Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
bloßer Anflug, aber auch so überschreitet diese zweite Stufe den Spiel-
bloßer Anflug, aber auch ſo überſchreitet dieſe zweite Stufe den Spiel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0055" n="381"/> bloßer Anflug, aber auch ſo überſchreitet dieſe zweite Stufe den Spiel-<lb/> raum, den der §. durch den Ausdruck „gewiſſe Andeutungen“ offen läßt.<lb/> Wir können ſelbſt Angeſichts der einzig reinen Begabung des griechiſchen<lb/> Auges für Erfaſſung der feſten Form als ſolcher und der herrlichen Voll-<lb/> endung der Kunſt, die auf dieſes Auge ſich gründete, dieſes Urtheil nicht<lb/> opfern, nicht dem geiſtvollen A. Feuerbach beitreten, wenn er dem wahren<lb/> Grundgedanken ſeiner mehrerwähnten Schrift, wonach die griechiſche Plaſtik<lb/> nicht auf todte Ruhe, ſondern auf Leben und Beſeelung drang, die beſon-<lb/> dere Anwendung gibt, daß er die maleriſche Behandlung als „eine zarte<lb/> Vermittlung des Ewigbleibenden in der Natur mit dem bunten Glanze<lb/> der Erſcheinung, einen ſanften Uebergang aus dem geheimnißvollen Tempel<lb/> der Kunſt in das helle Gebiet der Wirklichkeit, eine Lockung auch des<lb/> blöderen Auges durch den Zauber eines bunten Sinnenſcheins zur ernſten<lb/> Betrachtung des höhern poetiſchen Scheines“ gegen „eine Theorie, welche<lb/> jedes ſtoffartige Intereſſe als Entwürdigung der Kunſt verwehrt“, in<lb/> Schutz nimmt. Wir ſuchen einen andern Ausweg, die Vergleichung mit<lb/> dem griechiſchen Drama. Die Dichtung und die reine Mimik war hier<lb/> mit Muſik, Geſang, Tanz in einer Weiſe vermählt, welche uns unmög-<lb/> lich als Muſter dienen kann; die geſchichtliche Entwicklung der Kunſt hat<lb/> zu einer Trennung dieſer Formen nothwendig geführt. Die großen<lb/> Tragiker bleiben uns gleich groß, obwohl wir ſie darin, daß ſie im Sinne<lb/> dieſer Kunſt-Verbindung dichteten, nimmermehr nachahmen können, und<lb/> wie wir von Aeſchylos und Sophokles das Bleibende, rein dichteriſch<lb/> Schöne ohne das Recitativ und Geſang und marſchartigen Tanz des<lb/> Chors genießen und unſerer Poeſie aneignen, ſo ſtreifen wir den Werken der<lb/> großen Bildhauer die Farbe ab, die ihnen als vergänglichen, nur in einem<lb/> beſondern Momente der Kunſtgeſchichte begründeten Anflug ohnedieß die<lb/> Luft und der Regen ebenſo abgeſtreift hat, wie dem griechiſchen Tempel.<lb/> Das lebendige, unmittelbare Ineinander, worin alle Künſte zuſammen ſich<lb/> bewegten, war ein unendlich fruchtbarer Zuſtand; wir haben durch die<lb/> Trennung verloren und gewonnen, wie denn durch alle Trennung der<lb/> Zweige des Lebens die Fülle naiver Unmittelbarkeit verloren geht und<lb/> doch das wahre Weſen des einzelnen Zweigs reiner entwickelt wird.<lb/> Daß gerade die Bildnerkunſt dieſen Vortheil weniger genießt, als das<lb/> Drama, hängt mit Hinderniſſen zuſammen, die anderswo liegen; das<lb/> erkannte Geſetz der Farbloſigkeit iſt es nicht, was einer Blüthe der<lb/> Plaſtik in der modernen Zeit entgegenſteht, ſondern der mangelnde<lb/> Boden der Lebensbedingungen und Culturformen. Es bleibt nun die<lb/> dritte Stufe, das Gebiet der zuläſſigen Andeutungen, zurück: aufgemalte<lb/> bunte Kleiderſäume, ſchwacher Ton an einzelnen Gewandſtücken, Vergol-<lb/> dung von Diademen, Attribute, Waffen u. ſ. w. von Erz, etwa noch An-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [381/0055]
bloßer Anflug, aber auch ſo überſchreitet dieſe zweite Stufe den Spiel-
raum, den der §. durch den Ausdruck „gewiſſe Andeutungen“ offen läßt.
Wir können ſelbſt Angeſichts der einzig reinen Begabung des griechiſchen
Auges für Erfaſſung der feſten Form als ſolcher und der herrlichen Voll-
endung der Kunſt, die auf dieſes Auge ſich gründete, dieſes Urtheil nicht
opfern, nicht dem geiſtvollen A. Feuerbach beitreten, wenn er dem wahren
Grundgedanken ſeiner mehrerwähnten Schrift, wonach die griechiſche Plaſtik
nicht auf todte Ruhe, ſondern auf Leben und Beſeelung drang, die beſon-
dere Anwendung gibt, daß er die maleriſche Behandlung als „eine zarte
Vermittlung des Ewigbleibenden in der Natur mit dem bunten Glanze
der Erſcheinung, einen ſanften Uebergang aus dem geheimnißvollen Tempel
der Kunſt in das helle Gebiet der Wirklichkeit, eine Lockung auch des
blöderen Auges durch den Zauber eines bunten Sinnenſcheins zur ernſten
Betrachtung des höhern poetiſchen Scheines“ gegen „eine Theorie, welche
jedes ſtoffartige Intereſſe als Entwürdigung der Kunſt verwehrt“, in
Schutz nimmt. Wir ſuchen einen andern Ausweg, die Vergleichung mit
dem griechiſchen Drama. Die Dichtung und die reine Mimik war hier
mit Muſik, Geſang, Tanz in einer Weiſe vermählt, welche uns unmög-
lich als Muſter dienen kann; die geſchichtliche Entwicklung der Kunſt hat
zu einer Trennung dieſer Formen nothwendig geführt. Die großen
Tragiker bleiben uns gleich groß, obwohl wir ſie darin, daß ſie im Sinne
dieſer Kunſt-Verbindung dichteten, nimmermehr nachahmen können, und
wie wir von Aeſchylos und Sophokles das Bleibende, rein dichteriſch
Schöne ohne das Recitativ und Geſang und marſchartigen Tanz des
Chors genießen und unſerer Poeſie aneignen, ſo ſtreifen wir den Werken der
großen Bildhauer die Farbe ab, die ihnen als vergänglichen, nur in einem
beſondern Momente der Kunſtgeſchichte begründeten Anflug ohnedieß die
Luft und der Regen ebenſo abgeſtreift hat, wie dem griechiſchen Tempel.
Das lebendige, unmittelbare Ineinander, worin alle Künſte zuſammen ſich
bewegten, war ein unendlich fruchtbarer Zuſtand; wir haben durch die
Trennung verloren und gewonnen, wie denn durch alle Trennung der
Zweige des Lebens die Fülle naiver Unmittelbarkeit verloren geht und
doch das wahre Weſen des einzelnen Zweigs reiner entwickelt wird.
Daß gerade die Bildnerkunſt dieſen Vortheil weniger genießt, als das
Drama, hängt mit Hinderniſſen zuſammen, die anderswo liegen; das
erkannte Geſetz der Farbloſigkeit iſt es nicht, was einer Blüthe der
Plaſtik in der modernen Zeit entgegenſteht, ſondern der mangelnde
Boden der Lebensbedingungen und Culturformen. Es bleibt nun die
dritte Stufe, das Gebiet der zuläſſigen Andeutungen, zurück: aufgemalte
bunte Kleiderſäume, ſchwacher Ton an einzelnen Gewandſtücken, Vergol-
dung von Diademen, Attribute, Waffen u. ſ. w. von Erz, etwa noch An-
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