Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
Welche besondere Schwierigkeit hiedurch für die Composition entsteht, §. 688. Aus diesen Gründen läßt sich die Art der Anwendung, welche die all-
Welche beſondere Schwierigkeit hiedurch für die Compoſition entſteht, §. 688. Aus dieſen Gründen läßt ſich die Art der Anwendung, welche die all- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0124" n="616"/> Welche beſondere Schwierigkeit hiedurch für die Compoſition entſteht,<lb/> darüber vergl. §. 501, wo die richtige äußere Begrenzung als letzte Pflicht<lb/> derſelben aufgeſtellt und gerade auch am Beiſpiel der Malerei erläutert<lb/> iſt. Daß es nun gerade an dieſer Grenze, wo die Fläche des Gemäldes<lb/> endigt, genug ſei, um einen Ausſchnitt des Lebens zu geben, der künſt-<lb/> leriſch ſo beſchaffen iſt, daß man die gemein empiriſche Unendlichkeit des<lb/> Vorbilds darüber vergeſſen kann, das bezeichnet der <hi rendition="#g">Rahmen</hi>, der mit<lb/> der Frage über Grundformen der Compoſition, von der es ſich hier eigent-<lb/> lich handelt, natürlich nichts weiter zu thun hat, weil er nur die ſchon<lb/> fertige Grundform noch weiter bezeichnet, von dem wir aber hier Einiges<lb/> ſagen, weil er doch keineswegs bedeutungslos iſt. Er gibt zunächſt der<lb/> Grenze Nachdruck für das Auge, er unterſtützt durch ihre Hervorhebung<lb/> die Phantaſie, ſich loszuſagen von den empiriſchen Objecten des Auges,<lb/> er gleicht einer Fenſter-Einfaſſung, die uns mit deutlichem Rande unſern<lb/> gewöhnlichen Wohnraum von der Oeffnung unterſcheidet, durch die wir<lb/> in eine ſchöne Landſchaft hinausſchauen, nur daß es ſich hier von dem<lb/> Blick in eine andere, eine ideale Welt handelt. Man kann es auch um-<lb/> kehren und mit Hegel (Aeſthetik Th. 3 S. 79) ſagen, er ſtelle die<lb/> Thüre der Welt dar, durch welche die ideale Erſcheinung zu uns in die<lb/> gemeine Welt hereinſchreitet. Es iſt dadurch begründet, daß er eine kräf-<lb/> tige, nachdrückliche Form haben ſoll, damit er die Grenze zweier Welten<lb/> hinlänglich markire; aber auch ſchön ſoll er ſein, er ſoll ausdrücken, daß<lb/> die empiriſche Welt den Saum, an welchem ſie den Ausblick in die ideale<lb/> öffnet, feſtlich ſchmückt oder daß die hereinſtrahlende Idealwelt dieſen<lb/> Saum mit ihrem Lichte ſtreift. Der Goldglanz eignet ſich ganz beſon-<lb/> ders für dieſen Ausdruck. Natürlich aber darf die Pracht nicht ſoweit<lb/> gehen, daß das Verhältniß ſich umdreht, indem der Saum der empiri-<lb/> ſchen Welt ſo eitel ſich aufputzt, daß der empfangende Theil den hohen<lb/> Gaſt überglänzt. Nähere Erörterung der Frage, wo dunkler Rahmen<lb/> beſſer angebracht ſei u. ſ. w., iſt gar nicht außer Zuſammenhang mit dem<lb/> ächten Kunſt-Intereſſe, würde aber hier zu weit führen.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 688.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Aus dieſen Gründen läßt ſich die Art der Anwendung, welche die all-<lb/> gemeinen Compoſitionsgeſetze in der Malerei finden, nur in folgender Hervor-<lb/> hebung einzelner Puncte ausdrücken. In der Darſtellung einer einzelnen Ge-<lb/> ſtalt iſt der Formen-Rhythmus, wie er im Rhythmus des Lichts und der<lb/> Farbe noch ſeine äſthetiſche Geltung behauptet, durch den Organiſmus gegeben.<lb/> Für die Zuſammenſtellung mehrerer ergibt ſich auf dem Standpunct unentwickelter, bei<lb/> der zweiten Stoffwelt einfach verharrender Kunſt, der zwar auch in die Zeit der<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [616/0124]
Welche beſondere Schwierigkeit hiedurch für die Compoſition entſteht,
darüber vergl. §. 501, wo die richtige äußere Begrenzung als letzte Pflicht
derſelben aufgeſtellt und gerade auch am Beiſpiel der Malerei erläutert
iſt. Daß es nun gerade an dieſer Grenze, wo die Fläche des Gemäldes
endigt, genug ſei, um einen Ausſchnitt des Lebens zu geben, der künſt-
leriſch ſo beſchaffen iſt, daß man die gemein empiriſche Unendlichkeit des
Vorbilds darüber vergeſſen kann, das bezeichnet der Rahmen, der mit
der Frage über Grundformen der Compoſition, von der es ſich hier eigent-
lich handelt, natürlich nichts weiter zu thun hat, weil er nur die ſchon
fertige Grundform noch weiter bezeichnet, von dem wir aber hier Einiges
ſagen, weil er doch keineswegs bedeutungslos iſt. Er gibt zunächſt der
Grenze Nachdruck für das Auge, er unterſtützt durch ihre Hervorhebung
die Phantaſie, ſich loszuſagen von den empiriſchen Objecten des Auges,
er gleicht einer Fenſter-Einfaſſung, die uns mit deutlichem Rande unſern
gewöhnlichen Wohnraum von der Oeffnung unterſcheidet, durch die wir
in eine ſchöne Landſchaft hinausſchauen, nur daß es ſich hier von dem
Blick in eine andere, eine ideale Welt handelt. Man kann es auch um-
kehren und mit Hegel (Aeſthetik Th. 3 S. 79) ſagen, er ſtelle die
Thüre der Welt dar, durch welche die ideale Erſcheinung zu uns in die
gemeine Welt hereinſchreitet. Es iſt dadurch begründet, daß er eine kräf-
tige, nachdrückliche Form haben ſoll, damit er die Grenze zweier Welten
hinlänglich markire; aber auch ſchön ſoll er ſein, er ſoll ausdrücken, daß
die empiriſche Welt den Saum, an welchem ſie den Ausblick in die ideale
öffnet, feſtlich ſchmückt oder daß die hereinſtrahlende Idealwelt dieſen
Saum mit ihrem Lichte ſtreift. Der Goldglanz eignet ſich ganz beſon-
ders für dieſen Ausdruck. Natürlich aber darf die Pracht nicht ſoweit
gehen, daß das Verhältniß ſich umdreht, indem der Saum der empiri-
ſchen Welt ſo eitel ſich aufputzt, daß der empfangende Theil den hohen
Gaſt überglänzt. Nähere Erörterung der Frage, wo dunkler Rahmen
beſſer angebracht ſei u. ſ. w., iſt gar nicht außer Zuſammenhang mit dem
ächten Kunſt-Intereſſe, würde aber hier zu weit führen.
§. 688.
Aus dieſen Gründen läßt ſich die Art der Anwendung, welche die all-
gemeinen Compoſitionsgeſetze in der Malerei finden, nur in folgender Hervor-
hebung einzelner Puncte ausdrücken. In der Darſtellung einer einzelnen Ge-
ſtalt iſt der Formen-Rhythmus, wie er im Rhythmus des Lichts und der
Farbe noch ſeine äſthetiſche Geltung behauptet, durch den Organiſmus gegeben.
Für die Zuſammenſtellung mehrerer ergibt ſich auf dem Standpunct unentwickelter, bei
der zweiten Stoffwelt einfach verharrender Kunſt, der zwar auch in die Zeit der
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