Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

die zu dieser Kunst hinführt. Darin liegt nun aber auch eine Versuchung
zu wirklicher Vermischung der Grundgesetze zweier Künste, zu einer falschen
Uebertragung der malerischen in die plastische Phantasie; die Griechen noch
nicht, wohl aber die Römer, noch mehr aber die Künstler des späteren Mittel-
alters, der Renaissance- und Rokoko-Zeit erlagen in verschiedenem Sinne
dieser Versuchung. Das Grundgesetz der Bildnerkunst wird nämlich im
Relief so wenig aufgehoben, daß es nach einer Hauptseite sogar noch
strenger wirkt, als in der Rundbildnerei, und nach einer andern zwar eine
Erweiterung in sich aufnimmt, jedoch, eben wegen der erhöhten Strenge
auf jener Seite, nur zugleich mit einer wesentlichen Hemmung. Das heißt: in der
Richtung der Tiefe kann das Relief sogar weniger Figuren miteinander
verbinden, als das freie Bildwerk, wohl aber in der Richtung der Länge,
hier jedoch auf Kosten der strengeren Einheit der Composition. Der
Grund ist dieser: im freien Bildwerke muß der Künstler zwar sparsam
sein in Zahl verbundener Figuren, weil sie sonst einander decken, übrigens
aber kann er doch seiner Basis einen verhältnißmäßig bedeutenden Um-
fang geben und sein Werk kann umwandelt werden; das Werk des Relief-
bildners aber kann nicht umwandelt werden und er kann den Mangel
der Tiefe nicht durch Annahme verschiedener Grade von Erhebung ergän-
zen, sondern im Wesentlichen soll in jedem Relief Ein Erhebungsgrad
herrschen, denn er darf nicht meinen, durch die architektonische Fläche,
auf welcher er darstellt, nun einen Grund gewonnen zu haben, der ihm
die Breite der Basis ersetzte und weiterhin überhaupt einen beliebigen
Darstellungs-Umfang in der Richtung der Tiefe darböte. Die Fläche ist
nicht der Raum seiner Figuren, die Raumlosigkeit des Bildwerks ist im
Relief nicht aufgehoben, die Fläche ist bildnerisch indifferent, geht nur die
Baukunst an, ist dem Bildner nur das stoffartige Feste, an das er sein
Werk, um die freiere Ausdehnung in die Länge zu gewinnen, anklebt.
Was aus der Verkennung dieser Indifferenz der Fläche entspringt, hat
Tölken (Ueber d. Basrelief u. s. w.) gezeigt: der geringste Grad der
Ausladung, der das Fernste anzeigen soll, läßt das also flach Gebildete
doch nicht fern erscheinen, denn es fehlt die Abschwächung der Farben
und Tinten, welche diesen Schein erzeugt, und der natürliche Schatten
der Figuren, die stärker ausgeladen den Schein des Mittel- und Vorder-
grundes hervorbringen sollen, hebt vollends, indem er natürlich weit ge-
nug reicht, um auf jenes Flachste noch zu fallen, allen Ferne-Schein auf.
Will man nun die vermeintlich gewonnene Tiefe dazu benützen, um
Figuren in gedrängten Gruppen, also auch in mehreren Abstufungen hin-
tereinander zu verbinden, so verliert immer das Relief der vordern durch
das der hintern und schließlich wäre der Bildner genöthigt, die vorderste
ganz frei abzulösen, d. h. er wäre aus dem Relief ganz heraus und hätte

die zu dieſer Kunſt hinführt. Darin liegt nun aber auch eine Verſuchung
zu wirklicher Vermiſchung der Grundgeſetze zweier Künſte, zu einer falſchen
Uebertragung der maleriſchen in die plaſtiſche Phantaſie; die Griechen noch
nicht, wohl aber die Römer, noch mehr aber die Künſtler des ſpäteren Mittel-
alters, der Renaiſſance- und Rokoko-Zeit erlagen in verſchiedenem Sinne
dieſer Verſuchung. Das Grundgeſetz der Bildnerkunſt wird nämlich im
Relief ſo wenig aufgehoben, daß es nach einer Hauptſeite ſogar noch
ſtrenger wirkt, als in der Rundbildnerei, und nach einer andern zwar eine
Erweiterung in ſich aufnimmt, jedoch, eben wegen der erhöhten Strenge
auf jener Seite, nur zugleich mit einer weſentlichen Hemmung. Das heißt: in der
Richtung der Tiefe kann das Relief ſogar weniger Figuren miteinander
verbinden, als das freie Bildwerk, wohl aber in der Richtung der Länge,
hier jedoch auf Koſten der ſtrengeren Einheit der Compoſition. Der
Grund iſt dieſer: im freien Bildwerke muß der Künſtler zwar ſparſam
ſein in Zahl verbundener Figuren, weil ſie ſonſt einander decken, übrigens
aber kann er doch ſeiner Baſis einen verhältnißmäßig bedeutenden Um-
fang geben und ſein Werk kann umwandelt werden; das Werk des Relief-
bildners aber kann nicht umwandelt werden und er kann den Mangel
der Tiefe nicht durch Annahme verſchiedener Grade von Erhebung ergän-
zen, ſondern im Weſentlichen ſoll in jedem Relief Ein Erhebungsgrad
herrſchen, denn er darf nicht meinen, durch die architektoniſche Fläche,
auf welcher er darſtellt, nun einen Grund gewonnen zu haben, der ihm
die Breite der Baſis erſetzte und weiterhin überhaupt einen beliebigen
Darſtellungs-Umfang in der Richtung der Tiefe darböte. Die Fläche iſt
nicht der Raum ſeiner Figuren, die Raumloſigkeit des Bildwerks iſt im
Relief nicht aufgehoben, die Fläche iſt bildneriſch indifferent, geht nur die
Baukunſt an, iſt dem Bildner nur das ſtoffartige Feſte, an das er ſein
Werk, um die freiere Ausdehnung in die Länge zu gewinnen, anklebt.
Was aus der Verkennung dieſer Indifferenz der Fläche entſpringt, hat
Tölken (Ueber d. Basrelief u. ſ. w.) gezeigt: der geringſte Grad der
Ausladung, der das Fernſte anzeigen ſoll, läßt das alſo flach Gebildete
doch nicht fern erſcheinen, denn es fehlt die Abſchwächung der Farben
und Tinten, welche dieſen Schein erzeugt, und der natürliche Schatten
der Figuren, die ſtärker ausgeladen den Schein des Mittel- und Vorder-
grundes hervorbringen ſollen, hebt vollends, indem er natürlich weit ge-
nug reicht, um auf jenes Flachſte noch zu fallen, allen Ferne-Schein auf.
Will man nun die vermeintlich gewonnene Tiefe dazu benützen, um
Figuren in gedrängten Gruppen, alſo auch in mehreren Abſtufungen hin-
tereinander zu verbinden, ſo verliert immer das Relief der vordern durch
das der hintern und ſchließlich wäre der Bildner genöthigt, die vorderſte
ganz frei abzulöſen, d. h. er wäre aus dem Relief ganz heraus und hätte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0067" n="393"/>
die zu die&#x017F;er Kun&#x017F;t hinführt. Darin liegt nun aber auch eine Ver&#x017F;uchung<lb/>
zu wirklicher Vermi&#x017F;chung der Grundge&#x017F;etze zweier Kün&#x017F;te, zu einer fal&#x017F;chen<lb/>
Uebertragung der maleri&#x017F;chen in die pla&#x017F;ti&#x017F;che Phanta&#x017F;ie; die Griechen noch<lb/>
nicht, wohl aber die Römer, noch mehr aber die Kün&#x017F;tler des &#x017F;päteren Mittel-<lb/>
alters, der Renai&#x017F;&#x017F;ance- und Rokoko-Zeit erlagen in ver&#x017F;chiedenem Sinne<lb/>
die&#x017F;er Ver&#x017F;uchung. Das Grundge&#x017F;etz der Bildnerkun&#x017F;t wird nämlich im<lb/>
Relief &#x017F;o wenig aufgehoben, daß es nach einer Haupt&#x017F;eite &#x017F;ogar noch<lb/>
&#x017F;trenger wirkt, als in der Rundbildnerei, und nach einer andern zwar eine<lb/>
Erweiterung in &#x017F;ich aufnimmt, jedoch, eben wegen der erhöhten Strenge<lb/>
auf jener Seite, nur zugleich mit einer we&#x017F;entlichen Hemmung. Das heißt: in der<lb/>
Richtung der <hi rendition="#g">Tiefe</hi> kann das Relief &#x017F;ogar weniger Figuren miteinander<lb/>
verbinden, als das freie Bildwerk, wohl aber in der Richtung der <hi rendition="#g">Länge,</hi><lb/>
hier jedoch auf Ko&#x017F;ten der &#x017F;trengeren Einheit der Compo&#x017F;ition. Der<lb/>
Grund i&#x017F;t die&#x017F;er: im freien Bildwerke muß der Kün&#x017F;tler zwar &#x017F;par&#x017F;am<lb/>
&#x017F;ein in Zahl verbundener Figuren, weil &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t einander decken, übrigens<lb/>
aber kann er doch &#x017F;einer Ba&#x017F;is einen verhältnißmäßig bedeutenden Um-<lb/>
fang geben und &#x017F;ein Werk kann umwandelt werden; das Werk des Relief-<lb/>
bildners aber kann nicht umwandelt werden und er kann den Mangel<lb/>
der Tiefe nicht durch Annahme ver&#x017F;chiedener Grade von Erhebung ergän-<lb/>
zen, &#x017F;ondern im We&#x017F;entlichen &#x017F;oll in jedem Relief Ein Erhebungsgrad<lb/>
herr&#x017F;chen, denn er darf nicht meinen, durch die architektoni&#x017F;che Fläche,<lb/>
auf welcher er dar&#x017F;tellt, nun einen Grund gewonnen zu haben, der ihm<lb/>
die Breite der Ba&#x017F;is er&#x017F;etzte und weiterhin überhaupt einen beliebigen<lb/>
Dar&#x017F;tellungs-Umfang in der Richtung der Tiefe darböte. Die Fläche i&#x017F;t<lb/>
nicht der Raum &#x017F;einer Figuren, die Raumlo&#x017F;igkeit des Bildwerks i&#x017F;t im<lb/>
Relief nicht aufgehoben, die Fläche i&#x017F;t bildneri&#x017F;ch indifferent, geht nur die<lb/>
Baukun&#x017F;t an, i&#x017F;t dem Bildner nur das &#x017F;toffartige Fe&#x017F;te, an das er &#x017F;ein<lb/>
Werk, um die freiere Ausdehnung in die Länge zu gewinnen, anklebt.<lb/>
Was aus der Verkennung die&#x017F;er Indifferenz der Fläche ent&#x017F;pringt, hat<lb/><hi rendition="#g">Tölken</hi> (Ueber d. Basrelief u. &#x017F;. w.) gezeigt: der gering&#x017F;te Grad der<lb/>
Ausladung, der das Fern&#x017F;te anzeigen &#x017F;oll, läßt das al&#x017F;o flach Gebildete<lb/>
doch nicht fern er&#x017F;cheinen, denn es fehlt die Ab&#x017F;chwächung der Farben<lb/>
und Tinten, welche die&#x017F;en Schein erzeugt, und der natürliche Schatten<lb/>
der Figuren, die &#x017F;tärker ausgeladen den Schein des Mittel- und Vorder-<lb/>
grundes hervorbringen &#x017F;ollen, hebt vollends, indem er natürlich weit ge-<lb/>
nug reicht, um auf jenes Flach&#x017F;te noch zu fallen, allen Ferne-Schein auf.<lb/>
Will man nun die vermeintlich gewonnene Tiefe dazu benützen, um<lb/>
Figuren in gedrängten Gruppen, al&#x017F;o auch in mehreren Ab&#x017F;tufungen hin-<lb/>
tereinander zu verbinden, &#x017F;o verliert immer das Relief der vordern durch<lb/>
das der hintern und &#x017F;chließlich wäre der Bildner genöthigt, die vorder&#x017F;te<lb/>
ganz frei abzulö&#x017F;en, d. h. er wäre aus dem Relief ganz heraus und hätte<lb/></hi> </p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0067] die zu dieſer Kunſt hinführt. Darin liegt nun aber auch eine Verſuchung zu wirklicher Vermiſchung der Grundgeſetze zweier Künſte, zu einer falſchen Uebertragung der maleriſchen in die plaſtiſche Phantaſie; die Griechen noch nicht, wohl aber die Römer, noch mehr aber die Künſtler des ſpäteren Mittel- alters, der Renaiſſance- und Rokoko-Zeit erlagen in verſchiedenem Sinne dieſer Verſuchung. Das Grundgeſetz der Bildnerkunſt wird nämlich im Relief ſo wenig aufgehoben, daß es nach einer Hauptſeite ſogar noch ſtrenger wirkt, als in der Rundbildnerei, und nach einer andern zwar eine Erweiterung in ſich aufnimmt, jedoch, eben wegen der erhöhten Strenge auf jener Seite, nur zugleich mit einer weſentlichen Hemmung. Das heißt: in der Richtung der Tiefe kann das Relief ſogar weniger Figuren miteinander verbinden, als das freie Bildwerk, wohl aber in der Richtung der Länge, hier jedoch auf Koſten der ſtrengeren Einheit der Compoſition. Der Grund iſt dieſer: im freien Bildwerke muß der Künſtler zwar ſparſam ſein in Zahl verbundener Figuren, weil ſie ſonſt einander decken, übrigens aber kann er doch ſeiner Baſis einen verhältnißmäßig bedeutenden Um- fang geben und ſein Werk kann umwandelt werden; das Werk des Relief- bildners aber kann nicht umwandelt werden und er kann den Mangel der Tiefe nicht durch Annahme verſchiedener Grade von Erhebung ergän- zen, ſondern im Weſentlichen ſoll in jedem Relief Ein Erhebungsgrad herrſchen, denn er darf nicht meinen, durch die architektoniſche Fläche, auf welcher er darſtellt, nun einen Grund gewonnen zu haben, der ihm die Breite der Baſis erſetzte und weiterhin überhaupt einen beliebigen Darſtellungs-Umfang in der Richtung der Tiefe darböte. Die Fläche iſt nicht der Raum ſeiner Figuren, die Raumloſigkeit des Bildwerks iſt im Relief nicht aufgehoben, die Fläche iſt bildneriſch indifferent, geht nur die Baukunſt an, iſt dem Bildner nur das ſtoffartige Feſte, an das er ſein Werk, um die freiere Ausdehnung in die Länge zu gewinnen, anklebt. Was aus der Verkennung dieſer Indifferenz der Fläche entſpringt, hat Tölken (Ueber d. Basrelief u. ſ. w.) gezeigt: der geringſte Grad der Ausladung, der das Fernſte anzeigen ſoll, läßt das alſo flach Gebildete doch nicht fern erſcheinen, denn es fehlt die Abſchwächung der Farben und Tinten, welche dieſen Schein erzeugt, und der natürliche Schatten der Figuren, die ſtärker ausgeladen den Schein des Mittel- und Vorder- grundes hervorbringen ſollen, hebt vollends, indem er natürlich weit ge- nug reicht, um auf jenes Flachſte noch zu fallen, allen Ferne-Schein auf. Will man nun die vermeintlich gewonnene Tiefe dazu benützen, um Figuren in gedrängten Gruppen, alſo auch in mehreren Abſtufungen hin- tereinander zu verbinden, ſo verliert immer das Relief der vordern durch das der hintern und ſchließlich wäre der Bildner genöthigt, die vorderſte ganz frei abzulöſen, d. h. er wäre aus dem Relief ganz heraus und hätte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/67
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/67>, abgerufen am 24.11.2024.