nicht da, die vergessen sind). So zunächst, wenn wirklich nur Ein Indi- viduum in einem Kunstwerk aufgestellt wird. In einem solchen aber, das viele Figuren zusammenstellt, sind zwei Fälle möglich. Der eine ist dieser: Ein hervorragendes Individuum und viele unbedeutendere derselben Classe treten nebeneinander. Dieß gleicht dem Verfahren, wie es von der Thier- sage, Fabel angeführt ist: eigentlich sind in dem hervorragenden Einen die andern Vielen so repräsentirt, daß sie neben ihm überflüssig sind; die Phantasie gesteht damit ihren Prozeß, durch den sie das repräsentirende Individuum gewonnen hat, sie gibt das Resultat ihrer Division sammt dem Dividenden. Doch mäßigt die höhere Kunst die- sen logischen Widerspruch dadurch, daß die Masse der Vielen mehr nur als die erläuternde Expansion einer der im Repräsentanten concen- trirten Kräfte erscheint. Der andere Fall ist dieser: es werden mehrere schlechthin bedeutende Individuen derselben Classe zusam- mengestellt, ohne daß darum die Kunst in den Widerspruch mit der Logik tritt wie in dem eben genannten Falle; nämlich jetzt repräsentiren alle diese Individuen den Gattungsbegriff mittelbar dadurch, daß er vorher mehr spezifizirt ist und jedes von ihnen zu- nächst eine der spezifizirten Eigenschaften vollkommen in sich darstellt; zu dieser Eigenschaft verhält sich dasselbe nun ebenso, wie sonst das einzelne schöne Individuum zum Ganzen seiner Gattung; von mehreren Helden z. B. stellt jetzt jeder einen Zug des Heldenthums, dadurch mittelbar das Heldenthum überhaupt und noch mittelbarer die Menschheit dar. In der Plastik nun aber ist die Sache schwieriger, oder, wie man will, einfacher. Hier soll die einzelne Gestalt schön sein, also das Ganze ihrer Gattung mit geringerem Gewichte des Mittel- begriffs dieser oder jener Eigenschaft, Seite derselben in sich darstellen. Der Begriff der Vertretung Vieler oder Aller durch Einen ist hier intensiver. Unbedeutende Individuen kennt sie gar nicht, die leeren Statisten des Dividenden fallen ganz weg. Sie wird aber auch in den bedeutenden Individuen die Gattung in engerem Maaße spezifiziren, da- mit der Umweg zum Vertreten des Ganzen der Gattung vermittelst einer ihrer Eigenschaften kürzer sei. Dieß führt nun auf das Gesetz der Spar- samkeit in der Figurenzahl zurück, womit wir zum zweiten wichtigen Schritte in diesem Stufengange gelangen: ein Rückblick auf §. 601, der, während aus andern technischen Bedingungen die tiefere Bedeutung schon früher gezogen ist, dieser Stelle vorbehalten bleiben mußte, wo sich die Momente zu ihrem vollsten Resultate vereinigen. Die Bildnerkunst ent- geht jenem Uebelstande des sich Deckens der Theile am meisten, wenn sie nur Eine Gestalt aufstellt; wie aber alle äußern Bestimmtheiten dieser Kunst bereits sich in Grundzüge ihres positiven Geistes umgedreht haben,
nicht da, die vergeſſen ſind). So zunächſt, wenn wirklich nur Ein Indi- viduum in einem Kunſtwerk aufgeſtellt wird. In einem ſolchen aber, das viele Figuren zuſammenſtellt, ſind zwei Fälle möglich. Der eine iſt dieſer: Ein hervorragendes Individuum und viele unbedeutendere derſelben Claſſe treten nebeneinander. Dieß gleicht dem Verfahren, wie es von der Thier- ſage, Fabel angeführt iſt: eigentlich ſind in dem hervorragenden Einen die andern Vielen ſo repräſentirt, daß ſie neben ihm überflüſſig ſind; die Phantaſie geſteht damit ihren Prozeß, durch den ſie das repräſentirende Individuum gewonnen hat, ſie gibt das Reſultat ihrer Diviſion ſammt dem Dividenden. Doch mäßigt die höhere Kunſt die- ſen logiſchen Widerſpruch dadurch, daß die Maſſe der Vielen mehr nur als die erläuternde Expanſion einer der im Repräſentanten concen- trirten Kräfte erſcheint. Der andere Fall iſt dieſer: es werden mehrere ſchlechthin bedeutende Individuen derſelben Claſſe zuſam- mengeſtellt, ohne daß darum die Kunſt in den Widerſpruch mit der Logik tritt wie in dem eben genannten Falle; nämlich jetzt repräſentiren alle dieſe Individuen den Gattungsbegriff mittelbar dadurch, daß er vorher mehr ſpezifizirt iſt und jedes von ihnen zu- nächſt eine der ſpezifizirten Eigenſchaften vollkommen in ſich darſtellt; zu dieſer Eigenſchaft verhält ſich daſſelbe nun ebenſo, wie ſonſt das einzelne ſchöne Individuum zum Ganzen ſeiner Gattung; von mehreren Helden z. B. ſtellt jetzt jeder einen Zug des Heldenthums, dadurch mittelbar das Heldenthum überhaupt und noch mittelbarer die Menſchheit dar. In der Plaſtik nun aber iſt die Sache ſchwieriger, oder, wie man will, einfacher. Hier ſoll die einzelne Geſtalt ſchön ſein, alſo das Ganze ihrer Gattung mit geringerem Gewichte des Mittel- begriffs dieſer oder jener Eigenſchaft, Seite derſelben in ſich darſtellen. Der Begriff der Vertretung Vieler oder Aller durch Einen iſt hier intenſiver. Unbedeutende Individuen kennt ſie gar nicht, die leeren Statiſten des Dividenden fallen ganz weg. Sie wird aber auch in den bedeutenden Individuen die Gattung in engerem Maaße ſpezifiziren, da- mit der Umweg zum Vertreten des Ganzen der Gattung vermittelſt einer ihrer Eigenſchaften kürzer ſei. Dieß führt nun auf das Geſetz der Spar- ſamkeit in der Figurenzahl zurück, womit wir zum zweiten wichtigen Schritte in dieſem Stufengange gelangen: ein Rückblick auf §. 601, der, während aus andern techniſchen Bedingungen die tiefere Bedeutung ſchon früher gezogen iſt, dieſer Stelle vorbehalten bleiben mußte, wo ſich die Momente zu ihrem vollſten Reſultate vereinigen. Die Bildnerkunſt ent- geht jenem Uebelſtande des ſich Deckens der Theile am meiſten, wenn ſie nur Eine Geſtalt aufſtellt; wie aber alle äußern Beſtimmtheiten dieſer Kunſt bereits ſich in Grundzüge ihres poſitiven Geiſtes umgedreht haben,
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[368/0042]
nicht da, die vergeſſen ſind). So zunächſt, wenn wirklich nur Ein Indi-
viduum in einem Kunſtwerk aufgeſtellt wird. In einem ſolchen aber, das
viele Figuren zuſammenſtellt, ſind zwei Fälle möglich. Der eine iſt dieſer:
Ein hervorragendes Individuum und viele unbedeutendere derſelben Claſſe
treten nebeneinander. Dieß gleicht dem Verfahren, wie es von der Thier-
ſage, Fabel angeführt iſt: eigentlich ſind in dem hervorragenden Einen
die andern Vielen ſo repräſentirt, daß ſie neben ihm überflüſſig
ſind; die Phantaſie geſteht damit ihren Prozeß, durch den ſie das
repräſentirende Individuum gewonnen hat, ſie gibt das Reſultat ihrer
Diviſion ſammt dem Dividenden. Doch mäßigt die höhere Kunſt die-
ſen logiſchen Widerſpruch dadurch, daß die Maſſe der Vielen mehr nur
als die erläuternde Expanſion einer der im Repräſentanten concen-
trirten Kräfte erſcheint. Der andere Fall iſt dieſer: es werden
mehrere ſchlechthin bedeutende Individuen derſelben Claſſe zuſam-
mengeſtellt, ohne daß darum die Kunſt in den Widerſpruch mit
der Logik tritt wie in dem eben genannten Falle; nämlich jetzt
repräſentiren alle dieſe Individuen den Gattungsbegriff mittelbar
dadurch, daß er vorher mehr ſpezifizirt iſt und jedes von ihnen zu-
nächſt eine der ſpezifizirten Eigenſchaften vollkommen in ſich darſtellt; zu
dieſer Eigenſchaft verhält ſich daſſelbe nun ebenſo, wie ſonſt das einzelne
ſchöne Individuum zum Ganzen ſeiner Gattung; von mehreren Helden
z. B. ſtellt jetzt jeder einen Zug des Heldenthums, dadurch mittelbar
das Heldenthum überhaupt und noch mittelbarer die Menſchheit dar.
In der Plaſtik nun aber iſt die Sache ſchwieriger, oder, wie man
will, einfacher. Hier ſoll die einzelne Geſtalt ſchön ſein, alſo das
Ganze ihrer Gattung mit geringerem Gewichte des Mittel-
begriffs dieſer oder jener Eigenſchaft, Seite derſelben in
ſich darſtellen. Der Begriff der Vertretung Vieler oder Aller durch Einen
iſt hier intenſiver. Unbedeutende Individuen kennt ſie gar nicht, die leeren
Statiſten des Dividenden fallen ganz weg. Sie wird aber auch in den
bedeutenden Individuen die Gattung in engerem Maaße ſpezifiziren, da-
mit der Umweg zum Vertreten des Ganzen der Gattung vermittelſt einer
ihrer Eigenſchaften kürzer ſei. Dieß führt nun auf das Geſetz der Spar-
ſamkeit in der Figurenzahl zurück, womit wir zum zweiten wichtigen
Schritte in dieſem Stufengange gelangen: ein Rückblick auf §. 601, der,
während aus andern techniſchen Bedingungen die tiefere Bedeutung ſchon
früher gezogen iſt, dieſer Stelle vorbehalten bleiben mußte, wo ſich die
Momente zu ihrem vollſten Reſultate vereinigen. Die Bildnerkunſt ent-
geht jenem Uebelſtande des ſich Deckens der Theile am meiſten, wenn ſie
nur Eine Geſtalt aufſtellt; wie aber alle äußern Beſtimmtheiten dieſer
Kunſt bereits ſich in Grundzüge ihres poſitiven Geiſtes umgedreht haben,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/42>, abgerufen am 07.07.2024.
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