halten,
denn ſie iſt die ausgebildetſte und bekannteſte. Wir wiederholen nicht,
wie der ſymboliſche Standpunct mit ſeinen Fratzenbildungen und die ſtrenge
Herrſchaft des Typus in ſämmtlichen Künſten aller Entwicklung zur
freieren Schönheit im Wege ſtehen mußte, ſondern heben zunächſt hervor,
was dieſe Malerei trotz allen Mängeln wirklich leiſtete. Die Zeichnung
zeigt denn daſſelbe tiefe Verſtändniß der Formen und Grundverhältniſſe
des Körpers wie die Plaſtik (in Indien iſt ſie auch hier weicher und
bewegter, in Aegypten ſtrenger gemeſſen); aber auch Haltung, Gebärde,
Bewegung iſt fein und ſcharf der Natur abgelauſcht und fließend wieder-
gegeben; hier kommt die freie Ausdehnung über das ſittenbildliche Gebiet,
Landbau, Handwerk, Jagd, Schifffahrt, Spiel, Kampf u. ſ. w. dem übrigens
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/202>, abgerufen am 05.07.2024.
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