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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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Mitdarstellen der Umgebung, was die Malerei in die bewegte, volle Si-
tuation und in die Mitte der Handlung herausführt. Es ist dieß schon
zu §. 683 ausgesprochen, um Darstellungen lyrischer Innerlichkeit abzu-
weisen (vergl. über ein dem dort erwähnten ähnliches Bild der Mignon
von Schadow Hegel a. a. O. Th. 3 S. 186). Die Umgebung ist ein
wesentlich Beziehungsreiches, mit Lebensreizen, Antrieben Geschwängertes,
sie treibt den Menschen aus sich heraus, sollicitirt ihn von allen Seiten.
Die Sculptur ist wie durch ihren innersten Geist, so insbesondere durch
den Mangel an Umgebung im Entfalten von Handlungen gehemmt; sie
bedarf schon zum Verständnisse der symbolischen Hülfen (vergl. §. 612);
die Malerei kann diese entbehren: dasselbe, was die Reize zur Handlung,
die Motive enthält, erklärt sie zugleich. Allein die Gegenwärtigkeit der
Darstellung wird doch nicht nur in der Sculptur durch ihr Material und
Stylgesetz abgedämpft; auch in der feurigeren Malerei ist und bleibt ja
die Fesslung im Raum das Grundbestimmende und diese Fesslung gebietet
mitten im Sturm auch dem Maler eine Ruhe, eine Objectivität, welche
zu der edlen Kühle des Erzählers zurückführt, vor dessen Auge der Stoff
als ein vergangener sich wie eine Landschaft ausbreitet. Auch diese
Kunst soll daher nicht zu sehr auf spannende Wirkung losgehen. Hiezu
kommt, daß jene Mitaufnahme der Umgebung, obwohl sie es hauptsächlich ist,
was ihre Darstellung beflügelt, ihr dennoch zugleich ebenfalls Ruhe gebietet.
Sie ist eine ausführliche Kunst, geht in die Breite, hat viel und vielerlei zu
geben, sie braucht dazu Zeit; ungleich weniger, als die Plastik, aber un-
gleich mehr, als die Dichtkunst. Diese Ausführlichkeit, Langsamkeit be-
stimmt nothwendig des Malers Sinn und Stimmung auch in die Tiefe,
theilt ihm ein gewisses Phlegma, Scheue vor dem Fahrigen, allzu Hefti-
gen, allzu Momentanen mit, führt ihn mehr auf das Zuständliche, als
auf die Handlung. Die trefflichsten Schulen und Meister aller Zeit ha-
ben daher die stark erschütternden Momente doch weit mehr gemieden,
als man dieß von der freien Beweglichkeit der Malerei eigentlich erwar-
ten zu müssen meint, und auch im Komischen findet man diese Mäßigung:
die Holländer, nachdem sie dieß Gebiet erobert, haben im Grund wenig
gemalt, was unmittelbar starkes Lachen erregt, sondern mehr das Lächeln
des feinen Belauschers menschlicher Natur, Sitte, Schwäche, wie sie sich
unbelauscht glaubt und gehen läßt, zu gewinnen gesucht. Der Begriff des
Dramatischen ist also nur mit Vorsicht auf die Malerei anzuwenden, und
wenn man zugeben muß, daß die neuere Malerei vorzüglich dahin ge-
wiesen ist, so darf dabei nicht vergessen werden, daß dieses Gesetz der
Dämpfung und Bescheidenheit für immer der ganzen Kunstform aufgelegt
ist. Sonst wird der Maler noch leichter, als der Dichter selbst, vom
Dramatischen in die nervös pathologischen Spannungen und in das

Mitdarſtellen der Umgebung, was die Malerei in die bewegte, volle Si-
tuation und in die Mitte der Handlung herausführt. Es iſt dieß ſchon
zu §. 683 ausgeſprochen, um Darſtellungen lyriſcher Innerlichkeit abzu-
weiſen (vergl. über ein dem dort erwähnten ähnliches Bild der Mignon
von Schadow Hegel a. a. O. Th. 3 S. 186). Die Umgebung iſt ein
weſentlich Beziehungsreiches, mit Lebensreizen, Antrieben Geſchwängertes,
ſie treibt den Menſchen aus ſich heraus, ſollicitirt ihn von allen Seiten.
Die Sculptur iſt wie durch ihren innerſten Geiſt, ſo insbeſondere durch
den Mangel an Umgebung im Entfalten von Handlungen gehemmt; ſie
bedarf ſchon zum Verſtändniſſe der ſymboliſchen Hülfen (vergl. §. 612);
die Malerei kann dieſe entbehren: daſſelbe, was die Reize zur Handlung,
die Motive enthält, erklärt ſie zugleich. Allein die Gegenwärtigkeit der
Darſtellung wird doch nicht nur in der Sculptur durch ihr Material und
Stylgeſetz abgedämpft; auch in der feurigeren Malerei iſt und bleibt ja
die Feſſlung im Raum das Grundbeſtimmende und dieſe Feſſlung gebietet
mitten im Sturm auch dem Maler eine Ruhe, eine Objectivität, welche
zu der edlen Kühle des Erzählers zurückführt, vor deſſen Auge der Stoff
als ein vergangener ſich wie eine Landſchaft ausbreitet. Auch dieſe
Kunſt ſoll daher nicht zu ſehr auf ſpannende Wirkung losgehen. Hiezu
kommt, daß jene Mitaufnahme der Umgebung, obwohl ſie es hauptſächlich iſt,
was ihre Darſtellung beflügelt, ihr dennoch zugleich ebenfalls Ruhe gebietet.
Sie iſt eine ausführliche Kunſt, geht in die Breite, hat viel und vielerlei zu
geben, ſie braucht dazu Zeit; ungleich weniger, als die Plaſtik, aber un-
gleich mehr, als die Dichtkunſt. Dieſe Ausführlichkeit, Langſamkeit be-
ſtimmt nothwendig des Malers Sinn und Stimmung auch in die Tiefe,
theilt ihm ein gewiſſes Phlegma, Scheue vor dem Fahrigen, allzu Hefti-
gen, allzu Momentanen mit, führt ihn mehr auf das Zuſtändliche, als
auf die Handlung. Die trefflichſten Schulen und Meiſter aller Zeit ha-
ben daher die ſtark erſchütternden Momente doch weit mehr gemieden,
als man dieß von der freien Beweglichkeit der Malerei eigentlich erwar-
ten zu müſſen meint, und auch im Komiſchen findet man dieſe Mäßigung:
die Holländer, nachdem ſie dieß Gebiet erobert, haben im Grund wenig
gemalt, was unmittelbar ſtarkes Lachen erregt, ſondern mehr das Lächeln
des feinen Belauſchers menſchlicher Natur, Sitte, Schwäche, wie ſie ſich
unbelauſcht glaubt und gehen läßt, zu gewinnen geſucht. Der Begriff des
Dramatiſchen iſt alſo nur mit Vorſicht auf die Malerei anzuwenden, und
wenn man zugeben muß, daß die neuere Malerei vorzüglich dahin ge-
wieſen iſt, ſo darf dabei nicht vergeſſen werden, daß dieſes Geſetz der
Dämpfung und Beſcheidenheit für immer der ganzen Kunſtform aufgelegt
iſt. Sonſt wird der Maler noch leichter, als der Dichter ſelbſt, vom
Dramatiſchen in die nervös pathologiſchen Spannungen und in das

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[604/0112] Mitdarſtellen der Umgebung, was die Malerei in die bewegte, volle Si- tuation und in die Mitte der Handlung herausführt. Es iſt dieß ſchon zu §. 683 ausgeſprochen, um Darſtellungen lyriſcher Innerlichkeit abzu- weiſen (vergl. über ein dem dort erwähnten ähnliches Bild der Mignon von Schadow Hegel a. a. O. Th. 3 S. 186). Die Umgebung iſt ein weſentlich Beziehungsreiches, mit Lebensreizen, Antrieben Geſchwängertes, ſie treibt den Menſchen aus ſich heraus, ſollicitirt ihn von allen Seiten. Die Sculptur iſt wie durch ihren innerſten Geiſt, ſo insbeſondere durch den Mangel an Umgebung im Entfalten von Handlungen gehemmt; ſie bedarf ſchon zum Verſtändniſſe der ſymboliſchen Hülfen (vergl. §. 612); die Malerei kann dieſe entbehren: daſſelbe, was die Reize zur Handlung, die Motive enthält, erklärt ſie zugleich. Allein die Gegenwärtigkeit der Darſtellung wird doch nicht nur in der Sculptur durch ihr Material und Stylgeſetz abgedämpft; auch in der feurigeren Malerei iſt und bleibt ja die Feſſlung im Raum das Grundbeſtimmende und dieſe Feſſlung gebietet mitten im Sturm auch dem Maler eine Ruhe, eine Objectivität, welche zu der edlen Kühle des Erzählers zurückführt, vor deſſen Auge der Stoff als ein vergangener ſich wie eine Landſchaft ausbreitet. Auch dieſe Kunſt ſoll daher nicht zu ſehr auf ſpannende Wirkung losgehen. Hiezu kommt, daß jene Mitaufnahme der Umgebung, obwohl ſie es hauptſächlich iſt, was ihre Darſtellung beflügelt, ihr dennoch zugleich ebenfalls Ruhe gebietet. Sie iſt eine ausführliche Kunſt, geht in die Breite, hat viel und vielerlei zu geben, ſie braucht dazu Zeit; ungleich weniger, als die Plaſtik, aber un- gleich mehr, als die Dichtkunſt. Dieſe Ausführlichkeit, Langſamkeit be- ſtimmt nothwendig des Malers Sinn und Stimmung auch in die Tiefe, theilt ihm ein gewiſſes Phlegma, Scheue vor dem Fahrigen, allzu Hefti- gen, allzu Momentanen mit, führt ihn mehr auf das Zuſtändliche, als auf die Handlung. Die trefflichſten Schulen und Meiſter aller Zeit ha- ben daher die ſtark erſchütternden Momente doch weit mehr gemieden, als man dieß von der freien Beweglichkeit der Malerei eigentlich erwar- ten zu müſſen meint, und auch im Komiſchen findet man dieſe Mäßigung: die Holländer, nachdem ſie dieß Gebiet erobert, haben im Grund wenig gemalt, was unmittelbar ſtarkes Lachen erregt, ſondern mehr das Lächeln des feinen Belauſchers menſchlicher Natur, Sitte, Schwäche, wie ſie ſich unbelauſcht glaubt und gehen läßt, zu gewinnen geſucht. Der Begriff des Dramatiſchen iſt alſo nur mit Vorſicht auf die Malerei anzuwenden, und wenn man zugeben muß, daß die neuere Malerei vorzüglich dahin ge- wieſen iſt, ſo darf dabei nicht vergeſſen werden, daß dieſes Geſetz der Dämpfung und Beſcheidenheit für immer der ganzen Kunſtform aufgelegt iſt. Sonſt wird der Maler noch leichter, als der Dichter ſelbſt, vom Dramatiſchen in die nervös pathologiſchen Spannungen und in das

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/112>, abgerufen am 24.11.2024.