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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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Reife sich fortsetzt, ein Gesetz architektonischer Symmeterie, welches naturgemäß
die, auch in mancherlei Veränderungen doch sichtbar zu Grund liegende, Pyrami-
dalform begründet.

Es lassen sich also nur in einem unendlichen Gebiet einzelne Linien
ziehen, Anhaltspuncte geben, wir können über den einfachen Satz, daß
die einzelnen Gesetze, welche in der Aufgabe der Composition enthalten
sind und die wir im betreffenden Abschnitte (§. 494 ff.) entwickelt haben,
nun auch auf die Malerei Anwendung finden, und über die Aussage,
daß die lineare Seite der Composition durch die Harmonie der Licht-
und Farbengebung, so wie durch die andern genannten Momente
wesentlich modificirt und aus der ersten Rolle verdrängt wird, nur
um wenige Schritte hinausgehen und nur unter beständigen Vorbe-
halten uns näher orientiren. Auch dieses beschränkte Maaß näherer Be-
stimmung ist nicht möglich, ohne die Geschichte, die Zweige, die Stylrich-
tungen unserer Kunst sogleich zu berücksichtigen. Da begegnet uns denn
zuerst eine Form, die zwar bleibend ist, aber uns hier insbesondere in
einer bestimmten geschichtlichen Gestaltung interessirt: das Aufstellen einer
einzelnen menschlichen Figur. Zunächst gilt von ihr dasselbe, was von
der einzelnen Statue (vergl. §. 626, 2.), aber in dem Grade modificirt,
in welchem die Malerei sich zur Entfaltung ihrer spezifischen Mittel aus-
bildet: der Rhythmus der Linie, insbesondere in der Bewegung als Con-
trastwirkung der Glieder ausgebildet, wird durch den hinzugegebenen Grund,
Farbe und Ausdruck einer läßigeren, blos relativen Berücksichtigung an-
heimgegeben. Man gestattet nichts Verletzendes, wie z. B. ein unmoti-
virtes Vernachläßigen des Gegensatzes von Standfuß und Spielfuß,
aber man fordert keine gemessene plastische Stellung. Eigentlich han-
delt es sich, sofern von einer bleibenden Form die Rede ist, fast allein
vom Bildniß, denn wir werden sehen, daß das einfache Hinstellen einer
einzelnen Gestalt außerhalb des Porträtzwecks streng genommen un-
malerisch ist, und hier eben sind kleine zufällige Bewegungen erlaubt, die sich
der strengeren plastischen Bindung entziehen, und große, die zu imposanten
Parallelen der Glieder führen, ausgeschlossen. Dagegen hat nun die
alterthümliche Malerei auch höhere historische und mythische Gestalten
einfach statuarisch hingestellt, ihnen eine plastische Ruhe gegeben und mit
richtigem Instinct auch die entsprechende Art eines gebundneren, gehalt-
neren Rhythmus durchgeführt. Solche Figuren stehen sich allerdings ge-
wöhnlich bei cyklischen Anordnungen entsprechend gegenüber, bilden relief-
artige Reihen, natürlich nicht in Profilstellung, wie im Relief. Die-
selbe mythische Anschauung, welcher dieß Verfahren im Allgemeinen an-
gehört, hat sich aber eine Reihe von Aufgaben gebildet, worin ein der

Vischer's Aesthetik. 3. Band. 41

Reife ſich fortſetzt, ein Geſetz architektoniſcher Symmeterie, welches naturgemäß
die, auch in mancherlei Veränderungen doch ſichtbar zu Grund liegende, Pyrami-
dalform begründet.

Es laſſen ſich alſo nur in einem unendlichen Gebiet einzelne Linien
ziehen, Anhaltspuncte geben, wir können über den einfachen Satz, daß
die einzelnen Geſetze, welche in der Aufgabe der Compoſition enthalten
ſind und die wir im betreffenden Abſchnitte (§. 494 ff.) entwickelt haben,
nun auch auf die Malerei Anwendung finden, und über die Ausſage,
daß die lineare Seite der Compoſition durch die Harmonie der Licht-
und Farbengebung, ſo wie durch die andern genannten Momente
weſentlich modificirt und aus der erſten Rolle verdrängt wird, nur
um wenige Schritte hinausgehen und nur unter beſtändigen Vorbe-
halten uns näher orientiren. Auch dieſes beſchränkte Maaß näherer Be-
ſtimmung iſt nicht möglich, ohne die Geſchichte, die Zweige, die Stylrich-
tungen unſerer Kunſt ſogleich zu berückſichtigen. Da begegnet uns denn
zuerſt eine Form, die zwar bleibend iſt, aber uns hier insbeſondere in
einer beſtimmten geſchichtlichen Geſtaltung intereſſirt: das Aufſtellen einer
einzelnen menſchlichen Figur. Zunächſt gilt von ihr daſſelbe, was von
der einzelnen Statue (vergl. §. 626, 2.), aber in dem Grade modificirt,
in welchem die Malerei ſich zur Entfaltung ihrer ſpezifiſchen Mittel aus-
bildet: der Rhythmus der Linie, insbeſondere in der Bewegung als Con-
traſtwirkung der Glieder ausgebildet, wird durch den hinzugegebenen Grund,
Farbe und Ausdruck einer läßigeren, blos relativen Berückſichtigung an-
heimgegeben. Man geſtattet nichts Verletzendes, wie z. B. ein unmoti-
virtes Vernachläßigen des Gegenſatzes von Standfuß und Spielfuß,
aber man fordert keine gemeſſene plaſtiſche Stellung. Eigentlich han-
delt es ſich, ſofern von einer bleibenden Form die Rede iſt, faſt allein
vom Bildniß, denn wir werden ſehen, daß das einfache Hinſtellen einer
einzelnen Geſtalt außerhalb des Porträtzwecks ſtreng genommen un-
maleriſch iſt, und hier eben ſind kleine zufällige Bewegungen erlaubt, die ſich
der ſtrengeren plaſtiſchen Bindung entziehen, und große, die zu impoſanten
Parallelen der Glieder führen, ausgeſchloſſen. Dagegen hat nun die
alterthümliche Malerei auch höhere hiſtoriſche und mythiſche Geſtalten
einfach ſtatuariſch hingeſtellt, ihnen eine plaſtiſche Ruhe gegeben und mit
richtigem Inſtinct auch die entſprechende Art eines gebundneren, gehalt-
neren Rhythmus durchgeführt. Solche Figuren ſtehen ſich allerdings ge-
wöhnlich bei cykliſchen Anordnungen entſprechend gegenüber, bilden relief-
artige Reihen, natürlich nicht in Profilſtellung, wie im Relief. Die-
ſelbe mythiſche Anſchauung, welcher dieß Verfahren im Allgemeinen an-
gehört, hat ſich aber eine Reihe von Aufgaben gebildet, worin ein der

Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 41
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[617/0125] Reife ſich fortſetzt, ein Geſetz architektoniſcher Symmeterie, welches naturgemäß die, auch in mancherlei Veränderungen doch ſichtbar zu Grund liegende, Pyrami- dalform begründet. Es laſſen ſich alſo nur in einem unendlichen Gebiet einzelne Linien ziehen, Anhaltspuncte geben, wir können über den einfachen Satz, daß die einzelnen Geſetze, welche in der Aufgabe der Compoſition enthalten ſind und die wir im betreffenden Abſchnitte (§. 494 ff.) entwickelt haben, nun auch auf die Malerei Anwendung finden, und über die Ausſage, daß die lineare Seite der Compoſition durch die Harmonie der Licht- und Farbengebung, ſo wie durch die andern genannten Momente weſentlich modificirt und aus der erſten Rolle verdrängt wird, nur um wenige Schritte hinausgehen und nur unter beſtändigen Vorbe- halten uns näher orientiren. Auch dieſes beſchränkte Maaß näherer Be- ſtimmung iſt nicht möglich, ohne die Geſchichte, die Zweige, die Stylrich- tungen unſerer Kunſt ſogleich zu berückſichtigen. Da begegnet uns denn zuerſt eine Form, die zwar bleibend iſt, aber uns hier insbeſondere in einer beſtimmten geſchichtlichen Geſtaltung intereſſirt: das Aufſtellen einer einzelnen menſchlichen Figur. Zunächſt gilt von ihr daſſelbe, was von der einzelnen Statue (vergl. §. 626, 2.), aber in dem Grade modificirt, in welchem die Malerei ſich zur Entfaltung ihrer ſpezifiſchen Mittel aus- bildet: der Rhythmus der Linie, insbeſondere in der Bewegung als Con- traſtwirkung der Glieder ausgebildet, wird durch den hinzugegebenen Grund, Farbe und Ausdruck einer läßigeren, blos relativen Berückſichtigung an- heimgegeben. Man geſtattet nichts Verletzendes, wie z. B. ein unmoti- virtes Vernachläßigen des Gegenſatzes von Standfuß und Spielfuß, aber man fordert keine gemeſſene plaſtiſche Stellung. Eigentlich han- delt es ſich, ſofern von einer bleibenden Form die Rede iſt, faſt allein vom Bildniß, denn wir werden ſehen, daß das einfache Hinſtellen einer einzelnen Geſtalt außerhalb des Porträtzwecks ſtreng genommen un- maleriſch iſt, und hier eben ſind kleine zufällige Bewegungen erlaubt, die ſich der ſtrengeren plaſtiſchen Bindung entziehen, und große, die zu impoſanten Parallelen der Glieder führen, ausgeſchloſſen. Dagegen hat nun die alterthümliche Malerei auch höhere hiſtoriſche und mythiſche Geſtalten einfach ſtatuariſch hingeſtellt, ihnen eine plaſtiſche Ruhe gegeben und mit richtigem Inſtinct auch die entſprechende Art eines gebundneren, gehalt- neren Rhythmus durchgeführt. Solche Figuren ſtehen ſich allerdings ge- wöhnlich bei cykliſchen Anordnungen entſprechend gegenüber, bilden relief- artige Reihen, natürlich nicht in Profilſtellung, wie im Relief. Die- ſelbe mythiſche Anſchauung, welcher dieß Verfahren im Allgemeinen an- gehört, hat ſich aber eine Reihe von Aufgaben gebildet, worin ein der Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 41

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/125>, abgerufen am 24.11.2024.