schon ausgesprochen; das Kunstwerk ist daran geheftet und schwebt doch davon weg, daran gefesselt und doch nur ein Hauch, ein Ueberzug, dessen eigene, äußerst dünne Masse ebenfalls für sich Null ist, ein Anflug, der, ohne doch diese Bindung entbehren zu können, hinüberfliegt in den Zu- schauer in jedem Moment, wo ein solcher da ist. Das Bild braucht Licht von außen, aber nicht so wie das plastische Werk: dieses bedarf seiner noch im Mittelpuncte des Aesthetischen selbst, denn es soll seine Formen aufzeigen, jenes rein äußerlich, denn es hat das Licht, wie es ästhetisch im Bilde wirken, Formen aufzeigen, sich zudem in Farben brechen soll, sich selbst gegeben, und nur damit man dieß Licht mit all seinen Wirkun- gen sehe, bedarf es des äußern Lichtes; es ist also auch damit, daß dieses nur Mittel ist (vergl. §. 599, 2.), jetzt erst wahrer Ernst geworden. Natürlich ist nun auch die Schwere verschwunden und die tiefgreifen- den Folgen, die sich insbesondere aus diesem Versprung für Inhalt und Geist der Darstellung ergeben, werden sich zeigen. Da mit der Schwere auch die Ausdehnung nur eine scheinbare geworden ist, so kann man eigentlich nicht, wie Hegel (Aesth. Th. 3, S. 19.) sagen, die Malerei tilge nur eine der Dimensionen, nämlich die Tiefe. Die Erstreckung in Höhe und Breite ist ebensosehr bloßer Schein wie die Erstreckung in die Tiefe; der Unterschied ist freilich der, daß jene noch auf der wirklichen Fläche mit Linien angegeben werden, welche den Ausdehnungen des nach- geahmten Stoffs in ihren wahren Maaßen entsprechen, diese aber nur durch eine optische Scheinveränderung derselben Linien und durch die flüssigen Mittel der Farbe angegeben wird; allein auch jener Theil ist ja nicht Grenzbestimmung eines wirklich Ausgedehnten, die Ausdehnung des Körpers der Fläche, auf welche gemalt wird, ist ja nur ein außerhalb des Aesthetischen der Technik liegendes Mittel, den Schein der Ausdehnung daran zu heften. Es sind also genauer zwei Arten des Scheins, die Nachahmung der Tiefe ist nur in noch engerem Sinne Schein, als die der Höhe und Breite. Der große Gewinn ist nun aber, daß das Kunst- werk, indem es die Tiefe in dieser besondern Art des Scheins behandelt, den Zuschauer in beliebige Tiefe fortführen kann, während das Relief fast keine, das volle Sculpturwerk nur sehr mäßige Tiefe haben darf. Die wahre Bedeutung auch dieses Vortheils wird erst im Weitern sich ergeben. Wie nun aber alle Art der Ausdehnung zu einer nur scheinbaren gewor- den ist, so hat jetzt die Kunst die weitere wesentliche Freiheit gewonnen, daß auch alle Größenverhältnisse rein relativ werden. Eine spannenlange Menschengestalt erscheint als Riese, wenn die Figur daneben in der Zahl von Maaßen, um welche ein gewöhnlicher Mensch kleiner ist, als ein Riese von bestimmter Größe, unter dessen Maaßstab steht: nur in der Zahl von Maaßen, ohne die Größe dieser Maaße in Wirklichkeit, dieß
ſchon ausgeſprochen; das Kunſtwerk iſt daran geheftet und ſchwebt doch davon weg, daran gefeſſelt und doch nur ein Hauch, ein Ueberzug, deſſen eigene, äußerſt dünne Maſſe ebenfalls für ſich Null iſt, ein Anflug, der, ohne doch dieſe Bindung entbehren zu können, hinüberfliegt in den Zu- ſchauer in jedem Moment, wo ein ſolcher da iſt. Das Bild braucht Licht von außen, aber nicht ſo wie das plaſtiſche Werk: dieſes bedarf ſeiner noch im Mittelpuncte des Aeſthetiſchen ſelbſt, denn es ſoll ſeine Formen aufzeigen, jenes rein äußerlich, denn es hat das Licht, wie es äſthetiſch im Bilde wirken, Formen aufzeigen, ſich zudem in Farben brechen ſoll, ſich ſelbſt gegeben, und nur damit man dieß Licht mit all ſeinen Wirkun- gen ſehe, bedarf es des äußern Lichtes; es iſt alſo auch damit, daß dieſes nur Mittel iſt (vergl. §. 599, 2.), jetzt erſt wahrer Ernſt geworden. Natürlich iſt nun auch die Schwere verſchwunden und die tiefgreifen- den Folgen, die ſich insbeſondere aus dieſem Verſprung für Inhalt und Geiſt der Darſtellung ergeben, werden ſich zeigen. Da mit der Schwere auch die Ausdehnung nur eine ſcheinbare geworden iſt, ſo kann man eigentlich nicht, wie Hegel (Aeſth. Th. 3, S. 19.) ſagen, die Malerei tilge nur eine der Dimenſionen, nämlich die Tiefe. Die Erſtreckung in Höhe und Breite iſt ebenſoſehr bloßer Schein wie die Erſtreckung in die Tiefe; der Unterſchied iſt freilich der, daß jene noch auf der wirklichen Fläche mit Linien angegeben werden, welche den Ausdehnungen des nach- geahmten Stoffs in ihren wahren Maaßen entſprechen, dieſe aber nur durch eine optiſche Scheinveränderung derſelben Linien und durch die flüſſigen Mittel der Farbe angegeben wird; allein auch jener Theil iſt ja nicht Grenzbeſtimmung eines wirklich Ausgedehnten, die Ausdehnung des Körpers der Fläche, auf welche gemalt wird, iſt ja nur ein außerhalb des Aeſthetiſchen der Technik liegendes Mittel, den Schein der Ausdehnung daran zu heften. Es ſind alſo genauer zwei Arten des Scheins, die Nachahmung der Tiefe iſt nur in noch engerem Sinne Schein, als die der Höhe und Breite. Der große Gewinn iſt nun aber, daß das Kunſt- werk, indem es die Tiefe in dieſer beſondern Art des Scheins behandelt, den Zuſchauer in beliebige Tiefe fortführen kann, während das Relief faſt keine, das volle Sculpturwerk nur ſehr mäßige Tiefe haben darf. Die wahre Bedeutung auch dieſes Vortheils wird erſt im Weitern ſich ergeben. Wie nun aber alle Art der Ausdehnung zu einer nur ſcheinbaren gewor- den iſt, ſo hat jetzt die Kunſt die weitere weſentliche Freiheit gewonnen, daß auch alle Größenverhältniſſe rein relativ werden. Eine ſpannenlange Menſchengeſtalt erſcheint als Rieſe, wenn die Figur daneben in der Zahl von Maaßen, um welche ein gewöhnlicher Menſch kleiner iſt, als ein Rieſe von beſtimmter Größe, unter deſſen Maaßſtab ſteht: nur in der Zahl von Maaßen, ohne die Größe dieſer Maaße in Wirklichkeit, dieß
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[512/0020]
ſchon ausgeſprochen; das Kunſtwerk iſt daran geheftet und ſchwebt doch
davon weg, daran gefeſſelt und doch nur ein Hauch, ein Ueberzug, deſſen
eigene, äußerſt dünne Maſſe ebenfalls für ſich Null iſt, ein Anflug, der,
ohne doch dieſe Bindung entbehren zu können, hinüberfliegt in den Zu-
ſchauer in jedem Moment, wo ein ſolcher da iſt. Das Bild braucht Licht
von außen, aber nicht ſo wie das plaſtiſche Werk: dieſes bedarf ſeiner
noch im Mittelpuncte des Aeſthetiſchen ſelbſt, denn es ſoll ſeine Formen
aufzeigen, jenes rein äußerlich, denn es hat das Licht, wie es äſthetiſch
im Bilde wirken, Formen aufzeigen, ſich zudem in Farben brechen ſoll,
ſich ſelbſt gegeben, und nur damit man dieß Licht mit all ſeinen Wirkun-
gen ſehe, bedarf es des äußern Lichtes; es iſt alſo auch damit, daß dieſes
nur Mittel iſt (vergl. §. 599, 2.), jetzt erſt wahrer Ernſt geworden.
Natürlich iſt nun auch die Schwere verſchwunden und die tiefgreifen-
den Folgen, die ſich insbeſondere aus dieſem Verſprung für Inhalt und
Geiſt der Darſtellung ergeben, werden ſich zeigen. Da mit der Schwere
auch die Ausdehnung nur eine ſcheinbare geworden iſt, ſo kann man
eigentlich nicht, wie Hegel (Aeſth. Th. 3, S. 19.) ſagen, die Malerei
tilge nur eine der Dimenſionen, nämlich die Tiefe. Die Erſtreckung in
Höhe und Breite iſt ebenſoſehr bloßer Schein wie die Erſtreckung in die
Tiefe; der Unterſchied iſt freilich der, daß jene noch auf der wirklichen
Fläche mit Linien angegeben werden, welche den Ausdehnungen des nach-
geahmten Stoffs in ihren wahren Maaßen entſprechen, dieſe aber nur
durch eine optiſche Scheinveränderung derſelben Linien und durch die
flüſſigen Mittel der Farbe angegeben wird; allein auch jener Theil iſt ja
nicht Grenzbeſtimmung eines wirklich Ausgedehnten, die Ausdehnung des
Körpers der Fläche, auf welche gemalt wird, iſt ja nur ein außerhalb
des Aeſthetiſchen der Technik liegendes Mittel, den Schein der Ausdehnung
daran zu heften. Es ſind alſo genauer zwei Arten des Scheins, die
Nachahmung der Tiefe iſt nur in noch engerem Sinne Schein, als die
der Höhe und Breite. Der große Gewinn iſt nun aber, daß das Kunſt-
werk, indem es die Tiefe in dieſer beſondern Art des Scheins behandelt,
den Zuſchauer in beliebige Tiefe fortführen kann, während das Relief faſt
keine, das volle Sculpturwerk nur ſehr mäßige Tiefe haben darf. Die
wahre Bedeutung auch dieſes Vortheils wird erſt im Weitern ſich ergeben.
Wie nun aber alle Art der Ausdehnung zu einer nur ſcheinbaren gewor-
den iſt, ſo hat jetzt die Kunſt die weitere weſentliche Freiheit gewonnen,
daß auch alle Größenverhältniſſe rein relativ werden. Eine ſpannenlange
Menſchengeſtalt erſcheint als Rieſe, wenn die Figur daneben in der Zahl
von Maaßen, um welche ein gewöhnlicher Menſch kleiner iſt, als ein
Rieſe von beſtimmter Größe, unter deſſen Maaßſtab ſteht: nur in der
Zahl von Maaßen, ohne die Größe dieſer Maaße in Wirklichkeit, dieß
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/20>, abgerufen am 16.07.2024.
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