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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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Contraste die Handlung des Petrus, indem er durch den Fingerzeig
nach oben das eben Eingetretene als göttliches Strafgericht bezeichnet,)
und Zuschauende (die übrigen Jünger sehen mit Entsetzen den furcht-
baren Auftritt). Es versteht sich nun, daß die Symmetrie selbst bei sol-
chen normal einfachen Compositionen keine geometrisch einförmige sein
darf, sonst wäre es wohl numerische, aber nicht qualitative Vielheit,
was durch sie in beziehungreicher Sonderung auseinandergehalten wird.
Der Künstler muß außer den stärkeren Abweichungen von der starren
Regelmäßigkeit hiefür dadurch sorgen, daß er das ganze ungesuchte Wal-
ten der Zufälligkeiten neben den festen Hauptmomenten hindurchspielen
läßt, und zwar dieß auch dann, wenn das ästhetische Motiv selbst es,
wie oben erwähnt ist, mit sich bringt, daß eine gewisse Einförmigkeit eine
ganze Seite beherrscht, wie z. B. eine Flucht, eine gleichmäßige stürmische
Bewegung einer Leidenschaft u. s. w. So zeigen die entsetzten Zuschauer
aus dem Volke auf der linken. Seite von Raphaels Bild: die Vertreibung
des Heliodorus aus dem Tempel von Jerusalem einen gemeinsamen Wurf
wie vom Winde nach einer Seite hingewehte Bäume, aber mit der größten
Genialität sind sie in Formen, Bewegungen, Ausdruck wieder verschieden
behandelt; auf der oben dargestellten Composition hat der Künstler, damit die
Symmetrie nicht zu fühlbar werde, neben allen Unterschieden der Indivi-
duen, ihres Affects, ihrer Bewegung schließlich noch im Hintergrunde da-
durch für den nöthigen Wechsel gesorgt, daß er sich rechts durch Architektur
abschließt, während links sich eine Landschaft öffnet. -- Was nun die
Richtung in die Tiefe betrifft, so haben wir seines Orts bereits von der
Bedeutung der Hauptabstufungen, von der Haltung, die durch die Be-
stimmtheit ihrer Unterscheidung in das Ganze kommt, das Wesentliche
ausgesprochen. Im gegenwärtigen Zusammenhang ist zunächst abgesehen
von der Beziehung zu der Composition nach Breite und Höhe noch zu
bemerken, daß dem anordnenden Künstler nach dieser Seite in der Aus-
führung immer noch gewisse spezielle Aufgaben begegnen werden. So
wird er insbesondere auch bei dem günstigsten Naturvorbilde selten den
Vordergrund wirksam genug finden; derbe Massen und Gestalten in ver-
stärkter Kraft des Lichts und noch mehr des Schattens werden hier an-
gebracht werden müssen, um das Uebrige energisch zurückzutreiben; Rott-
mann liebt z. B. im Vordergrund eine schattige Quelle, einen Teich mit
stark modellirten Erdformen, energischer Vegetation, um der Sonnengluth
der südlichen, ausgetrockneten Landschaft das Gefühl der Kühle adstringirend
gegenüberzustellen; die Malerei der Verfallszeiten mit ihrer akademischen
Schablone hat freilich auch hier in den stehenden groben Klötzen der sog.
repoussoirs die Absichtlichkeit und den Mechanismus schreiend zu Markte
gebracht. Es ist nun aber mit der Richtung in die Tiefe ein neuer

Contraſte die Handlung des Petrus, indem er durch den Fingerzeig
nach oben das eben Eingetretene als göttliches Strafgericht bezeichnet,)
und Zuſchauende (die übrigen Jünger ſehen mit Entſetzen den furcht-
baren Auftritt). Es verſteht ſich nun, daß die Symmetrie ſelbſt bei ſol-
chen normal einfachen Compoſitionen keine geometriſch einförmige ſein
darf, ſonſt wäre es wohl numeriſche, aber nicht qualitative Vielheit,
was durch ſie in beziehungreicher Sonderung auseinandergehalten wird.
Der Künſtler muß außer den ſtärkeren Abweichungen von der ſtarren
Regelmäßigkeit hiefür dadurch ſorgen, daß er das ganze ungeſuchte Wal-
ten der Zufälligkeiten neben den feſten Hauptmomenten hindurchſpielen
läßt, und zwar dieß auch dann, wenn das äſthetiſche Motiv ſelbſt es,
wie oben erwähnt iſt, mit ſich bringt, daß eine gewiſſe Einförmigkeit eine
ganze Seite beherrſcht, wie z. B. eine Flucht, eine gleichmäßige ſtürmiſche
Bewegung einer Leidenſchaft u. ſ. w. So zeigen die entſetzten Zuſchauer
aus dem Volke auf der linken. Seite von Raphaels Bild: die Vertreibung
des Heliodorus aus dem Tempel von Jeruſalem einen gemeinſamen Wurf
wie vom Winde nach einer Seite hingewehte Bäume, aber mit der größten
Genialität ſind ſie in Formen, Bewegungen, Ausdruck wieder verſchieden
behandelt; auf der oben dargeſtellten Compoſition hat der Künſtler, damit die
Symmetrie nicht zu fühlbar werde, neben allen Unterſchieden der Indivi-
duen, ihres Affects, ihrer Bewegung ſchließlich noch im Hintergrunde da-
durch für den nöthigen Wechſel geſorgt, daß er ſich rechts durch Architektur
abſchließt, während links ſich eine Landſchaft öffnet. — Was nun die
Richtung in die Tiefe betrifft, ſo haben wir ſeines Orts bereits von der
Bedeutung der Hauptabſtufungen, von der Haltung, die durch die Be-
ſtimmtheit ihrer Unterſcheidung in das Ganze kommt, das Weſentliche
ausgeſprochen. Im gegenwärtigen Zuſammenhang iſt zunächſt abgeſehen
von der Beziehung zu der Compoſition nach Breite und Höhe noch zu
bemerken, daß dem anordnenden Künſtler nach dieſer Seite in der Aus-
führung immer noch gewiſſe ſpezielle Aufgaben begegnen werden. So
wird er insbeſondere auch bei dem günſtigſten Naturvorbilde ſelten den
Vordergrund wirkſam genug finden; derbe Maſſen und Geſtalten in ver-
ſtärkter Kraft des Lichts und noch mehr des Schattens werden hier an-
gebracht werden müſſen, um das Uebrige energiſch zurückzutreiben; Rott-
mann liebt z. B. im Vordergrund eine ſchattige Quelle, einen Teich mit
ſtark modellirten Erdformen, energiſcher Vegetation, um der Sonnengluth
der ſüdlichen, ausgetrockneten Landſchaft das Gefühl der Kühle adſtringirend
gegenüberzuſtellen; die Malerei der Verfallszeiten mit ihrer akademiſchen
Schablone hat freilich auch hier in den ſtehenden groben Klötzen der ſog.
repoussoirs die Abſichtlichkeit und den Mechaniſmus ſchreiend zu Markte
gebracht. Es iſt nun aber mit der Richtung in die Tiefe ein neuer

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[624/0132] Contraſte die Handlung des Petrus, indem er durch den Fingerzeig nach oben das eben Eingetretene als göttliches Strafgericht bezeichnet,) und Zuſchauende (die übrigen Jünger ſehen mit Entſetzen den furcht- baren Auftritt). Es verſteht ſich nun, daß die Symmetrie ſelbſt bei ſol- chen normal einfachen Compoſitionen keine geometriſch einförmige ſein darf, ſonſt wäre es wohl numeriſche, aber nicht qualitative Vielheit, was durch ſie in beziehungreicher Sonderung auseinandergehalten wird. Der Künſtler muß außer den ſtärkeren Abweichungen von der ſtarren Regelmäßigkeit hiefür dadurch ſorgen, daß er das ganze ungeſuchte Wal- ten der Zufälligkeiten neben den feſten Hauptmomenten hindurchſpielen läßt, und zwar dieß auch dann, wenn das äſthetiſche Motiv ſelbſt es, wie oben erwähnt iſt, mit ſich bringt, daß eine gewiſſe Einförmigkeit eine ganze Seite beherrſcht, wie z. B. eine Flucht, eine gleichmäßige ſtürmiſche Bewegung einer Leidenſchaft u. ſ. w. So zeigen die entſetzten Zuſchauer aus dem Volke auf der linken. Seite von Raphaels Bild: die Vertreibung des Heliodorus aus dem Tempel von Jeruſalem einen gemeinſamen Wurf wie vom Winde nach einer Seite hingewehte Bäume, aber mit der größten Genialität ſind ſie in Formen, Bewegungen, Ausdruck wieder verſchieden behandelt; auf der oben dargeſtellten Compoſition hat der Künſtler, damit die Symmetrie nicht zu fühlbar werde, neben allen Unterſchieden der Indivi- duen, ihres Affects, ihrer Bewegung ſchließlich noch im Hintergrunde da- durch für den nöthigen Wechſel geſorgt, daß er ſich rechts durch Architektur abſchließt, während links ſich eine Landſchaft öffnet. — Was nun die Richtung in die Tiefe betrifft, ſo haben wir ſeines Orts bereits von der Bedeutung der Hauptabſtufungen, von der Haltung, die durch die Be- ſtimmtheit ihrer Unterſcheidung in das Ganze kommt, das Weſentliche ausgeſprochen. Im gegenwärtigen Zuſammenhang iſt zunächſt abgeſehen von der Beziehung zu der Compoſition nach Breite und Höhe noch zu bemerken, daß dem anordnenden Künſtler nach dieſer Seite in der Aus- führung immer noch gewiſſe ſpezielle Aufgaben begegnen werden. So wird er insbeſondere auch bei dem günſtigſten Naturvorbilde ſelten den Vordergrund wirkſam genug finden; derbe Maſſen und Geſtalten in ver- ſtärkter Kraft des Lichts und noch mehr des Schattens werden hier an- gebracht werden müſſen, um das Uebrige energiſch zurückzutreiben; Rott- mann liebt z. B. im Vordergrund eine ſchattige Quelle, einen Teich mit ſtark modellirten Erdformen, energiſcher Vegetation, um der Sonnengluth der ſüdlichen, ausgetrockneten Landſchaft das Gefühl der Kühle adſtringirend gegenüberzuſtellen; die Malerei der Verfallszeiten mit ihrer akademiſchen Schablone hat freilich auch hier in den ſtehenden groben Klötzen der ſog. repoussoirs die Abſichtlichkeit und den Mechaniſmus ſchreiend zu Markte gebracht. Es iſt nun aber mit der Richtung in die Tiefe ein neuer

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/132>, abgerufen am 25.11.2024.