des gramvollen Erlöschens, des kraftvollen Aufleuchtens, der Drehungen des Apfels nach den Seiten, seines Herausquellens, Einsinkens, man be- denke, wie sogar eine mäßig ungleiche Stellung der Augäpfel dienen kann, den Ausdruck eines tiefen Insichseins hervorzubringen, das sieht, ohne zu sehen, (der altdeutschen Schule ist dieses absichtlich gegebene feine Schielen durchaus gemeinsam); oder wie eine unbestimmte, zerflossene Art, den Rand der Iris zu behandeln, in den visionär aufgefaßten Gestalten des Fra Bartolomeo wesentlich den Eindruck eines verzückten Rotirens der Augen unterstützt. Auch über die Haare ist hier noch zu bemerken, wie ihre nähere Textur, Gerolltheit oder Straffheit, Fülle oder Dünne bis zur Kahlheit bei dem Ausdruck der Stimmung und Zustände mitwirkt; äußere Motive können hinzugezogen werden, wie z. B. bei Pietro Perugino öfters ein sanfter Wind, der von den verklärten, goldenen Höhen, aus denen himmlische Gestalten niederschauen, herweht, die obersten Löckchen sehn- suchtsvoll aufblickender Menschen oder der herschwebenden Engel leicht aufwühlt: ein Motiv von eigenthümlich stimmungsvoller Wirkung; auch Raphael hat es öfters, namentlich bei dem Christuskinde auf dem Arm der sixt. Madonna. Endlich ist nun der malerische Styl auch an Tönen des Colorits, wie es sich über den ganzen Körper, vorzüglich aber über das Angesicht verbreitet, unendlich reicher, als es dem gröberen Auge scheinen mag. Erblassen und Erbleichen sind gegenüber dieser Welt von Unterschieden noch einfache Gegensätze. Das äußerste Leiden der Seele und des Leibs z. B. zieht unbeschreibliche Schauer von grauen Tönen um Auge und Schläfe zusammen, verbreitet sie über die ganze Haut; die Gemeinheit hat ein fahles Erdcolorit, der Seelenadel eine klare Durch- sichtigkeit, frohe Sinnenlust eine Blutwärme, die wieder in zahllose Nüan- cen sich theilen kann. -- Wenn nun die Malerei mit diesen feinen Waf- fen ihre tiefen Wirkungen hervorbringt, so hat sie darum nicht das schwere Geschütz der durch die ganze Erscheinung heftig ergossenen Bewegung des Affects zu meiden, vielmehr fallen ja auch hier, nachdem schon gezeigt ist, wie sie die gewaltsamste sinnliche Bewegung abgesehen vom Ausdruck ent- falten darf, die Schranken, welche der Sculptur gesetzt sind: sie hat nicht mit so strenger Form, wie diese, in der Excentricität der Leidenschaft den Schwerpunct des Charakters zu hüten, sie kann ihn retten durch einen bloßen Blick, ja durch den beruhigend ruhigen Ausdruck einer zweiten, dritten Gestalt. Doch liegt der Unterschied vom Style der Bildnerkunst nicht sowohl im Maaße der Bewegung im Ganzen und Großen; wir haben an einem Laokoon gesehen, was diese wagen darf; er liegt viel- mehr in der Verbindung der kleinen Bewegungen mit den großen, in der Spezialisirung der letzteren. Der Krampf der Wuth oder des Leidens erreicht seine Furchtbarkeit erst, wenn er jeden Nerv durchbebt, das An-
des gramvollen Erlöſchens, des kraftvollen Aufleuchtens, der Drehungen des Apfels nach den Seiten, ſeines Herausquellens, Einſinkens, man be- denke, wie ſogar eine mäßig ungleiche Stellung der Augäpfel dienen kann, den Ausdruck eines tiefen Inſichſeins hervorzubringen, das ſieht, ohne zu ſehen, (der altdeutſchen Schule iſt dieſes abſichtlich gegebene feine Schielen durchaus gemeinſam); oder wie eine unbeſtimmte, zerfloſſene Art, den Rand der Iris zu behandeln, in den viſionär aufgefaßten Geſtalten des Fra Bartolomeo weſentlich den Eindruck eines verzückten Rotirens der Augen unterſtützt. Auch über die Haare iſt hier noch zu bemerken, wie ihre nähere Textur, Gerolltheit oder Straffheit, Fülle oder Dünne bis zur Kahlheit bei dem Ausdruck der Stimmung und Zuſtände mitwirkt; äußere Motive können hinzugezogen werden, wie z. B. bei Pietro Perugino öfters ein ſanfter Wind, der von den verklärten, goldenen Höhen, aus denen himmliſche Geſtalten niederſchauen, herweht, die oberſten Löckchen ſehn- ſuchtsvoll aufblickender Menſchen oder der herſchwebenden Engel leicht aufwühlt: ein Motiv von eigenthümlich ſtimmungsvoller Wirkung; auch Raphael hat es öfters, namentlich bei dem Chriſtuskinde auf dem Arm der ſixt. Madonna. Endlich iſt nun der maleriſche Styl auch an Tönen des Colorits, wie es ſich über den ganzen Körper, vorzüglich aber über das Angeſicht verbreitet, unendlich reicher, als es dem gröberen Auge ſcheinen mag. Erblaſſen und Erbleichen ſind gegenüber dieſer Welt von Unterſchieden noch einfache Gegenſätze. Das äußerſte Leiden der Seele und des Leibs z. B. zieht unbeſchreibliche Schauer von grauen Tönen um Auge und Schläfe zuſammen, verbreitet ſie über die ganze Haut; die Gemeinheit hat ein fahles Erdcolorit, der Seelenadel eine klare Durch- ſichtigkeit, frohe Sinnenluſt eine Blutwärme, die wieder in zahlloſe Nüan- cen ſich theilen kann. — Wenn nun die Malerei mit dieſen feinen Waf- fen ihre tiefen Wirkungen hervorbringt, ſo hat ſie darum nicht das ſchwere Geſchütz der durch die ganze Erſcheinung heftig ergoſſenen Bewegung des Affects zu meiden, vielmehr fallen ja auch hier, nachdem ſchon gezeigt iſt, wie ſie die gewaltſamſte ſinnliche Bewegung abgeſehen vom Ausdruck ent- falten darf, die Schranken, welche der Sculptur geſetzt ſind: ſie hat nicht mit ſo ſtrenger Form, wie dieſe, in der Excentricität der Leidenſchaft den Schwerpunct des Charakters zu hüten, ſie kann ihn retten durch einen bloßen Blick, ja durch den beruhigend ruhigen Ausdruck einer zweiten, dritten Geſtalt. Doch liegt der Unterſchied vom Style der Bildnerkunſt nicht ſowohl im Maaße der Bewegung im Ganzen und Großen; wir haben an einem Laokoon geſehen, was dieſe wagen darf; er liegt viel- mehr in der Verbindung der kleinen Bewegungen mit den großen, in der Spezialiſirung der letzteren. Der Krampf der Wuth oder des Leidens erreicht ſeine Furchtbarkeit erſt, wenn er jeden Nerv durchbebt, das An-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0103"n="595"/>
des gramvollen Erlöſchens, des kraftvollen Aufleuchtens, der Drehungen<lb/>
des Apfels nach den Seiten, ſeines Herausquellens, Einſinkens, man be-<lb/>
denke, wie ſogar eine mäßig ungleiche Stellung der Augäpfel dienen kann,<lb/>
den Ausdruck eines tiefen Inſichſeins hervorzubringen, das ſieht, ohne<lb/>
zu ſehen, (der altdeutſchen Schule iſt dieſes abſichtlich gegebene feine<lb/>
Schielen durchaus gemeinſam); oder wie eine unbeſtimmte, zerfloſſene Art,<lb/>
den Rand der Iris zu behandeln, in den viſionär aufgefaßten Geſtalten<lb/>
des Fra Bartolomeo weſentlich den Eindruck eines verzückten Rotirens<lb/>
der Augen unterſtützt. Auch über die Haare iſt hier noch zu bemerken, wie<lb/>
ihre nähere Textur, Gerolltheit oder Straffheit, Fülle oder Dünne bis zur<lb/>
Kahlheit bei dem Ausdruck der Stimmung und Zuſtände mitwirkt; äußere<lb/>
Motive können hinzugezogen werden, wie z. B. bei Pietro Perugino öfters<lb/>
ein ſanfter Wind, der von den verklärten, goldenen Höhen, aus denen<lb/>
himmliſche Geſtalten niederſchauen, herweht, die oberſten Löckchen ſehn-<lb/>ſuchtsvoll aufblickender Menſchen oder der herſchwebenden Engel leicht<lb/>
aufwühlt: ein Motiv von eigenthümlich ſtimmungsvoller Wirkung; auch<lb/>
Raphael hat es öfters, namentlich bei dem Chriſtuskinde auf dem Arm<lb/>
der ſixt. Madonna. Endlich iſt nun der maleriſche Styl auch an Tönen<lb/>
des Colorits, wie es ſich über den ganzen Körper, vorzüglich aber über<lb/>
das Angeſicht verbreitet, unendlich reicher, als es dem gröberen Auge<lb/>ſcheinen mag. Erblaſſen und Erbleichen ſind gegenüber dieſer Welt von<lb/>
Unterſchieden noch einfache Gegenſätze. Das äußerſte Leiden der Seele<lb/>
und des Leibs z. B. zieht unbeſchreibliche Schauer von grauen Tönen<lb/>
um Auge und Schläfe zuſammen, verbreitet ſie über die ganze Haut; die<lb/>
Gemeinheit hat ein fahles Erdcolorit, der Seelenadel eine klare Durch-<lb/>ſichtigkeit, frohe Sinnenluſt eine Blutwärme, die wieder in zahlloſe Nüan-<lb/>
cen ſich theilen kann. — Wenn nun die Malerei mit dieſen feinen Waf-<lb/>
fen ihre tiefen Wirkungen hervorbringt, ſo hat ſie darum nicht das ſchwere<lb/>
Geſchütz der durch die ganze Erſcheinung heftig ergoſſenen Bewegung des<lb/>
Affects zu meiden, vielmehr fallen ja auch hier, nachdem ſchon gezeigt iſt,<lb/>
wie ſie die gewaltſamſte ſinnliche Bewegung abgeſehen vom Ausdruck ent-<lb/>
falten darf, die Schranken, welche der Sculptur geſetzt ſind: ſie hat nicht<lb/>
mit ſo ſtrenger Form, wie dieſe, in der Excentricität der Leidenſchaft den<lb/>
Schwerpunct des Charakters zu hüten, ſie kann ihn retten durch einen<lb/>
bloßen Blick, ja durch den beruhigend ruhigen Ausdruck einer zweiten,<lb/>
dritten Geſtalt. Doch liegt der Unterſchied vom Style der Bildnerkunſt<lb/>
nicht ſowohl im Maaße der Bewegung im Ganzen und Großen; wir<lb/>
haben an einem Laokoon geſehen, was dieſe wagen darf; er liegt viel-<lb/>
mehr in der Verbindung der kleinen Bewegungen mit den großen, in der<lb/>
Spezialiſirung der letzteren. Der Krampf der Wuth oder des Leidens<lb/>
erreicht ſeine Furchtbarkeit erſt, wenn er jeden Nerv durchbebt, das An-<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[595/0103]
des gramvollen Erlöſchens, des kraftvollen Aufleuchtens, der Drehungen
des Apfels nach den Seiten, ſeines Herausquellens, Einſinkens, man be-
denke, wie ſogar eine mäßig ungleiche Stellung der Augäpfel dienen kann,
den Ausdruck eines tiefen Inſichſeins hervorzubringen, das ſieht, ohne
zu ſehen, (der altdeutſchen Schule iſt dieſes abſichtlich gegebene feine
Schielen durchaus gemeinſam); oder wie eine unbeſtimmte, zerfloſſene Art,
den Rand der Iris zu behandeln, in den viſionär aufgefaßten Geſtalten
des Fra Bartolomeo weſentlich den Eindruck eines verzückten Rotirens
der Augen unterſtützt. Auch über die Haare iſt hier noch zu bemerken, wie
ihre nähere Textur, Gerolltheit oder Straffheit, Fülle oder Dünne bis zur
Kahlheit bei dem Ausdruck der Stimmung und Zuſtände mitwirkt; äußere
Motive können hinzugezogen werden, wie z. B. bei Pietro Perugino öfters
ein ſanfter Wind, der von den verklärten, goldenen Höhen, aus denen
himmliſche Geſtalten niederſchauen, herweht, die oberſten Löckchen ſehn-
ſuchtsvoll aufblickender Menſchen oder der herſchwebenden Engel leicht
aufwühlt: ein Motiv von eigenthümlich ſtimmungsvoller Wirkung; auch
Raphael hat es öfters, namentlich bei dem Chriſtuskinde auf dem Arm
der ſixt. Madonna. Endlich iſt nun der maleriſche Styl auch an Tönen
des Colorits, wie es ſich über den ganzen Körper, vorzüglich aber über
das Angeſicht verbreitet, unendlich reicher, als es dem gröberen Auge
ſcheinen mag. Erblaſſen und Erbleichen ſind gegenüber dieſer Welt von
Unterſchieden noch einfache Gegenſätze. Das äußerſte Leiden der Seele
und des Leibs z. B. zieht unbeſchreibliche Schauer von grauen Tönen
um Auge und Schläfe zuſammen, verbreitet ſie über die ganze Haut; die
Gemeinheit hat ein fahles Erdcolorit, der Seelenadel eine klare Durch-
ſichtigkeit, frohe Sinnenluſt eine Blutwärme, die wieder in zahlloſe Nüan-
cen ſich theilen kann. — Wenn nun die Malerei mit dieſen feinen Waf-
fen ihre tiefen Wirkungen hervorbringt, ſo hat ſie darum nicht das ſchwere
Geſchütz der durch die ganze Erſcheinung heftig ergoſſenen Bewegung des
Affects zu meiden, vielmehr fallen ja auch hier, nachdem ſchon gezeigt iſt,
wie ſie die gewaltſamſte ſinnliche Bewegung abgeſehen vom Ausdruck ent-
falten darf, die Schranken, welche der Sculptur geſetzt ſind: ſie hat nicht
mit ſo ſtrenger Form, wie dieſe, in der Excentricität der Leidenſchaft den
Schwerpunct des Charakters zu hüten, ſie kann ihn retten durch einen
bloßen Blick, ja durch den beruhigend ruhigen Ausdruck einer zweiten,
dritten Geſtalt. Doch liegt der Unterſchied vom Style der Bildnerkunſt
nicht ſowohl im Maaße der Bewegung im Ganzen und Großen; wir
haben an einem Laokoon geſehen, was dieſe wagen darf; er liegt viel-
mehr in der Verbindung der kleinen Bewegungen mit den großen, in der
Spezialiſirung der letzteren. Der Krampf der Wuth oder des Leidens
erreicht ſeine Furchtbarkeit erſt, wenn er jeden Nerv durchbebt, das An-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/103>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.