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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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schimmer soll zwar, wie schon gesagt, ein matter sein; daß aller eigentliche
Glanz ästhetisch störend ist, haben wir schon gesehen, und es ist vom
Uebel, wenn ein gegossenes Werk durch Ciseliren jene sogenannte Guß-
haut verliert, welche ihm den erwünschten gedämpften, nicht völlig glatten
Lichtton und Strich gibt: immer aber bleibt ein Grad von Spiegelglanz,
worin die Formen zerrinnen, indem von den beleuchteten Theilen zu starke
Lichtreflexe in die beschatteten fallen, wodurch bei dunklerem, braunrothem
Tone die weniger sichtbaren Formen nicht deutlicher, sondern noch un-
deutlicher werden. Dieß nöthigt zu starker Hervorhebung des Details,
des Knochens, Muskels, der Sehne (vergl. Feuerbach D. vatic. Opoll
S. 174. 175), und eine medizeische Venus erscheint in Erznachbildung
glatt und flach. Nimmt man nun alles dieß zusammen, so erhellt, daß
der Erzguß auf das stark Ausgesprochene, Härtere, Kühnere, zunächst
also das Athletische, Heroische, überhaupt aber auf das realer Bestimmte,
vom reinen Ideal durch spezifizirtere Existenz Abliegende, namentlich auf die
monumentale Bildnißstatue und auf das Historische, soweit die Bildner-
kunst es ergreifen kann, angewiesen ist. Da diese Bestimmung dessel-
ben namentlich auch in dem bestimmteren Farbenton ihren Grund hat, so
können wir ebendasselbe von dem gewöhnlichen Steine aussagen, freilich
nicht mit derselben Kraft, denn sein Farbenton -- von den bunteren Stei-
nen ist nicht mehr die Rede -- hat nie die Wärme des Erztons und das
mehr oder minder Fahle desselben wird nicht durch jenen klangvollen
Charakter des Metalls gehoben, daher es nahe liegt, ihn wie die Holz-
sculptur ganz malerisch zu behandeln und völlig zu färben, wie das Mit-
telalter gethan hat. Im Gefüge ist er theils talgig, theils zu grobkörnig.
Sehen wir dagegen den reinen weißen Marmor an, so bietet er frei-
lich mehrere der Vortheile nicht, die der Erzgießer genießt. Der Erzguß
mußte namentlich in der Kühnheit der Stellungen vorangegangen sein,
ehe der Bildhauer, doch nicht ohne die sichtbare Hülfe der Gewichtaus-
gleichenden, stützenden Baumstrünke und anderer Hülfen, Werke wie die
pferdebändigenden Colosse, den borghesischen Fechter, den Laokoon wagen
konnte. Dagegen wohnt nun in diesem Materiale ein milder Lichtgeist
wie in keinem andern, und schön spricht Tölken (Ueber d. Basrelief u. s. w.
S. 137) von der "Unschuld" des Marmors. Sein reines Weiß drückt
die Idealität der Abstraction von allem empirisch wirklichen Blut- und
Säfte-Leben, die Erhebung in die Freiheit vom empirisch Sinnlichen aus,
ohne doch jene Andeutung der Lebenswärme und des Lebenshauchs, die
wir vom Materiale forderten, zu versagen; denn die vorzüglichsten Brüche
liefern einen Körper, dessen Weiß mit der Zeit einen Anhauch wie von
einem zarten Goldtone annimmt und dadurch sanft an Fleisch und Haut
erinnert, so der parische und pentelische Marmor; das Körnige (bei dem

ſchimmer ſoll zwar, wie ſchon geſagt, ein matter ſein; daß aller eigentliche
Glanz äſthetiſch ſtörend iſt, haben wir ſchon geſehen, und es iſt vom
Uebel, wenn ein gegoſſenes Werk durch Ciſeliren jene ſogenannte Guß-
haut verliert, welche ihm den erwünſchten gedämpften, nicht völlig glatten
Lichtton und Strich gibt: immer aber bleibt ein Grad von Spiegelglanz,
worin die Formen zerrinnen, indem von den beleuchteten Theilen zu ſtarke
Lichtreflexe in die beſchatteten fallen, wodurch bei dunklerem, braunrothem
Tone die weniger ſichtbaren Formen nicht deutlicher, ſondern noch un-
deutlicher werden. Dieß nöthigt zu ſtarker Hervorhebung des Details,
des Knochens, Muſkels, der Sehne (vergl. Feuerbach D. vatic. Opoll
S. 174. 175), und eine medizeiſche Venus erſcheint in Erznachbildung
glatt und flach. Nimmt man nun alles dieß zuſammen, ſo erhellt, daß
der Erzguß auf das ſtark Ausgeſprochene, Härtere, Kühnere, zunächſt
alſo das Athletiſche, Heroiſche, überhaupt aber auf das realer Beſtimmte,
vom reinen Ideal durch ſpezifizirtere Exiſtenz Abliegende, namentlich auf die
monumentale Bildnißſtatue und auf das Hiſtoriſche, ſoweit die Bildner-
kunſt es ergreifen kann, angewieſen iſt. Da dieſe Beſtimmung deſſel-
ben namentlich auch in dem beſtimmteren Farbenton ihren Grund hat, ſo
können wir ebendaſſelbe von dem gewöhnlichen Steine ausſagen, freilich
nicht mit derſelben Kraft, denn ſein Farbenton — von den bunteren Stei-
nen iſt nicht mehr die Rede — hat nie die Wärme des Erztons und das
mehr oder minder Fahle deſſelben wird nicht durch jenen klangvollen
Charakter des Metalls gehoben, daher es nahe liegt, ihn wie die Holz-
ſculptur ganz maleriſch zu behandeln und völlig zu färben, wie das Mit-
telalter gethan hat. Im Gefüge iſt er theils talgig, theils zu grobkörnig.
Sehen wir dagegen den reinen weißen Marmor an, ſo bietet er frei-
lich mehrere der Vortheile nicht, die der Erzgießer genießt. Der Erzguß
mußte namentlich in der Kühnheit der Stellungen vorangegangen ſein,
ehe der Bildhauer, doch nicht ohne die ſichtbare Hülfe der Gewichtaus-
gleichenden, ſtützenden Baumſtrünke und anderer Hülfen, Werke wie die
pferdebändigenden Coloſſe, den borgheſiſchen Fechter, den Laokoon wagen
konnte. Dagegen wohnt nun in dieſem Materiale ein milder Lichtgeiſt
wie in keinem andern, und ſchön ſpricht Tölken (Ueber d. Basrelief u. ſ. w.
S. 137) von der „Unſchuld“ des Marmors. Sein reines Weiß drückt
die Idealität der Abſtraction von allem empiriſch wirklichen Blut- und
Säfte-Leben, die Erhebung in die Freiheit vom empiriſch Sinnlichen aus,
ohne doch jene Andeutung der Lebenswärme und des Lebenshauchs, die
wir vom Materiale forderten, zu verſagen; denn die vorzüglichſten Brüche
liefern einen Körper, deſſen Weiß mit der Zeit einen Anhauch wie von
einem zarten Goldtone annimmt und dadurch ſanft an Fleiſch und Haut
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[376/0050] ſchimmer ſoll zwar, wie ſchon geſagt, ein matter ſein; daß aller eigentliche Glanz äſthetiſch ſtörend iſt, haben wir ſchon geſehen, und es iſt vom Uebel, wenn ein gegoſſenes Werk durch Ciſeliren jene ſogenannte Guß- haut verliert, welche ihm den erwünſchten gedämpften, nicht völlig glatten Lichtton und Strich gibt: immer aber bleibt ein Grad von Spiegelglanz, worin die Formen zerrinnen, indem von den beleuchteten Theilen zu ſtarke Lichtreflexe in die beſchatteten fallen, wodurch bei dunklerem, braunrothem Tone die weniger ſichtbaren Formen nicht deutlicher, ſondern noch un- deutlicher werden. Dieß nöthigt zu ſtarker Hervorhebung des Details, des Knochens, Muſkels, der Sehne (vergl. Feuerbach D. vatic. Opoll S. 174. 175), und eine medizeiſche Venus erſcheint in Erznachbildung glatt und flach. Nimmt man nun alles dieß zuſammen, ſo erhellt, daß der Erzguß auf das ſtark Ausgeſprochene, Härtere, Kühnere, zunächſt alſo das Athletiſche, Heroiſche, überhaupt aber auf das realer Beſtimmte, vom reinen Ideal durch ſpezifizirtere Exiſtenz Abliegende, namentlich auf die monumentale Bildnißſtatue und auf das Hiſtoriſche, ſoweit die Bildner- kunſt es ergreifen kann, angewieſen iſt. Da dieſe Beſtimmung deſſel- ben namentlich auch in dem beſtimmteren Farbenton ihren Grund hat, ſo können wir ebendaſſelbe von dem gewöhnlichen Steine ausſagen, freilich nicht mit derſelben Kraft, denn ſein Farbenton — von den bunteren Stei- nen iſt nicht mehr die Rede — hat nie die Wärme des Erztons und das mehr oder minder Fahle deſſelben wird nicht durch jenen klangvollen Charakter des Metalls gehoben, daher es nahe liegt, ihn wie die Holz- ſculptur ganz maleriſch zu behandeln und völlig zu färben, wie das Mit- telalter gethan hat. Im Gefüge iſt er theils talgig, theils zu grobkörnig. Sehen wir dagegen den reinen weißen Marmor an, ſo bietet er frei- lich mehrere der Vortheile nicht, die der Erzgießer genießt. Der Erzguß mußte namentlich in der Kühnheit der Stellungen vorangegangen ſein, ehe der Bildhauer, doch nicht ohne die ſichtbare Hülfe der Gewichtaus- gleichenden, ſtützenden Baumſtrünke und anderer Hülfen, Werke wie die pferdebändigenden Coloſſe, den borgheſiſchen Fechter, den Laokoon wagen konnte. Dagegen wohnt nun in dieſem Materiale ein milder Lichtgeiſt wie in keinem andern, und ſchön ſpricht Tölken (Ueber d. Basrelief u. ſ. w. S. 137) von der „Unſchuld“ des Marmors. Sein reines Weiß drückt die Idealität der Abſtraction von allem empiriſch wirklichen Blut- und Säfte-Leben, die Erhebung in die Freiheit vom empiriſch Sinnlichen aus, ohne doch jene Andeutung der Lebenswärme und des Lebenshauchs, die wir vom Materiale forderten, zu verſagen; denn die vorzüglichſten Brüche liefern einen Körper, deſſen Weiß mit der Zeit einen Anhauch wie von einem zarten Goldtone annimmt und dadurch ſanft an Fleiſch und Haut erinnert, ſo der pariſche und penteliſche Marmor; das Körnige (bei dem

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/50>, abgerufen am 22.12.2024.