Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
Seele selbst in ihrem innerlichen Leben hat ihre Sinnlichkeit, die der
Seele ſelbſt in ihrem innerlichen Leben hat ihre Sinnlichkeit, die der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0036" n="362"/> Seele ſelbſt in ihrem innerlichen Leben hat ihre Sinnlichkeit, die der<lb/> Reflex des leiblichen Lebens, das nach innen geſchlagene leibliche Leben<lb/> iſt, und ſie kann ſich dieſer innern Sinnlichkeit mit ausdrücklichem Bewußt-<lb/> ſein entgegenſtellen oder in Harmonie mit ihr bleiben. Nun haben wir als<lb/> Grundbeſtimmung aufgeſtellt, daß die Seele bruchlos in ihrem Leibe erſcheine;<lb/> ſoll ſie dieß können, ſo darf ſie natürlich den Bruch auch nicht in ihrem<lb/> Innern tragen, muß alſo als Seele ſelbſt, auch als zum Geiſt entwickelte<lb/> Seele ganz Natur ſein. <hi rendition="#g">Hegel</hi> hat dieſes pſychiſche Geſetz der Plaſtik<lb/> in verſchiedenen treffenden Wendungen ausgeſprochen: „die geiſtige In-<lb/> dividualität, aber als leibliche unerinnerte Gegenwart (Aeſt. <hi rendition="#aq">II</hi>, 234),<lb/> — noch kein Zurückgehen des Geiſtes in ſeine <hi rendition="#g">innerliche</hi> Subjectivität<lb/> als ſolche (353), — die zwar beſtimmte, aber noch nicht zur Innigkeit des<lb/> ſubjectiven Gemüths vertiefte geiſtige Individualität (358. 359), der<lb/> Geiſt, der in ſeine äußerliche Form zwar ergoſſen iſt, ohne jedoch aus die-<lb/> ſem Außereinander in ſeiner Zurücknahme in ſich als Inneres zur Er-<lb/> ſcheinung zu kommen“ (359), u. and. ähnl. Es iſt alſo weſentlich eine<lb/> Perſönlichkeit gefordert, die im Elemente der Naivetät webt und lebt;<lb/> aber ſchon zu §. 604 mußten wir vorbeugen, daß dieſe innere Naturbe-<lb/> ſtimmtheit der Seele nicht zu enge verſtanden werde. Innerhalb derſel-<lb/> ben muß eine Scheidung eintreten, ohne die urſprüngliche Einheit zu ſpren-<lb/> gen. Ein Gebiet harmlos heiterer Naturen iſt dadurch allerdings für<lb/> die Bildnerkunſt in beſonderer Weite des Umfangs ausgeſteckt, aber ſie<lb/> kann nicht darauf beſchränkt ſein; vielmehr muß gerade der Geiſt ihrer<lb/> geſammten techniſchen Bedingungen ſie auffordern, ein höheres Gebiet, das<lb/> Gebiet des Charakters, in Beſitz zu nehmen, aber des Charakters, der<lb/> immer noch im Elemente jener ſchönen Unmittelbarkeit verbleibt; es that-<lb/> ſächlich hinzuſtellen, daß es auch eine Naivetät der Größe, eine Bildung,<lb/> die Natur bleibt, einen Kampf gegen die Natur gibt, der ſich zum Ganzen<lb/> der Natur affirmativ verhält. Was unter dem Geiſte der geſammten<lb/> techniſchen Bedingungen zu verſtehen ſei, ſagt der §., indem er ausſpricht,<lb/> daß alle früher aufgeführten Beſchränkungen, wie ſie im materiellen Dar-<lb/> ſtellungsmittel begründet ſind, nun zu dieſer beſtimmtern innern Be-<lb/> deutung umſchlagen. Es iſt ein Geiſt in ihnen, der Ausdruck eines<lb/> Vollgewichts, der ſich zu ungleich Höherem verwenden laſſen, die Er-<lb/> greifung eines ungleich gewaltigeren Stoffs aufdrängen muß, als jene harm-<lb/> los ſchönen Naturen. Sagt uns die ſatte Gediegenheit, welche der Grund-<lb/> zug der Wirkung der plaſtiſchen Mittel iſt, daß hier das Bild eines<lb/> Menſchen aus Einem Guſſe vor uns ſtehe, ſo muß dieſer „Eine Guß“<lb/> nun großartigere Anwendung gewinnen. Die Sprache ſelbſt zeigt uns<lb/> den Weg, indem ſie, einer in der Natur phyſiognomiſch und mimiſch wohl-<lb/> begründeten Symbolik folgend, dieſelben Beziehungen gebraucht für Sinn-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [362/0036]
Seele ſelbſt in ihrem innerlichen Leben hat ihre Sinnlichkeit, die der
Reflex des leiblichen Lebens, das nach innen geſchlagene leibliche Leben
iſt, und ſie kann ſich dieſer innern Sinnlichkeit mit ausdrücklichem Bewußt-
ſein entgegenſtellen oder in Harmonie mit ihr bleiben. Nun haben wir als
Grundbeſtimmung aufgeſtellt, daß die Seele bruchlos in ihrem Leibe erſcheine;
ſoll ſie dieß können, ſo darf ſie natürlich den Bruch auch nicht in ihrem
Innern tragen, muß alſo als Seele ſelbſt, auch als zum Geiſt entwickelte
Seele ganz Natur ſein. Hegel hat dieſes pſychiſche Geſetz der Plaſtik
in verſchiedenen treffenden Wendungen ausgeſprochen: „die geiſtige In-
dividualität, aber als leibliche unerinnerte Gegenwart (Aeſt. II, 234),
— noch kein Zurückgehen des Geiſtes in ſeine innerliche Subjectivität
als ſolche (353), — die zwar beſtimmte, aber noch nicht zur Innigkeit des
ſubjectiven Gemüths vertiefte geiſtige Individualität (358. 359), der
Geiſt, der in ſeine äußerliche Form zwar ergoſſen iſt, ohne jedoch aus die-
ſem Außereinander in ſeiner Zurücknahme in ſich als Inneres zur Er-
ſcheinung zu kommen“ (359), u. and. ähnl. Es iſt alſo weſentlich eine
Perſönlichkeit gefordert, die im Elemente der Naivetät webt und lebt;
aber ſchon zu §. 604 mußten wir vorbeugen, daß dieſe innere Naturbe-
ſtimmtheit der Seele nicht zu enge verſtanden werde. Innerhalb derſel-
ben muß eine Scheidung eintreten, ohne die urſprüngliche Einheit zu ſpren-
gen. Ein Gebiet harmlos heiterer Naturen iſt dadurch allerdings für
die Bildnerkunſt in beſonderer Weite des Umfangs ausgeſteckt, aber ſie
kann nicht darauf beſchränkt ſein; vielmehr muß gerade der Geiſt ihrer
geſammten techniſchen Bedingungen ſie auffordern, ein höheres Gebiet, das
Gebiet des Charakters, in Beſitz zu nehmen, aber des Charakters, der
immer noch im Elemente jener ſchönen Unmittelbarkeit verbleibt; es that-
ſächlich hinzuſtellen, daß es auch eine Naivetät der Größe, eine Bildung,
die Natur bleibt, einen Kampf gegen die Natur gibt, der ſich zum Ganzen
der Natur affirmativ verhält. Was unter dem Geiſte der geſammten
techniſchen Bedingungen zu verſtehen ſei, ſagt der §., indem er ausſpricht,
daß alle früher aufgeführten Beſchränkungen, wie ſie im materiellen Dar-
ſtellungsmittel begründet ſind, nun zu dieſer beſtimmtern innern Be-
deutung umſchlagen. Es iſt ein Geiſt in ihnen, der Ausdruck eines
Vollgewichts, der ſich zu ungleich Höherem verwenden laſſen, die Er-
greifung eines ungleich gewaltigeren Stoffs aufdrängen muß, als jene harm-
los ſchönen Naturen. Sagt uns die ſatte Gediegenheit, welche der Grund-
zug der Wirkung der plaſtiſchen Mittel iſt, daß hier das Bild eines
Menſchen aus Einem Guſſe vor uns ſtehe, ſo muß dieſer „Eine Guß“
nun großartigere Anwendung gewinnen. Die Sprache ſelbſt zeigt uns
den Weg, indem ſie, einer in der Natur phyſiognomiſch und mimiſch wohl-
begründeten Symbolik folgend, dieſelben Beziehungen gebraucht für Sinn-
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