Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
des zweiten Theils in großen Strichen gezeichneten Schauplatz mit dem Vischer's Aesthetik. 3. Band. 45
des zweiten Theils in großen Strichen gezeichneten Schauplatz mit dem Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 45
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des zweiten Theils in großen Strichen gezeichneten Schauplatz mit dem
Maaßſtab in der Hand, den die Lehre vom Weſen der Malerei gegeben
hat, ſo erhellt, daß die Stoffe der alten Geſchichte weniger maleriſch ſind,
als die der mittleren und neueren Zeit bis zum Eintritte der ganz un-
günſtigen Culturformen. Wir mußten dieß auch ſchon mehrmals ſo be-
ſtimmt ausſprechen, daß gerade an dieſer Stelle die Erörterung reif iſt,
um den Satz wieder zu beſchränken. Der Orient iſt deſpotiſch, ſtabil,
aber er hat ſeine Kämpfe, ſeine Revolutionen und Kriege, ſeine tragiſchen
Einzelſchickſale, dazu ſind ſeine Culturformen mehr maleriſch, als die claſ-
ſiſchen. Schon dieſe Fundgrube iſt lange nicht erſchöpft, ein Herodot, die
hebräiſche National-Literatur und andere Quellen ſind noch unendlich reich
an ungehobenen Schätzen. Da wir die Kenntniß der alten Culturformen
des Orients jetzt aus reichlichen Anſchauungsmitteln ſchöpfen und auch
in den gegenwärtigen und zugänglichen noch Vieles von jenen ſich erhal-
ten hat, ſo iſt die Thüre zu dieſem glänzenden Stoffgebiete weit aufgethan.
Aber auch die griechiſche und römiſche Geſchichte läßt ſich trotz dem pla-
ſtiſchen Charakter der Formen recht wohl im bewegten maleriſchen Geiſt
auffaſſen. Nachdem die David’ſche Schule in akademiſch correcter, theatra-
liſch pathetiſcher, die deutſchen Reformatoren, ein Karſtens und Wächter,
in ſchlicht großem, aber zu plaſtiſchem und allegoriſirendem Styl dieſe
Stoffe ergriffen haben, warf ſich der Zug des ächt maleriſchen Sinns mit
Recht auf die mittelalterlichen, dann die neueren Stoffe, aber geſichert
durch die Frucht dieſer Richtung dürfte die Kunſt nunmehr einſehen, daß
ſie in der Oppoſitionsſtellung jener claſſiſchen Welt auch Unrecht gethan
und ſich eine Fülle der großartigſten Motive verſchüttet hat. Wächter
mit ſeinem ſchlafenden Sokrates, ſeinem Julius Cäſar auf den Ruinen
Troja’s, Hetſch mit ſeinem Papirius Curſor und Marius auf den Trüm-
mern von Karthago hatten doch ganz würdig, dieſer weniger groß, aber
in maleriſch wärmerer Behandlung begonnen; die Stoffnoth, in der ſo
mancher tüchtige Künſtler ſeufzt, iſt lächerlich neben dieſer friſchen, grünen
Weide ringsherum. Wir haben im genannten Abſchnitt reiche Finger-
zeige zu gewaltigen Stoffen gegeben. Derſelbe erſpart uns auch eine
weitere Ausführung über die Epochen der Geſchichte, die an ſich mehr
maleriſch ſind. Das ſechzehnte Jahrhundert iſt beſonders günſtig, weil
es dem Geiſte nach der Aufgang der modernen Zeit iſt, ſeine Kämpfe
den unſrigen ſo tief verwandt und ſeine Culturformen ſo phantaſiereich
ſind. Der Inhalt jedes Kunſtwerks ſoll die Herzen und Geiſter im Mit-
telpuncte deſſen ergreifen und erſchüttern, was ſie allgemein menſchlich
und zugleich mit beſonderer Gewalt in der Gegenwart bewegt. Das
Schöne aber, das Geſetz der reinen Form, der Tendenzloſigkeit, der
unbefangenen Bewegung des Künſtlergeiſtes fordert vergangenen Stoff.
Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 45
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