so nun auch diese: der Geist der Ganzheit, in welchem jede Gestalt behandelt wird, tritt als innerer Grund mit dem äußern zusammen, füllt das zuerst nur negativ Motivirte positiv aus und führt so zu dem Ergebniß, daß die Plastik ihr innerstes Wesen am vollsten und reinsten offenbart, wenn sie nur Eine Gestalt hinstellt, welche jetzt der erscheinende Inbegriff aller Kräfte der Gattung, nicht nur ein Ganzes, sondern, mit nur schwachem Gewichte des Mittelbegriffs einer Seite der Gattung, das Ganze der Gattung ist. Stellt sie dennoch mehrere Figuren auf, so be- wirkt, da es zudem nur wenige sind, die genannte Schwäche der Spezi- fizirung, daß dennoch jede die Fülle des Ganzen, daß jede der absolute Mensch bleibt. Die so dargestellte Persönlichkeit ist aber nicht nur das Ganze der Menschheit, sondern auch das Ganze der Welt: dieß zeigt der dritte Schritt des §. Die Bildnerkunst gibt ihrem Werke keinen Raum, keine umgebende Natur mit, zunächst, weil sie es nicht kann; aber ihr Nichtkönnen muß auch hier ein Nichtwollen, richtiger: ein Anderswollen sein. Dieß Anderswollen kann keinen andern Grund haben, als zunächst den, daß sie im höheren organisch lebendigen Individuum und vor Allem im Menschen die ganze Natur sieht, den Inbegriff aller Kräfte und Formen des Daseins, den höchsten Zusammenschluß alles dessen, was in der unorganischen und botanischen Natur in's Unbestimmte ausgegossen ist. Sie ist nicht ausgegossener, sondern gesammelter, in Einem Gefäße zusammengehaltener Geist. Ihr Gebilde ist nicht auf einen Hintergrund, auf Umgebungen bezogen, weil es dieß Alles in sich eingesogen hat, Alles dieß selbst ist. Nun erhebt sie aber dasselbe mit der oben nach- gewiesenen Intensität zum Ausdruck des Inbegriffs vollkommener Menschheit: vereinigt es so die ganze Menschheit und die ganze Natur in sich, so ist es nichts Anderes, als die Welt selbst, persönlich vorge- stellt, die absolute Person, aller Geist, also alles Subjective, und alle Natur, also alles Objective in Einem. Es ist längst erkannt, daß keine andere Kunst, so wie diese, das Ideal selbst gibt. Dieß ist eigentlich bereits in dem Satze von der directen Idealisirung ausgesprochen und jetzt nur zum ganz erfüllten Nachweise gelangt. -- Der Schlußsatz des §. faßt nun einen Punct auf, der mit jenem oben erörterten Widerspruche zusammenhängt, wonach es in aller Kunst, besonders auffallend aber in der Bildnerkunst, von den Gattungen der Wesen je nur Ein vollkommenes, für alle vicarirendes Exemplar und doch zugleich die Vielen gibt. Wir werden diesen, im Wesen der Phantasie und in ihrem Unterschiede von der Logik berechtigt liegenden Widerspruch noch in andere Seiten verfol- gen, namentlich was die Weglassung des Raums und die Beziehungslo- sigkeit zu einer umgebenden Natur betrifft. Der Unterschied der hier vorlie- genden von der oben besprochenen Frage ist jedoch der, daß es sich jetzt
ſo nun auch dieſe: der Geiſt der Ganzheit, in welchem jede Geſtalt behandelt wird, tritt als innerer Grund mit dem äußern zuſammen, füllt das zuerſt nur negativ Motivirte poſitiv aus und führt ſo zu dem Ergebniß, daß die Plaſtik ihr innerſtes Weſen am vollſten und reinſten offenbart, wenn ſie nur Eine Geſtalt hinſtellt, welche jetzt der erſcheinende Inbegriff aller Kräfte der Gattung, nicht nur ein Ganzes, ſondern, mit nur ſchwachem Gewichte des Mittelbegriffs einer Seite der Gattung, das Ganze der Gattung iſt. Stellt ſie dennoch mehrere Figuren auf, ſo be- wirkt, da es zudem nur wenige ſind, die genannte Schwäche der Spezi- fizirung, daß dennoch jede die Fülle des Ganzen, daß jede der abſolute Menſch bleibt. Die ſo dargeſtellte Perſönlichkeit iſt aber nicht nur das Ganze der Menſchheit, ſondern auch das Ganze der Welt: dieß zeigt der dritte Schritt des §. Die Bildnerkunſt gibt ihrem Werke keinen Raum, keine umgebende Natur mit, zunächſt, weil ſie es nicht kann; aber ihr Nichtkönnen muß auch hier ein Nichtwollen, richtiger: ein Anderswollen ſein. Dieß Anderswollen kann keinen andern Grund haben, als zunächſt den, daß ſie im höheren organiſch lebendigen Individuum und vor Allem im Menſchen die ganze Natur ſieht, den Inbegriff aller Kräfte und Formen des Daſeins, den höchſten Zuſammenſchluß alles deſſen, was in der unorganiſchen und botaniſchen Natur in’s Unbeſtimmte ausgegoſſen iſt. Sie iſt nicht ausgegoſſener, ſondern geſammelter, in Einem Gefäße zuſammengehaltener Geiſt. Ihr Gebilde iſt nicht auf einen Hintergrund, auf Umgebungen bezogen, weil es dieß Alles in ſich eingeſogen hat, Alles dieß ſelbſt iſt. Nun erhebt ſie aber daſſelbe mit der oben nach- gewieſenen Intenſität zum Ausdruck des Inbegriffs vollkommener Menſchheit: vereinigt es ſo die ganze Menſchheit und die ganze Natur in ſich, ſo iſt es nichts Anderes, als die Welt ſelbſt, perſönlich vorge- ſtellt, die abſolute Perſon, aller Geiſt, alſo alles Subjective, und alle Natur, alſo alles Objective in Einem. Es iſt längſt erkannt, daß keine andere Kunſt, ſo wie dieſe, das Ideal ſelbſt gibt. Dieß iſt eigentlich bereits in dem Satze von der directen Idealiſirung ausgeſprochen und jetzt nur zum ganz erfüllten Nachweiſe gelangt. — Der Schlußſatz des §. faßt nun einen Punct auf, der mit jenem oben erörterten Widerſpruche zuſammenhängt, wonach es in aller Kunſt, beſonders auffallend aber in der Bildnerkunſt, von den Gattungen der Weſen je nur Ein vollkommenes, für alle vicarirendes Exemplar und doch zugleich die Vielen gibt. Wir werden dieſen, im Weſen der Phantaſie und in ihrem Unterſchiede von der Logik berechtigt liegenden Widerſpruch noch in andere Seiten verfol- gen, namentlich was die Weglaſſung des Raums und die Beziehungslo- ſigkeit zu einer umgebenden Natur betrifft. Der Unterſchied der hier vorlie- genden von der oben beſprochenen Frage iſt jedoch der, daß es ſich jetzt
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Ergebniß, daß die Plaſtik ihr innerſtes Weſen am vollſten und reinſten
offenbart, wenn ſie nur Eine Geſtalt hinſtellt, welche jetzt der erſcheinende
Inbegriff aller Kräfte der Gattung, nicht nur ein Ganzes, ſondern, mit
nur ſchwachem Gewichte des Mittelbegriffs einer Seite der Gattung, das
Ganze der Gattung iſt. Stellt ſie dennoch mehrere Figuren auf, ſo be-
wirkt, da es zudem nur wenige ſind, die genannte Schwäche der Spezi-
fizirung, daß dennoch jede die Fülle des Ganzen, daß jede der abſolute
Menſch bleibt. Die ſo dargeſtellte Perſönlichkeit iſt aber nicht nur das
Ganze der Menſchheit, ſondern auch das Ganze der Welt: dieß zeigt der
dritte Schritt des §. Die Bildnerkunſt gibt ihrem Werke keinen Raum,
keine umgebende Natur mit, zunächſt, weil ſie es nicht kann; aber ihr
Nichtkönnen muß auch hier ein Nichtwollen, richtiger: ein Anderswollen
ſein. Dieß Anderswollen kann keinen andern Grund haben, als zunächſt
den, daß ſie im höheren organiſch lebendigen Individuum und vor Allem
im Menſchen die ganze Natur ſieht, den Inbegriff aller Kräfte und
Formen des Daſeins, den höchſten Zuſammenſchluß alles deſſen, was in
der unorganiſchen und botaniſchen Natur in’s Unbeſtimmte ausgegoſſen
iſt. Sie iſt nicht ausgegoſſener, ſondern geſammelter, in Einem Gefäße
zuſammengehaltener Geiſt. Ihr Gebilde iſt nicht auf einen Hintergrund,
auf Umgebungen bezogen, weil es dieß Alles in ſich eingeſogen hat,
Alles dieß ſelbſt iſt. Nun erhebt ſie aber daſſelbe mit der oben nach-
gewieſenen Intenſität zum Ausdruck des Inbegriffs vollkommener
Menſchheit: vereinigt es ſo die ganze Menſchheit und die ganze Natur
in ſich, ſo iſt es nichts Anderes, als die Welt ſelbſt, perſönlich vorge-
ſtellt, die abſolute Perſon, aller Geiſt, alſo alles Subjective, und alle
Natur, alſo alles Objective in Einem. Es iſt längſt erkannt, daß keine
andere Kunſt, ſo wie dieſe, das Ideal ſelbſt gibt. Dieß iſt eigentlich
bereits in dem Satze von der directen Idealiſirung ausgeſprochen und
jetzt nur zum ganz erfüllten Nachweiſe gelangt. — Der Schlußſatz des
§. faßt nun einen Punct auf, der mit jenem oben erörterten Widerſpruche
zuſammenhängt, wonach es in aller Kunſt, beſonders auffallend aber in
der Bildnerkunſt, von den Gattungen der Weſen je nur Ein vollkommenes,
für alle vicarirendes Exemplar und doch zugleich die Vielen gibt. Wir
werden dieſen, im Weſen der Phantaſie und in ihrem Unterſchiede von
der Logik berechtigt liegenden Widerſpruch noch in andere Seiten verfol-
gen, namentlich was die Weglaſſung des Raums und die Beziehungslo-
ſigkeit zu einer umgebenden Natur betrifft. Der Unterſchied der hier vorlie-
genden von der oben beſprochenen Frage iſt jedoch der, daß es ſich jetzt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/43>, abgerufen am 07.07.2024.
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