sie das grelle Anstreichen, das sie vom Orient, namentlich Aegypten, über- kam, hinter sich hatte, die erste dieser Verfahrungsweisen sich angeeig- net, so könnten wir hier nicht die beziehungsweise Rechtfertigung in Aus- sicht stellen, wie sie derselben Behandlung des Bildwerks im Mittelalter zu gute kommen muß, wenn wir sie geschichtlich näher betrachten werden. Die Bildnerkunst hatte im classischen Ideal eine Selbständigkeit, durch welche der Uebergriff schreiend hervorgetreten wäre. Es hat sich nun aber mit der Polychromie der griechischen Plastik in der Zeit ihrer Blüthe offenbar so verhalten, daß sie die erste Stufe mied und sich frei zwischen der zweiten und dritten Stufe bewegte, indem der einzelne Künstler wie es ihm passend schien, mehr oder weniger sein Werk dem malerischen Eindruck näherte, wiewohl keiner ihn in seinem ganzen Umfang mit der plastischen Schönheit zu vereinigen suchte. Alle Ergebnisse der neueren Forschung zeigen, daß allerdings die zweite Stufe des Verfahrens sehr gewöhnlich war. Der Hauptbeweis ist dieser: es war, wie aus so vielen Beispielen hervorgeht, selbst in der besten Zeit und nicht blos bei chrys- elephantinen Werken, wie jene des Phidios und Polyklet, deren Edel- stein-Augen bekannt sind, sondern auch bei Erz- und Marmor-Arbeiten verbreiteter Brauch, farbige Augäpfel einzusetzen, die Iris mit Pupille von einem Edelstein oder einem andern dunkeln durchsichtigen Stoffe, das Weiße des Auges war im Marmor gegeben, doch scheint es auch von Elfenbein eingesetzt worden zu sein, bei Erzguß waren Silberblätt- chen gewöhnlich. Dieß läßt offenbar schließen, daß, wo die Spuren sol- cher Einsetzung fehlen, das Auge bemalt war. Mit vollem Rechte macht nun Hittorf gegen Kugler, der dieß zugibt, aber keinen Fleischton an- nimmt, geltend, daß das farbige Auge, wenn nicht zugleich dem Nackten des Körpers ein solcher Ton gegeben worden wäre, unerträglich gespen- stisch ausgesehen hätte. Die Einschmelzung von Wachs in den Marmor, wo er das Nackte darstellte, haben wir schon bezeichnet als ein Verfahren, das als Erstickung der charakteristischen Schönheit dieses Materials nur begreif- lich ist, wenn ihm die Auflegung eines Farbentons folgte. Dann muß- ten aber auch die Lippen eine Andeutung ihres stärkeren Rothes bekom- men; diese war daher schwerlich auf den äginetischen Styl beschränkt, an dessen Werken die Spuren sich bekanntlich finden. Die Haare mußten folgen; Spuren von Vergoldung, von Einfügung aus vergoldetem Metall sind bekanntlich nicht selten. Nun fehlt nur noch die Bekleidung, die, wenn einmal das Uebrige bunt war, gewiß nur weiß blieb, wenn sie weiß erscheinen sollte, übrigens auch dann ihren farbigen Saum erhielt. Gürtel, Schmuck, Waffen u. s. w. ebenfalls bemalt, oder von Erz, ver- goldetem Erz, Gold angesetzt. Diese polychromische Behandlung war nun zwar keine ganz malerische, sie blieb im wichtigsten Theil, im Fleische,
ſie das grelle Anſtreichen, das ſie vom Orient, namentlich Aegypten, über- kam, hinter ſich hatte, die erſte dieſer Verfahrungsweiſen ſich angeeig- net, ſo könnten wir hier nicht die beziehungsweiſe Rechtfertigung in Aus- ſicht ſtellen, wie ſie derſelben Behandlung des Bildwerks im Mittelalter zu gute kommen muß, wenn wir ſie geſchichtlich näher betrachten werden. Die Bildnerkunſt hatte im claſſiſchen Ideal eine Selbſtändigkeit, durch welche der Uebergriff ſchreiend hervorgetreten wäre. Es hat ſich nun aber mit der Polychromie der griechiſchen Plaſtik in der Zeit ihrer Blüthe offenbar ſo verhalten, daß ſie die erſte Stufe mied und ſich frei zwiſchen der zweiten und dritten Stufe bewegte, indem der einzelne Künſtler wie es ihm paſſend ſchien, mehr oder weniger ſein Werk dem maleriſchen Eindruck näherte, wiewohl keiner ihn in ſeinem ganzen Umfang mit der plaſtiſchen Schönheit zu vereinigen ſuchte. Alle Ergebniſſe der neueren Forſchung zeigen, daß allerdings die zweite Stufe des Verfahrens ſehr gewöhnlich war. Der Hauptbeweis iſt dieſer: es war, wie aus ſo vielen Beiſpielen hervorgeht, ſelbſt in der beſten Zeit und nicht blos bei chrys- elephantinen Werken, wie jene des Phidios und Polyklet, deren Edel- ſtein-Augen bekannt ſind, ſondern auch bei Erz- und Marmor-Arbeiten verbreiteter Brauch, farbige Augäpfel einzuſetzen, die Iris mit Pupille von einem Edelſtein oder einem andern dunkeln durchſichtigen Stoffe, das Weiße des Auges war im Marmor gegeben, doch ſcheint es auch von Elfenbein eingeſetzt worden zu ſein, bei Erzguß waren Silberblätt- chen gewöhnlich. Dieß läßt offenbar ſchließen, daß, wo die Spuren ſol- cher Einſetzung fehlen, das Auge bemalt war. Mit vollem Rechte macht nun Hittorf gegen Kugler, der dieß zugibt, aber keinen Fleiſchton an- nimmt, geltend, daß das farbige Auge, wenn nicht zugleich dem Nackten des Körpers ein ſolcher Ton gegeben worden wäre, unerträglich geſpen- ſtiſch ausgeſehen hätte. Die Einſchmelzung von Wachs in den Marmor, wo er das Nackte darſtellte, haben wir ſchon bezeichnet als ein Verfahren, das als Erſtickung der charakteriſtiſchen Schönheit dieſes Materials nur begreif- lich iſt, wenn ihm die Auflegung eines Farbentons folgte. Dann muß- ten aber auch die Lippen eine Andeutung ihres ſtärkeren Rothes bekom- men; dieſe war daher ſchwerlich auf den äginetiſchen Styl beſchränkt, an deſſen Werken die Spuren ſich bekanntlich finden. Die Haare mußten folgen; Spuren von Vergoldung, von Einfügung aus vergoldetem Metall ſind bekanntlich nicht ſelten. Nun fehlt nur noch die Bekleidung, die, wenn einmal das Uebrige bunt war, gewiß nur weiß blieb, wenn ſie weiß erſcheinen ſollte, übrigens auch dann ihren farbigen Saum erhielt. Gürtel, Schmuck, Waffen u. ſ. w. ebenfalls bemalt, oder von Erz, ver- goldetem Erz, Gold angeſetzt. Dieſe polychromiſche Behandlung war nun zwar keine ganz maleriſche, ſie blieb im wichtigſten Theil, im Fleiſche,
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ſie das grelle Anſtreichen, das ſie vom Orient, namentlich Aegypten, über-
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ſicht ſtellen, wie ſie derſelben Behandlung des Bildwerks im Mittelalter
zu gute kommen muß, wenn wir ſie geſchichtlich näher betrachten werden.
Die Bildnerkunſt hatte im claſſiſchen Ideal eine Selbſtändigkeit, durch
welche der Uebergriff ſchreiend hervorgetreten wäre. Es hat ſich nun
aber mit der Polychromie der griechiſchen Plaſtik in der Zeit ihrer Blüthe
offenbar ſo verhalten, daß ſie die erſte Stufe mied und ſich frei zwiſchen der
zweiten und dritten Stufe bewegte, indem der einzelne Künſtler
wie es ihm paſſend ſchien, mehr oder weniger ſein Werk dem maleriſchen
Eindruck näherte, wiewohl keiner ihn in ſeinem ganzen Umfang mit der
plaſtiſchen Schönheit zu vereinigen ſuchte. Alle Ergebniſſe der neueren
Forſchung zeigen, daß allerdings die zweite Stufe des Verfahrens ſehr
gewöhnlich war. Der Hauptbeweis iſt dieſer: es war, wie aus ſo vielen
Beiſpielen hervorgeht, ſelbſt in der beſten Zeit und nicht blos bei chrys-
elephantinen Werken, wie jene des Phidios und Polyklet, deren Edel-
ſtein-Augen bekannt ſind, ſondern auch bei Erz- und Marmor-Arbeiten
verbreiteter Brauch, farbige Augäpfel einzuſetzen, die Iris mit Pupille
von einem Edelſtein oder einem andern dunkeln durchſichtigen Stoffe,
das Weiße des Auges war im Marmor gegeben, doch ſcheint es auch
von Elfenbein eingeſetzt worden zu ſein, bei Erzguß waren Silberblätt-
chen gewöhnlich. Dieß läßt offenbar ſchließen, daß, wo die Spuren ſol-
cher Einſetzung fehlen, das Auge bemalt war. Mit vollem Rechte macht
nun Hittorf gegen Kugler, der dieß zugibt, aber keinen Fleiſchton an-
nimmt, geltend, daß das farbige Auge, wenn nicht zugleich dem Nackten
des Körpers ein ſolcher Ton gegeben worden wäre, unerträglich geſpen-
ſtiſch ausgeſehen hätte. Die Einſchmelzung von Wachs in den Marmor,
wo er das Nackte darſtellte, haben wir ſchon bezeichnet als ein Verfahren, das
als Erſtickung der charakteriſtiſchen Schönheit dieſes Materials nur begreif-
lich iſt, wenn ihm die Auflegung eines Farbentons folgte. Dann muß-
ten aber auch die Lippen eine Andeutung ihres ſtärkeren Rothes bekom-
men; dieſe war daher ſchwerlich auf den äginetiſchen Styl beſchränkt,
an deſſen Werken die Spuren ſich bekanntlich finden. Die Haare mußten
folgen; Spuren von Vergoldung, von Einfügung aus vergoldetem Metall
ſind bekanntlich nicht ſelten. Nun fehlt nur noch die Bekleidung, die,
wenn einmal das Uebrige bunt war, gewiß nur weiß blieb, wenn ſie
weiß erſcheinen ſollte, übrigens auch dann ihren farbigen Saum erhielt.
Gürtel, Schmuck, Waffen u. ſ. w. ebenfalls bemalt, oder von Erz, ver-
goldetem Erz, Gold angeſetzt. Dieſe polychromiſche Behandlung war nun
zwar keine ganz maleriſche, ſie blieb im wichtigſten Theil, im Fleiſche,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/54>, abgerufen am 30.07.2024.
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