Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.Handeln, das Menschenloos an schrecklichem Leiden großer Menschen- 2. Geht die Scene eines solchen Bilds im Freien vor sich, so hat Handeln, das Menſchenloos an ſchrecklichem Leiden großer Menſchen- 2. Geht die Scene eines ſolchen Bilds im Freien vor ſich, ſo hat <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <pb facs="#f0192" n="684"/> <hi rendition="#et">Handeln, das Menſchenloos an ſchrecklichem Leiden großer Menſchen-<lb/> Maſſen dargeſtellt: dieß iſt epiſches, ſittenbildliches Geſchichtsbild. Die<lb/> zwei genannten Formen ſind im Gebrauche geläufiger Unterſcheidung;<lb/> das Schlachtbild gehört aber hieher nur, wenn nicht im Mittelpuncte der<lb/> Heros mit ſolchem Ausdruck hervortritt, daß die Idee, die innere Bedeu-<lb/> tung, der nationale, politiſche Conflict, welcher die Seele des ganzen<lb/> Kampfes iſt, in entſcheidender Weiſe aus dem inſtinctmäßigeren, dem in-<lb/> nern Conflict fremderen Erweiſen der Tapferkeit in den Maſſen ſichtbar<lb/> herausleuchtet. Die neuere Kriegsführung, worin die nationalen, politi-<lb/> tiſchen Urheber entweder gar nicht, oder wenn ſie, wie z. B Napoleon,<lb/> zugleich die Feldherren ſind, nicht phyſiſch, ſondern nur intellectuell aus<lb/> der Ferne leitend am Kampfe Theil nehmen, gibt daher auch in der<lb/> hiſtoriſchen Schlacht meiſt nur zu dieſer ſittenbildlichen Gattung den Stoff.<lb/> Es iſt ſchwer, in der neueren Geſchichte einen Gegenſtand zu finden, wie<lb/> er in der herrlichen Moſaik von Pompeji, der Schlacht bei Iſſus, gegeben<lb/> war: hier ſteht der Occident und der Orient, der Jünglings-Heros des<lb/> griechiſchen Geiſts und die zuſammenbrechende Herrlichkeit des perſiſchen<lb/> Deſpotiſmus im Schlage der vollen Kataſtrophe, im Augenblick der bluti-<lb/> gen Kriſe ſich gegenüber: das iſt ächt geſchichtliches Schlachtbild. Die<lb/> Uniformität der Ordnung, Kleidung, Kampfesweiſe kommt in der neueren<lb/> Zeit hinzu, den nur genreartigen Charakter zu vollenden. Der Krieg hat<lb/> allerdings in der neueſten Zeit günſtige Culturformen aufgeſchloſſen, na-<lb/> mentlich in Algier, aber da fehlt es an der monumentalen Größe der<lb/> Idee überhaupt und in der Erſcheinung am eigentlichen Heros; will man<lb/> einen Abdel Kader als ſolchen nehmen, ſo vermißt man ihn doch auf der<lb/> andern Seite, denn der franzöſiſche General, ſo geſchickt und tapfer er<lb/> ſein mag, iſt doch nicht das, was hier unter jenem Worte verſtanden<lb/> wird: poſitiver Träger und Vorfechter einer hiſtoriſchen Idee; die Bilder<lb/> H. Vernets, ſo meiſterhaft ſie ſind, ſind doch nicht reine, ſondern ſitten-<lb/> bildliche Geſchichtsbilder.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Geht die Scene eines ſolchen Bilds im Freien vor ſich, ſo hat<lb/> eben wegen des ſittenbildlichen Charakters die Landſchaft große äſthetiſche<lb/> Geltung neben dem Vorgang in der Menſchenwelt; geht ſie im geſchloſ-<lb/> ſenen Raume vor ſich, ſo intereſſirt der Maler auch für Geräthe, Archi-<lb/> tektur u. ſ. w.; in beiden Fällen wird auf Tracht, Umgangsform, Kampfes-<lb/> weiſe und dgl. ein Gewicht gelegt, das bei der ſtrengeren Form verſchwin-<lb/> den wird. Dieß Gewicht der Culturformen iſt ſchon zu <hi rendition="#sub">1.</hi> hervorgehoben;<lb/> hier iſt außer der Landſchaft noch ein anderer Punct zu erwähnen: es<lb/> liegt nämlich in der Natur der Sache, daß der Künſtler in ſolchen ge-<lb/> ſchichtlichen Actionen gern eine Zuſammenſtellung von wirklichen Porträts<lb/> geben wird. Wir haben alſo jetzt ein Gebiet vor uns, wo das Geſchichts-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [684/0192]
Handeln, das Menſchenloos an ſchrecklichem Leiden großer Menſchen-
Maſſen dargeſtellt: dieß iſt epiſches, ſittenbildliches Geſchichtsbild. Die
zwei genannten Formen ſind im Gebrauche geläufiger Unterſcheidung;
das Schlachtbild gehört aber hieher nur, wenn nicht im Mittelpuncte der
Heros mit ſolchem Ausdruck hervortritt, daß die Idee, die innere Bedeu-
tung, der nationale, politiſche Conflict, welcher die Seele des ganzen
Kampfes iſt, in entſcheidender Weiſe aus dem inſtinctmäßigeren, dem in-
nern Conflict fremderen Erweiſen der Tapferkeit in den Maſſen ſichtbar
herausleuchtet. Die neuere Kriegsführung, worin die nationalen, politi-
tiſchen Urheber entweder gar nicht, oder wenn ſie, wie z. B Napoleon,
zugleich die Feldherren ſind, nicht phyſiſch, ſondern nur intellectuell aus
der Ferne leitend am Kampfe Theil nehmen, gibt daher auch in der
hiſtoriſchen Schlacht meiſt nur zu dieſer ſittenbildlichen Gattung den Stoff.
Es iſt ſchwer, in der neueren Geſchichte einen Gegenſtand zu finden, wie
er in der herrlichen Moſaik von Pompeji, der Schlacht bei Iſſus, gegeben
war: hier ſteht der Occident und der Orient, der Jünglings-Heros des
griechiſchen Geiſts und die zuſammenbrechende Herrlichkeit des perſiſchen
Deſpotiſmus im Schlage der vollen Kataſtrophe, im Augenblick der bluti-
gen Kriſe ſich gegenüber: das iſt ächt geſchichtliches Schlachtbild. Die
Uniformität der Ordnung, Kleidung, Kampfesweiſe kommt in der neueren
Zeit hinzu, den nur genreartigen Charakter zu vollenden. Der Krieg hat
allerdings in der neueſten Zeit günſtige Culturformen aufgeſchloſſen, na-
mentlich in Algier, aber da fehlt es an der monumentalen Größe der
Idee überhaupt und in der Erſcheinung am eigentlichen Heros; will man
einen Abdel Kader als ſolchen nehmen, ſo vermißt man ihn doch auf der
andern Seite, denn der franzöſiſche General, ſo geſchickt und tapfer er
ſein mag, iſt doch nicht das, was hier unter jenem Worte verſtanden
wird: poſitiver Träger und Vorfechter einer hiſtoriſchen Idee; die Bilder
H. Vernets, ſo meiſterhaft ſie ſind, ſind doch nicht reine, ſondern ſitten-
bildliche Geſchichtsbilder.
2. Geht die Scene eines ſolchen Bilds im Freien vor ſich, ſo hat
eben wegen des ſittenbildlichen Charakters die Landſchaft große äſthetiſche
Geltung neben dem Vorgang in der Menſchenwelt; geht ſie im geſchloſ-
ſenen Raume vor ſich, ſo intereſſirt der Maler auch für Geräthe, Archi-
tektur u. ſ. w.; in beiden Fällen wird auf Tracht, Umgangsform, Kampfes-
weiſe und dgl. ein Gewicht gelegt, das bei der ſtrengeren Form verſchwin-
den wird. Dieß Gewicht der Culturformen iſt ſchon zu 1. hervorgehoben;
hier iſt außer der Landſchaft noch ein anderer Punct zu erwähnen: es
liegt nämlich in der Natur der Sache, daß der Künſtler in ſolchen ge-
ſchichtlichen Actionen gern eine Zuſammenſtellung von wirklichen Porträts
geben wird. Wir haben alſo jetzt ein Gebiet vor uns, wo das Geſchichts-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |