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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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ein Witzwort die Spitze des Ganzen ist, gerührte Zuschauer eines Dra-
ma, aber nicht ein Parterre, dem man ansehen soll, daß eben da Don
Carlos aufgeführt wird u. s. w. Es wäre hier ein ganzes Klagelied
über die namentlich jetzt so häufige Verirrung in der Stoffwahl zu schrei-
ben. -- Der Fehlgriff kann aber weiter gehen bis zu solchen Stoffen,
welche zwar auch in einer Dichtung vorkommen können, aber nur als
einzelnes Mittel, weil sie das Bild bereits in einem blos dienenden Ver-
hältniß zum Gedanken anwenden, wozu eine ungefähre Vorstellung ge-
nügt, die sich der äußern Darstellung auch ganz entziehen kann. Hier
fällt auch dieß weg, was die vorhergehende Art von Stoffen noch hatte,
daß nämlich eine allgemeine Seite am Bild haftet, die noch darstellbar wäre,
hier kann durchaus der Stoff als Ganzes nur durch das Wort ausgedrückt
werden. Dieß ist das Gebiet der Vergleichung (§. 405). Die Parabel ist
meist noch darstellbar, aber als Gemälde ist sie eigentlich keine Parabel mehr.
Es kann nämlich das Bild, womit die Parabel ihre Lehre veranschaulicht,
für sich eine gewisse selbständige Schönheit über das Lehrbedürfniß hinaus
entfalten, wie z. B. das Bild vom Hirten, der ein verlorenes Schaaf
aus dem Dornbusch rettet. Die Erklärung aber, die man bedarf, um zu
wissen, daß es sich hier eigentlich nicht von einem Hirten u. s. w. handelt,
geht weit über die bloße Notiz hinaus, wie ein Werk der bildenden Kunst
sie erlaubter Weise zu seinem Verständniß voraussetzt. Es ist nur die
Geläufigkeit der Bekanntschaft mit einer Parabel, die diesen Mangel ver-
decken kann. Man kann nicht oft genug sagen, daß das Kunstwerk sich
selbst erklären soll. Die Darstellbarkeit hört aber ganz auf bei dem bloßen
Gleichniß, das zudem nach Belieben auch ein Bild wählen mag, welches
in der wirklichen Anschauung gar nicht vollzogen werden kann, wie das
biblische vom Balken und Splitter; aber auch dieß hat man gemalt.
Wir stehen hiemit wieder bei der allgemeinen Frage über die Darstellung
abstracter Begriffe und abstract aufgefaßter concreter Begriffe. Hierauf
antwortet in der Metaphysik des Schönen §. 16 und in der Lehre von
der Phantasie §. 444 (von der Allegorie). In der That ist es nur
die geistige Leichtigkeit, Beweglichkeit, der durchsichtigere Schein in der
Darstellungsweise der Malerei, was für diese Kunst die Versuchung mit
sich führt, Wahrheiten zu vergessen, welche aller Kunst gelten, sich
recht grundsatzmäßig auf die Allegorie zu werfen und jene Gedanken-
Malerei auszubilden, welche mit dem Verfall der Künste begonnen und
in der modernen Wiederbelebung neuen Raum gewonnen hat. Sieht
man das Wesen dieser Kunst genauer an, so zeigt es zwei Seiten, welche
sich zu der Frage über eigentliche oder uneigentliche Darstellung grund-
verschieden verhalten. Die Kunstweise der Malerei ist wohl in gewissem
Sinne mehr reiner Schein, als die der Sculptur (vergl. §. 650), aber

ein Witzwort die Spitze des Ganzen iſt, gerührte Zuſchauer eines Dra-
ma, aber nicht ein Parterre, dem man anſehen ſoll, daß eben da Don
Carlos aufgeführt wird u. ſ. w. Es wäre hier ein ganzes Klagelied
über die namentlich jetzt ſo häufige Verirrung in der Stoffwahl zu ſchrei-
ben. — Der Fehlgriff kann aber weiter gehen bis zu ſolchen Stoffen,
welche zwar auch in einer Dichtung vorkommen können, aber nur als
einzelnes Mittel, weil ſie das Bild bereits in einem blos dienenden Ver-
hältniß zum Gedanken anwenden, wozu eine ungefähre Vorſtellung ge-
nügt, die ſich der äußern Darſtellung auch ganz entziehen kann. Hier
fällt auch dieß weg, was die vorhergehende Art von Stoffen noch hatte,
daß nämlich eine allgemeine Seite am Bild haftet, die noch darſtellbar wäre,
hier kann durchaus der Stoff als Ganzes nur durch das Wort ausgedrückt
werden. Dieß iſt das Gebiet der Vergleichung (§. 405). Die Parabel iſt
meiſt noch darſtellbar, aber als Gemälde iſt ſie eigentlich keine Parabel mehr.
Es kann nämlich das Bild, womit die Parabel ihre Lehre veranſchaulicht,
für ſich eine gewiſſe ſelbſtändige Schönheit über das Lehrbedürfniß hinaus
entfalten, wie z. B. das Bild vom Hirten, der ein verlorenes Schaaf
aus dem Dornbuſch rettet. Die Erklärung aber, die man bedarf, um zu
wiſſen, daß es ſich hier eigentlich nicht von einem Hirten u. ſ. w. handelt,
geht weit über die bloße Notiz hinaus, wie ein Werk der bildenden Kunſt
ſie erlaubter Weiſe zu ſeinem Verſtändniß vorausſetzt. Es iſt nur die
Geläufigkeit der Bekanntſchaft mit einer Parabel, die dieſen Mangel ver-
decken kann. Man kann nicht oft genug ſagen, daß das Kunſtwerk ſich
ſelbſt erklären ſoll. Die Darſtellbarkeit hört aber ganz auf bei dem bloßen
Gleichniß, das zudem nach Belieben auch ein Bild wählen mag, welches
in der wirklichen Anſchauung gar nicht vollzogen werden kann, wie das
bibliſche vom Balken und Splitter; aber auch dieß hat man gemalt.
Wir ſtehen hiemit wieder bei der allgemeinen Frage über die Darſtellung
abſtracter Begriffe und abſtract aufgefaßter concreter Begriffe. Hierauf
antwortet in der Metaphyſik des Schönen §. 16 und in der Lehre von
der Phantaſie §. 444 (von der Allegorie). In der That iſt es nur
die geiſtige Leichtigkeit, Beweglichkeit, der durchſichtigere Schein in der
Darſtellungsweiſe der Malerei, was für dieſe Kunſt die Verſuchung mit
ſich führt, Wahrheiten zu vergeſſen, welche aller Kunſt gelten, ſich
recht grundſatzmäßig auf die Allegorie zu werfen und jene Gedanken-
Malerei auszubilden, welche mit dem Verfall der Künſte begonnen und
in der modernen Wiederbelebung neuen Raum gewonnen hat. Sieht
man das Weſen dieſer Kunſt genauer an, ſo zeigt es zwei Seiten, welche
ſich zu der Frage über eigentliche oder uneigentliche Darſtellung grund-
verſchieden verhalten. Die Kunſtweiſe der Malerei iſt wohl in gewiſſem
Sinne mehr reiner Schein, als die der Sculptur (vergl. §. 650), aber

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[599/0107] ein Witzwort die Spitze des Ganzen iſt, gerührte Zuſchauer eines Dra- ma, aber nicht ein Parterre, dem man anſehen ſoll, daß eben da Don Carlos aufgeführt wird u. ſ. w. Es wäre hier ein ganzes Klagelied über die namentlich jetzt ſo häufige Verirrung in der Stoffwahl zu ſchrei- ben. — Der Fehlgriff kann aber weiter gehen bis zu ſolchen Stoffen, welche zwar auch in einer Dichtung vorkommen können, aber nur als einzelnes Mittel, weil ſie das Bild bereits in einem blos dienenden Ver- hältniß zum Gedanken anwenden, wozu eine ungefähre Vorſtellung ge- nügt, die ſich der äußern Darſtellung auch ganz entziehen kann. Hier fällt auch dieß weg, was die vorhergehende Art von Stoffen noch hatte, daß nämlich eine allgemeine Seite am Bild haftet, die noch darſtellbar wäre, hier kann durchaus der Stoff als Ganzes nur durch das Wort ausgedrückt werden. Dieß iſt das Gebiet der Vergleichung (§. 405). Die Parabel iſt meiſt noch darſtellbar, aber als Gemälde iſt ſie eigentlich keine Parabel mehr. Es kann nämlich das Bild, womit die Parabel ihre Lehre veranſchaulicht, für ſich eine gewiſſe ſelbſtändige Schönheit über das Lehrbedürfniß hinaus entfalten, wie z. B. das Bild vom Hirten, der ein verlorenes Schaaf aus dem Dornbuſch rettet. Die Erklärung aber, die man bedarf, um zu wiſſen, daß es ſich hier eigentlich nicht von einem Hirten u. ſ. w. handelt, geht weit über die bloße Notiz hinaus, wie ein Werk der bildenden Kunſt ſie erlaubter Weiſe zu ſeinem Verſtändniß vorausſetzt. Es iſt nur die Geläufigkeit der Bekanntſchaft mit einer Parabel, die dieſen Mangel ver- decken kann. Man kann nicht oft genug ſagen, daß das Kunſtwerk ſich ſelbſt erklären ſoll. Die Darſtellbarkeit hört aber ganz auf bei dem bloßen Gleichniß, das zudem nach Belieben auch ein Bild wählen mag, welches in der wirklichen Anſchauung gar nicht vollzogen werden kann, wie das bibliſche vom Balken und Splitter; aber auch dieß hat man gemalt. Wir ſtehen hiemit wieder bei der allgemeinen Frage über die Darſtellung abſtracter Begriffe und abſtract aufgefaßter concreter Begriffe. Hierauf antwortet in der Metaphyſik des Schönen §. 16 und in der Lehre von der Phantaſie §. 444 (von der Allegorie). In der That iſt es nur die geiſtige Leichtigkeit, Beweglichkeit, der durchſichtigere Schein in der Darſtellungsweiſe der Malerei, was für dieſe Kunſt die Verſuchung mit ſich führt, Wahrheiten zu vergeſſen, welche aller Kunſt gelten, ſich recht grundſatzmäßig auf die Allegorie zu werfen und jene Gedanken- Malerei auszubilden, welche mit dem Verfall der Künſte begonnen und in der modernen Wiederbelebung neuen Raum gewonnen hat. Sieht man das Weſen dieſer Kunſt genauer an, ſo zeigt es zwei Seiten, welche ſich zu der Frage über eigentliche oder uneigentliche Darſtellung grund- verſchieden verhalten. Die Kunſtweiſe der Malerei iſt wohl in gewiſſem Sinne mehr reiner Schein, als die der Sculptur (vergl. §. 650), aber

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/107>, abgerufen am 24.11.2024.