abheben. Der Kugelform, dem volleren Kreisausschnitt nähern sich die Schulter, die den Arm von der Brust absetzt, Hüften und Sitzmuskeln, welche die Beine vorbereiten und umgekehrt zugleich ihren schlanken Zug kräftig ansammeln. Es gilt nun, diese Haupttheile weiter zu theilen, in die Hügelzüge der Muskel zu verfolgen, aber nicht zu weit. Der Bildner muß auch hier das Wesentliche stark hervorheben, das minder Wesentliche ausscheiden oder leicht andeuten. Die Hauptmuskeln müssen machtvoll hervortreten; wie wohlthätig im Großen theilend erscheinen dem Auge namentlich die gewaltigen Schenkelmuskel am Herkules-Torso, am sog. Ilissus im westlichen, dem ruhenden Jüngling im östlichen Giebelfelde des Parthenon! Je bestimmter und markiger der Hauptkörper dieser großen Bewegungshebel angegeben wird, desto nöthiger ist nun auch, daß das Ver- mittelnde, Sanfte, Runde den Härten entgegenwirke, die sonst entstünden. Im Körper ist dieses Vermittelnde namentlich das Fett; es spielt eine stärkereRolle in den weiblichen Formen; ein strenges Maaß ist in dieser ausfüllenden Weichbildung dem Bildner vorgeschrieben, sonst hebt er die markige Be- stimmtheit wieder auf und wird schwammig, eine Rubens'sche Figur wäre in der Plastik höchst eckelhaft; wie wesentlich aber diese überleitende Form ist, wird z. B. an der Wade klar, welche, zu einem Muskelballen ohne Uebergangslinie zusammengezogen, unter die größten Häßlichkeiten gehört. Vermittelnd und überleitend sind, wenn sie sanft angedeutet werden, auch die einzelnen untergeordneten Muskelbildungen; werden sie stärker ausgesprochen, also auch mehr in ihre Einzelheit verfolgt, so wirken sie dagegen als scharf theilendes Moment. Wie sich nun der Bildner hierin verhalten wird, darüber kann im Allgemeinen nur so viel ausgesagt werden: in der Ruhe ist nur durch besondere athletische Entwicklung eines Körpers das stärkere Markiren des Details begründet; die derberen Forderungen des Erzgusses (vergl. §. 607) treffen mit dieser Bedingung zusammen (Her- kules-Ideal des Lysippus); in der angestrengten Bewegung aber, also freilich der Situation, in welcher eben athletische Figuren meist zur Dar- stellung kommen, ist solche Detaillirung durch den Moment an sich gefor- dert; zu starkes Ueberwiegen des Theilenden über das fließend Vermit- telnde wird dann durch die gleichzeitig steigende Kraft der Hauptmuskel, welche das Einzelne beherrschen und zusammenhalten, verhindert. Eigenthümlich schön belebt sich in beiden Fällen die ausgedehnteste Fläche des Körpers, der Rücken (Torso des Herkules, Oeleinreibender Athlet in Dresden u. And.), aber auch der zärtere jugendliche und weibliche Rücken ist ein reiz- volles Feld sanfter Hügel und Senkungen. Noch ferner, als vieles Muskel- Detail, liegt dem Künstler das Hervorheben der Sehnen und Adern; sie erinnern zu unmittelbar an den ganzen Apparat, der zum Leben gehört, namentlich weist die Ader zu hart auf die dunkeln Werkstätten seiner
abheben. Der Kugelform, dem volleren Kreisausſchnitt nähern ſich die Schulter, die den Arm von der Bruſt abſetzt, Hüften und Sitzmuſkeln, welche die Beine vorbereiten und umgekehrt zugleich ihren ſchlanken Zug kräftig anſammeln. Es gilt nun, dieſe Haupttheile weiter zu theilen, in die Hügelzüge der Muſkel zu verfolgen, aber nicht zu weit. Der Bildner muß auch hier das Weſentliche ſtark hervorheben, das minder Weſentliche ausſcheiden oder leicht andeuten. Die Hauptmuſkeln müſſen machtvoll hervortreten; wie wohlthätig im Großen theilend erſcheinen dem Auge namentlich die gewaltigen Schenkelmuſkel am Herkules-Torſo, am ſog. Iliſſus im weſtlichen, dem ruhenden Jüngling im öſtlichen Giebelfelde des Parthenon! Je beſtimmter und markiger der Hauptkörper dieſer großen Bewegungshebel angegeben wird, deſto nöthiger iſt nun auch, daß das Ver- mittelnde, Sanfte, Runde den Härten entgegenwirke, die ſonſt entſtünden. Im Körper iſt dieſes Vermittelnde namentlich das Fett; es ſpielt eine ſtärkereRolle in den weiblichen Formen; ein ſtrenges Maaß iſt in dieſer ausfüllenden Weichbildung dem Bildner vorgeſchrieben, ſonſt hebt er die markige Be- ſtimmtheit wieder auf und wird ſchwammig, eine Rubens’ſche Figur wäre in der Plaſtik höchſt eckelhaft; wie weſentlich aber dieſe überleitende Form iſt, wird z. B. an der Wade klar, welche, zu einem Muſkelballen ohne Uebergangslinie zuſammengezogen, unter die größten Häßlichkeiten gehört. Vermittelnd und überleitend ſind, wenn ſie ſanft angedeutet werden, auch die einzelnen untergeordneten Muſkelbildungen; werden ſie ſtärker ausgeſprochen, alſo auch mehr in ihre Einzelheit verfolgt, ſo wirken ſie dagegen als ſcharf theilendes Moment. Wie ſich nun der Bildner hierin verhalten wird, darüber kann im Allgemeinen nur ſo viel ausgeſagt werden: in der Ruhe iſt nur durch beſondere athletiſche Entwicklung eines Körpers das ſtärkere Markiren des Details begründet; die derberen Forderungen des Erzguſſes (vergl. §. 607) treffen mit dieſer Bedingung zuſammen (Her- kules-Ideal des Lyſippus); in der angeſtrengten Bewegung aber, alſo freilich der Situation, in welcher eben athletiſche Figuren meiſt zur Dar- ſtellung kommen, iſt ſolche Detaillirung durch den Moment an ſich gefor- dert; zu ſtarkes Ueberwiegen des Theilenden über das fließend Vermit- telnde wird dann durch die gleichzeitig ſteigende Kraft der Hauptmuſkel, welche das Einzelne beherrſchen und zuſammenhalten, verhindert. Eigenthümlich ſchön belebt ſich in beiden Fällen die ausgedehnteſte Fläche des Körpers, der Rücken (Torſo des Herkules, Oeleinreibender Athlet in Dresden u. And.), aber auch der zärtere jugendliche und weibliche Rücken iſt ein reiz- volles Feld ſanfter Hügel und Senkungen. Noch ferner, als vieles Muſkel- Detail, liegt dem Künſtler das Hervorheben der Sehnen und Adern; ſie erinnern zu unmittelbar an den ganzen Apparat, der zum Leben gehört, namentlich weist die Ader zu hart auf die dunkeln Werkſtätten ſeiner
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[417/0091]
abheben. Der Kugelform, dem volleren Kreisausſchnitt nähern ſich die
Schulter, die den Arm von der Bruſt abſetzt, Hüften und Sitzmuſkeln,
welche die Beine vorbereiten und umgekehrt zugleich ihren ſchlanken Zug
kräftig anſammeln. Es gilt nun, dieſe Haupttheile weiter zu theilen, in
die Hügelzüge der Muſkel zu verfolgen, aber nicht zu weit. Der Bildner
muß auch hier das Weſentliche ſtark hervorheben, das minder Weſentliche
ausſcheiden oder leicht andeuten. Die Hauptmuſkeln müſſen machtvoll
hervortreten; wie wohlthätig im Großen theilend erſcheinen dem Auge
namentlich die gewaltigen Schenkelmuſkel am Herkules-Torſo, am ſog.
Iliſſus im weſtlichen, dem ruhenden Jüngling im öſtlichen Giebelfelde des
Parthenon! Je beſtimmter und markiger der Hauptkörper dieſer großen
Bewegungshebel angegeben wird, deſto nöthiger iſt nun auch, daß das Ver-
mittelnde, Sanfte, Runde den Härten entgegenwirke, die ſonſt entſtünden. Im
Körper iſt dieſes Vermittelnde namentlich das Fett; es ſpielt eine ſtärkereRolle
in den weiblichen Formen; ein ſtrenges Maaß iſt in dieſer ausfüllenden
Weichbildung dem Bildner vorgeſchrieben, ſonſt hebt er die markige Be-
ſtimmtheit wieder auf und wird ſchwammig, eine Rubens’ſche Figur wäre
in der Plaſtik höchſt eckelhaft; wie weſentlich aber dieſe überleitende Form
iſt, wird z. B. an der Wade klar, welche, zu einem Muſkelballen ohne
Uebergangslinie zuſammengezogen, unter die größten Häßlichkeiten gehört.
Vermittelnd und überleitend ſind, wenn ſie ſanft angedeutet werden, auch die
einzelnen untergeordneten Muſkelbildungen; werden ſie ſtärker ausgeſprochen,
alſo auch mehr in ihre Einzelheit verfolgt, ſo wirken ſie dagegen als
ſcharf theilendes Moment. Wie ſich nun der Bildner hierin verhalten
wird, darüber kann im Allgemeinen nur ſo viel ausgeſagt werden: in der
Ruhe iſt nur durch beſondere athletiſche Entwicklung eines Körpers das
ſtärkere Markiren des Details begründet; die derberen Forderungen des
Erzguſſes (vergl. §. 607) treffen mit dieſer Bedingung zuſammen (Her-
kules-Ideal des Lyſippus); in der angeſtrengten Bewegung aber, alſo
freilich der Situation, in welcher eben athletiſche Figuren meiſt zur Dar-
ſtellung kommen, iſt ſolche Detaillirung durch den Moment an ſich gefor-
dert; zu ſtarkes Ueberwiegen des Theilenden über das fließend Vermit-
telnde wird dann durch die gleichzeitig ſteigende Kraft der Hauptmuſkel, welche
das Einzelne beherrſchen und zuſammenhalten, verhindert. Eigenthümlich
ſchön belebt ſich in beiden Fällen die ausgedehnteſte Fläche des Körpers,
der Rücken (Torſo des Herkules, Oeleinreibender Athlet in Dresden u.
And.), aber auch der zärtere jugendliche und weibliche Rücken iſt ein reiz-
volles Feld ſanfter Hügel und Senkungen. Noch ferner, als vieles Muſkel-
Detail, liegt dem Künſtler das Hervorheben der Sehnen und Adern; ſie
erinnern zu unmittelbar an den ganzen Apparat, der zum Leben gehört,
namentlich weist die Ader zu hart auf die dunkeln Werkſtätten ſeiner
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/91>, abgerufen am 07.07.2024.
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