Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
malerei ihr größeres Recht an diese Stoffe, wie es an sich schon in ihrer §. 684. Der eine Zeitmoment, an welchen die Malerei wie die Bildnerkunst1. Vischer's Aesthetik. 3. Band. 40
malerei ihr größeres Recht an dieſe Stoffe, wie es an ſich ſchon in ihrer §. 684. Der eine Zeitmoment, an welchen die Malerei wie die Bildnerkunſt1. Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 40
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0109" n="601"/> malerei ihr größeres Recht an dieſe Stoffe, wie es an ſich ſchon in ihrer<lb/> Darſtellungsweiſe liegt, unbefangen, doch beſcheiden und ohne anmaßende<lb/> Doctrin benützen. — Es geht aus allem Geſagten hervor, daß die pla-<lb/> ſtiſche Stylrichtung es iſt, welche vorzüglich verſucht ſein wird, in das<lb/> Gebiet des Gedankenhaften zu gerathen, das keine wahre Verkörperung<lb/> zuläßt. Die Skizze, die Freske gehört ja weſentlich zu dieſem Style, der<lb/> auf die Zeichnung ſich ſtützt, und wir haben hiemit einen Beleg für den<lb/> Satz in §. 676, <hi rendition="#sub">2</hi>., daß derſelbe, wenn er einſeitig werde, ſich in das<lb/> körperlos Gedankenhafte verliere. — Der Schlußſatz des §. ſpricht noch<lb/> von Uebergriffen in das Muſikaliſche. Solche ſind, wie geſagt, ſchon bei<lb/> dem Colorit (auch bei der äußern Bewegung) erwähnt, nun aber<lb/> handelt es ſich vom Ausdruck im Zuſammenhang mit der Stoffwahl:<lb/> nur zu häufig hat man einen lyriſchen Ton, Empfindungsklang, den<lb/> der Text eines Lieds mit kurzen Worten in eine blos angedeutete<lb/> Situation legt, mit der Ausführlichkeit der maleriſchen Mittel zu ver-<lb/> körpern verſucht. Als Beiſpiel iſt ſchon zu §. 543, als dieſer Punct<lb/> berührt wurde, Leſſings trauerndes Königspaar angeführt; lyriſche Mo-<lb/> mente aus Göthes Fauſt ſind von Ary Scheffer dargeſtellt worden: ſo<lb/> ſteht z. B. Mignon einfach da und man ſoll ihr anſehen, daß ſie eben<lb/> von dem Gefühl erfüllt iſt, das in dem Liede: Kennſt du das Land, oder:<lb/> So laßt mich ſcheinen, ſich ausſpricht. Hier iſt allerdings der Mißſtand<lb/> ein anderer, als in jenem Bilde Leſſings: in dieſem haben wir gegenüber<lb/> dem zu Grund liegenden lyriſchen Stoffe zu viel, in jenem gegenüber der<lb/> maleriſchen Aufgabe zu wenig, es fehlt an der Ausführlichkeit der Situa-<lb/> tion, welche die Malerei fordert, weil ſie den Menſchen in die Beziehung<lb/> auf eine Umgebung ſetzt. Auch ein epiſches Gedicht, wenn es, wie Klopſtocks<lb/> Meſſias, an ſich mehr Muſik als Poeſie iſt, gibt keinen Stoff für die<lb/> Malerei. Allerdings gibt es durchaus lyriſche Producte, die doch zugleich<lb/> für den Maler ein ganz anſchauliches Bild abwerfen, wie z. B. Schäfers<lb/> Klagelied von Göthe; doch mehr nur für den Illuſtrator, Zeichner, Holz-<lb/> ſchneider. Uebrigens handelt es ſich nicht blos von der Benützung gegebener<lb/> Poeſie oder Muſik; der Maler kann überhaupt in den Fehler verfallen,<lb/> blos muſikaliſche Stimmungs-Momente darſtellen zu wollen, oder einen<lb/> Stoff, dem an ſich die bildliche Objectivität nicht fehlt, vorher in die zer-<lb/> fließende Unbeſtimmtheit muſikaliſcher Empfindungsweiſe zu tauchen und<lb/> in entſprechender Stylloſigkeit darzuſtellen.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 684.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Der eine Zeitmoment, an welchen die Malerei wie die Bildnerkunſt<note place="right">1.</note><lb/> und mit derſelben Ausnahme (vergl. §. 650 und 613) gefeſſelt iſt, ſoll auch</hi><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Viſcher’s</hi> Aeſthetik. 3. Band. 40</fw><lb/> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [601/0109]
malerei ihr größeres Recht an dieſe Stoffe, wie es an ſich ſchon in ihrer
Darſtellungsweiſe liegt, unbefangen, doch beſcheiden und ohne anmaßende
Doctrin benützen. — Es geht aus allem Geſagten hervor, daß die pla-
ſtiſche Stylrichtung es iſt, welche vorzüglich verſucht ſein wird, in das
Gebiet des Gedankenhaften zu gerathen, das keine wahre Verkörperung
zuläßt. Die Skizze, die Freske gehört ja weſentlich zu dieſem Style, der
auf die Zeichnung ſich ſtützt, und wir haben hiemit einen Beleg für den
Satz in §. 676, 2., daß derſelbe, wenn er einſeitig werde, ſich in das
körperlos Gedankenhafte verliere. — Der Schlußſatz des §. ſpricht noch
von Uebergriffen in das Muſikaliſche. Solche ſind, wie geſagt, ſchon bei
dem Colorit (auch bei der äußern Bewegung) erwähnt, nun aber
handelt es ſich vom Ausdruck im Zuſammenhang mit der Stoffwahl:
nur zu häufig hat man einen lyriſchen Ton, Empfindungsklang, den
der Text eines Lieds mit kurzen Worten in eine blos angedeutete
Situation legt, mit der Ausführlichkeit der maleriſchen Mittel zu ver-
körpern verſucht. Als Beiſpiel iſt ſchon zu §. 543, als dieſer Punct
berührt wurde, Leſſings trauerndes Königspaar angeführt; lyriſche Mo-
mente aus Göthes Fauſt ſind von Ary Scheffer dargeſtellt worden: ſo
ſteht z. B. Mignon einfach da und man ſoll ihr anſehen, daß ſie eben
von dem Gefühl erfüllt iſt, das in dem Liede: Kennſt du das Land, oder:
So laßt mich ſcheinen, ſich ausſpricht. Hier iſt allerdings der Mißſtand
ein anderer, als in jenem Bilde Leſſings: in dieſem haben wir gegenüber
dem zu Grund liegenden lyriſchen Stoffe zu viel, in jenem gegenüber der
maleriſchen Aufgabe zu wenig, es fehlt an der Ausführlichkeit der Situa-
tion, welche die Malerei fordert, weil ſie den Menſchen in die Beziehung
auf eine Umgebung ſetzt. Auch ein epiſches Gedicht, wenn es, wie Klopſtocks
Meſſias, an ſich mehr Muſik als Poeſie iſt, gibt keinen Stoff für die
Malerei. Allerdings gibt es durchaus lyriſche Producte, die doch zugleich
für den Maler ein ganz anſchauliches Bild abwerfen, wie z. B. Schäfers
Klagelied von Göthe; doch mehr nur für den Illuſtrator, Zeichner, Holz-
ſchneider. Uebrigens handelt es ſich nicht blos von der Benützung gegebener
Poeſie oder Muſik; der Maler kann überhaupt in den Fehler verfallen,
blos muſikaliſche Stimmungs-Momente darſtellen zu wollen, oder einen
Stoff, dem an ſich die bildliche Objectivität nicht fehlt, vorher in die zer-
fließende Unbeſtimmtheit muſikaliſcher Empfindungsweiſe zu tauchen und
in entſprechender Stylloſigkeit darzuſtellen.
§. 684.
Der eine Zeitmoment, an welchen die Malerei wie die Bildnerkunſt
und mit derſelben Ausnahme (vergl. §. 650 und 613) gefeſſelt iſt, ſoll auch
Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 40
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