doch entsprechen, trennt das zu eng Verbundene und leitet durch sanfte Linien das zu hart Getrennte ineinander über, vermittelt ebenso das Farbenleben und schafft hiedurch den einheitlichen Fluß und Guß des Ganzen.
§. 693.
1.
Zur Ausführung umfassender Ideen in großen cyklischen Tompositionen entfaltet sich auch die Malerei vorzüglich durch den Anschluß an die Baukunst, wodurch sie sich zugleich von der Beschränkung auf einen Zeitmoment relativ befreit. Der unbestimmtere Anklang gewisser Gesetze der räumlichen Anordnung, wie er im einzelnen Bild hervortritt, wird zur festen Bindung einer Vielheit 2.von Bildern. Die engste Form dieses Anschlusses ist die Wandmalerei; die plastische Stylrichtung fällt mit ihr naturgemäß zusammen; die monumentale Großartigkeit der Aufgabe fördert mächtig die Kunst, führt aber auch leicht zu den in §. 676 bezeichneten Abwegen.
1. Der §. holt nach, was bei der Erörterung cyklischer Darstellungen in der Sculptur noch nicht ausgesprochen ist: daß in diesen die bildende Kunst ihre räumliche Feßlung an Einen Zeitmoment in gewissem Sinn überwindet, indem sie vorhergehende und folgende Momente in aufein- anderfolgenden, zusammengestellten Bildern darstellt. Im Anschluß an die Architektur wird nun das Compositionsgesetz wieder einfacher, archi- tektonischer: das symmetrische Gegenüber, Oben und Unten mit den man- cherlei ärmeren oder reicheren Gruppirungen, die nach Anzahl und Be- ziehung der Bilder aus diesem Verhältniß hervorgehen können, ist durch die streng gemessene Form der Baukunst gegeben. Es entsprechen sich nicht nur einzelne Bilder, sondern auch fortlaufende Bilderreihen; das Gegenübergestellte und Mittlere ist sich an Größe gleich oder verschieden, z. B. ein größeres Mittelbild von kleineren umgeben u. s. w. Umfassende Ideen finden nun den genügenden Raum, sich auszuleben, der denkende Künstler hat ein großartiges Feld für Gliederung ihrer Momente und sinnreiche Wechselbeziehung derselben. In der altchristlichen Basilika boten sich die Mauer-Flächen über den Säulen des Mittelschiffs als der an- gemessenste Raum, um hier, in dieser Bahn zum Allerheiligsten, die großen alttestamentlichen Vorbilder, Kämpfe und Schicksale darzustellen, auf denen die christliche Kirche sich auferbaute, der Triumphbogen deutete in großen Symbolen und Allegorien auf das Allerheiligste, die Tribuna, wo nun der Erlöser selbst in persönlicher Majestät den Blicken entgegen- trat. Die Nebenschiffe, auch die Außenseiten der Kirche, konnten diese rhythmische Folge in reicher Weise weiter ausbilden. Monumentale Bau- werke jeder Art, die Kreuzgänge der Klöster, die Hallen der Begräbniß-
doch entſprechen, trennt das zu eng Verbundene und leitet durch ſanfte Linien das zu hart Getrennte ineinander über, vermittelt ebenſo das Farbenleben und ſchafft hiedurch den einheitlichen Fluß und Guß des Ganzen.
§. 693.
1.
Zur Ausführung umfaſſender Ideen in großen cykliſchen Tompoſitionen entfaltet ſich auch die Malerei vorzüglich durch den Anſchluß an die Baukunſt, wodurch ſie ſich zugleich von der Beſchränkung auf einen Zeitmoment relativ befreit. Der unbeſtimmtere Anklang gewiſſer Geſetze der räumlichen Anordnung, wie er im einzelnen Bild hervortritt, wird zur feſten Bindung einer Vielheit 2.von Bildern. Die engſte Form dieſes Anſchluſſes iſt die Wandmalerei; die plaſtiſche Stylrichtung fällt mit ihr naturgemäß zuſammen; die monumentale Großartigkeit der Aufgabe fördert mächtig die Kunſt, führt aber auch leicht zu den in §. 676 bezeichneten Abwegen.
1. Der §. holt nach, was bei der Erörterung cykliſcher Darſtellungen in der Sculptur noch nicht ausgeſprochen iſt: daß in dieſen die bildende Kunſt ihre räumliche Feßlung an Einen Zeitmoment in gewiſſem Sinn überwindet, indem ſie vorhergehende und folgende Momente in aufein- anderfolgenden, zuſammengeſtellten Bildern darſtellt. Im Anſchluß an die Architektur wird nun das Compoſitionsgeſetz wieder einfacher, archi- tektoniſcher: das ſymmetriſche Gegenüber, Oben und Unten mit den man- cherlei ärmeren oder reicheren Gruppirungen, die nach Anzahl und Be- ziehung der Bilder aus dieſem Verhältniß hervorgehen können, iſt durch die ſtreng gemeſſene Form der Baukunſt gegeben. Es entſprechen ſich nicht nur einzelne Bilder, ſondern auch fortlaufende Bilderreihen; das Gegenübergeſtellte und Mittlere iſt ſich an Größe gleich oder verſchieden, z. B. ein größeres Mittelbild von kleineren umgeben u. ſ. w. Umfaſſende Ideen finden nun den genügenden Raum, ſich auszuleben, der denkende Künſtler hat ein großartiges Feld für Gliederung ihrer Momente und ſinnreiche Wechſelbeziehung derſelben. In der altchriſtlichen Baſilika boten ſich die Mauer-Flächen über den Säulen des Mittelſchiffs als der an- gemeſſenſte Raum, um hier, in dieſer Bahn zum Allerheiligſten, die großen altteſtamentlichen Vorbilder, Kämpfe und Schickſale darzuſtellen, auf denen die chriſtliche Kirche ſich auferbaute, der Triumphbogen deutete in großen Symbolen und Allegorien auf das Allerheiligſte, die Tribuna, wo nun der Erlöſer ſelbſt in perſönlicher Majeſtät den Blicken entgegen- trat. Die Nebenſchiffe, auch die Außenſeiten der Kirche, konnten dieſe rhythmiſche Folge in reicher Weiſe weiter ausbilden. Monumentale Bau- werke jeder Art, die Kreuzgänge der Klöſter, die Hallen der Begräbniß-
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[632/0140]
doch entſprechen, trennt das zu eng Verbundene und leitet durch ſanfte
Linien das zu hart Getrennte ineinander über, vermittelt ebenſo das
Farbenleben und ſchafft hiedurch den einheitlichen Fluß und Guß des Ganzen.
§. 693.
Zur Ausführung umfaſſender Ideen in großen cykliſchen Tompoſitionen
entfaltet ſich auch die Malerei vorzüglich durch den Anſchluß an die Baukunſt,
wodurch ſie ſich zugleich von der Beſchränkung auf einen Zeitmoment relativ
befreit. Der unbeſtimmtere Anklang gewiſſer Geſetze der räumlichen Anordnung,
wie er im einzelnen Bild hervortritt, wird zur feſten Bindung einer Vielheit
von Bildern. Die engſte Form dieſes Anſchluſſes iſt die Wandmalerei; die
plaſtiſche Stylrichtung fällt mit ihr naturgemäß zuſammen; die monumentale
Großartigkeit der Aufgabe fördert mächtig die Kunſt, führt aber auch leicht zu
den in §. 676 bezeichneten Abwegen.
1. Der §. holt nach, was bei der Erörterung cykliſcher Darſtellungen
in der Sculptur noch nicht ausgeſprochen iſt: daß in dieſen die bildende
Kunſt ihre räumliche Feßlung an Einen Zeitmoment in gewiſſem Sinn
überwindet, indem ſie vorhergehende und folgende Momente in aufein-
anderfolgenden, zuſammengeſtellten Bildern darſtellt. Im Anſchluß an
die Architektur wird nun das Compoſitionsgeſetz wieder einfacher, archi-
tektoniſcher: das ſymmetriſche Gegenüber, Oben und Unten mit den man-
cherlei ärmeren oder reicheren Gruppirungen, die nach Anzahl und Be-
ziehung der Bilder aus dieſem Verhältniß hervorgehen können, iſt durch
die ſtreng gemeſſene Form der Baukunſt gegeben. Es entſprechen ſich
nicht nur einzelne Bilder, ſondern auch fortlaufende Bilderreihen; das
Gegenübergeſtellte und Mittlere iſt ſich an Größe gleich oder verſchieden,
z. B. ein größeres Mittelbild von kleineren umgeben u. ſ. w. Umfaſſende
Ideen finden nun den genügenden Raum, ſich auszuleben, der denkende
Künſtler hat ein großartiges Feld für Gliederung ihrer Momente und
ſinnreiche Wechſelbeziehung derſelben. In der altchriſtlichen Baſilika boten
ſich die Mauer-Flächen über den Säulen des Mittelſchiffs als der an-
gemeſſenſte Raum, um hier, in dieſer Bahn zum Allerheiligſten, die
großen altteſtamentlichen Vorbilder, Kämpfe und Schickſale darzuſtellen,
auf denen die chriſtliche Kirche ſich auferbaute, der Triumphbogen deutete
in großen Symbolen und Allegorien auf das Allerheiligſte, die Tribuna,
wo nun der Erlöſer ſelbſt in perſönlicher Majeſtät den Blicken entgegen-
trat. Die Nebenſchiffe, auch die Außenſeiten der Kirche, konnten dieſe
rhythmiſche Folge in reicher Weiſe weiter ausbilden. Monumentale Bau-
werke jeder Art, die Kreuzgänge der Klöſter, die Hallen der Begräbniß-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/140>, abgerufen am 16.02.2025.
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