über die ganze Gestalt verbreitet; es entstünde eine Reihe schöner Bil- der, das Bild des Läufers, Springers u. s. w.; dann wäre darzustellen, wie in den combinirteren Uebungen diese verschiedenen Bilder sich verei- nigen und das Einzelne würde nun zum Systeme eingesammelt; einen gediegenen Grund für eine solche Anschauung der Gymnastik hat die ge- nannte, nur in der Darstellung zu sehr überfruchtete Schrift von Jäger gelegt. Wir geben nur eine flüchtige Uebersicht, wobei wir von Allem absehen, was nur Vorschule ist. Erstens: Einzelthätigkeit ohne Kampf, d. h. ohne (scheinbar) feindliches Messen der Kräfte. Bewegung in die Höhe oder Höhe und Weite zugleich: freier Sprung (hauptsächlich die Füße betheiligt), Stabsprung (Arme mitbetheiligt), beides über Hinder- nisse oder ohne solche. Bewegung in die Weite: Lauf (wieder hauptsäch- lich die Füße betheiligt), frei oder mit Hindernissen (d. h. mit Sprung über Gräben u. s. w., mit Tragen von Waffen, Fackeln verbunden), hiezu Schwimmen, wo mehr die Arme wirken; Verbindung der Vor- wärtsbewegung mit den Kräften des Thiers oder mit einem mechanischen Mittel oder mit beiden zugleich: Reiten, Schiffen, Fahren. Wurf mit dem Stein, Ball (schönes Ballone-Spiel in Italien), Diskus, Schleuder, Speer, Unterschied der Schönheit in Kern- und Bogenschuß; der Fort- schritt zu erleichternden Mechanismen bricht der gymnastischen Schönheit ab, so zuerst Pfeil und Bogen, dann Armbrust, dann vollends das Schieß- gewehr. Zweitens: Kampf als scheinbar feindliches Messen der Kräfte; ohne Waffen: Ringen, Betheiligung aller Glieder (der Faustkampf fällt nach Obigem weg); mit Waffen: Schwert oder Degen auf Hieb oder Stoß oder beides; Lanzenstoß zu Fuß, zu Pferd (Turnier), zu Schiff (Schiffer- stechen). Einfach vereinigten die Griechen in ihrem Pentathlon (Lauf, Sprung, Wurf des Diskus, des Speers, Ringen) die wesentlichen For- men, um die Vollendung des Organismus nach allen Seiten zu entfalten, und der Pentathlet war zwar nie in Einer Form so stark, wie der, wel- cher sich nur in ihr zeigte, aber er war durch diese Allseitigkeit der edelste, vollendetste, geehrteste, schönste Wettkämpfer. Drittens: Gesammtbewe- gung und Kampf von Massen; hier tritt ein neues Element, das zwar in Griechenland auch bei den andern Formen nicht fehlte, mit Nothwen- digkeit ein, nämlich das Rhythmische, denn Massenbewegungen, Evolu- tionen, Figurenzeichnen im Großen mit einer geordneten Menschenmenge, die zugleich einen Kampf mit Waffen darstellt oder nicht, setzt wesentlich die Leitung durch Tact und Tempo der Musik voraus. Dieß ist nun aber bereits Orchestik und gehört in den Anhang zur Musik. Wir haben einen Rest der rhythmischen Massenbewegung in der militärischen Evolu- tion und dem Scheinkampf kriegerischer Massen, wie er auch abgesehen vom Uebungszweck als Schauspiel veranstaltet wird, aber es ist ein dürf-
über die ganze Geſtalt verbreitet; es entſtünde eine Reihe ſchöner Bil- der, das Bild des Läufers, Springers u. ſ. w.; dann wäre darzuſtellen, wie in den combinirteren Uebungen dieſe verſchiedenen Bilder ſich verei- nigen und das Einzelne würde nun zum Syſteme eingeſammelt; einen gediegenen Grund für eine ſolche Anſchauung der Gymnaſtik hat die ge- nannte, nur in der Darſtellung zu ſehr überfruchtete Schrift von Jäger gelegt. Wir geben nur eine flüchtige Ueberſicht, wobei wir von Allem abſehen, was nur Vorſchule iſt. Erſtens: Einzelthätigkeit ohne Kampf, d. h. ohne (ſcheinbar) feindliches Meſſen der Kräfte. Bewegung in die Höhe oder Höhe und Weite zugleich: freier Sprung (hauptſächlich die Füße betheiligt), Stabſprung (Arme mitbetheiligt), beides über Hinder- niſſe oder ohne ſolche. Bewegung in die Weite: Lauf (wieder hauptſäch- lich die Füße betheiligt), frei oder mit Hinderniſſen (d. h. mit Sprung über Gräben u. ſ. w., mit Tragen von Waffen, Fackeln verbunden), hiezu Schwimmen, wo mehr die Arme wirken; Verbindung der Vor- wärtsbewegung mit den Kräften des Thiers oder mit einem mechaniſchen Mittel oder mit beiden zugleich: Reiten, Schiffen, Fahren. Wurf mit dem Stein, Ball (ſchönes Ballone-Spiel in Italien), Diſkus, Schleuder, Speer, Unterſchied der Schönheit in Kern- und Bogenſchuß; der Fort- ſchritt zu erleichternden Mechaniſmen bricht der gymnaſtiſchen Schönheit ab, ſo zuerſt Pfeil und Bogen, dann Armbruſt, dann vollends das Schieß- gewehr. Zweitens: Kampf als ſcheinbar feindliches Meſſen der Kräfte; ohne Waffen: Ringen, Betheiligung aller Glieder (der Fauſtkampf fällt nach Obigem weg); mit Waffen: Schwert oder Degen auf Hieb oder Stoß oder beides; Lanzenſtoß zu Fuß, zu Pferd (Turnier), zu Schiff (Schiffer- ſtechen). Einfach vereinigten die Griechen in ihrem Pentathlon (Lauf, Sprung, Wurf des Diſkus, des Speers, Ringen) die weſentlichen For- men, um die Vollendung des Organiſmus nach allen Seiten zu entfalten, und der Pentathlet war zwar nie in Einer Form ſo ſtark, wie der, wel- cher ſich nur in ihr zeigte, aber er war durch dieſe Allſeitigkeit der edelſte, vollendetſte, geehrteſte, ſchönſte Wettkämpfer. Drittens: Geſammtbewe- gung und Kampf von Maſſen; hier tritt ein neues Element, das zwar in Griechenland auch bei den andern Formen nicht fehlte, mit Nothwen- digkeit ein, nämlich das Rhythmiſche, denn Maſſenbewegungen, Evolu- tionen, Figurenzeichnen im Großen mit einer geordneten Menſchenmenge, die zugleich einen Kampf mit Waffen darſtellt oder nicht, ſetzt weſentlich die Leitung durch Tact und Tempo der Muſik voraus. Dieß iſt nun aber bereits Orcheſtik und gehört in den Anhang zur Muſik. Wir haben einen Reſt der rhythmiſchen Maſſenbewegung in der militäriſchen Evolu- tion und dem Scheinkampf kriegeriſcher Maſſen, wie er auch abgeſehen vom Uebungszweck als Schauſpiel veranſtaltet wird, aber es iſt ein dürf-
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[503/0177]
über die ganze Geſtalt verbreitet; es entſtünde eine Reihe ſchöner Bil-
der, das Bild des Läufers, Springers u. ſ. w.; dann wäre darzuſtellen,
wie in den combinirteren Uebungen dieſe verſchiedenen Bilder ſich verei-
nigen und das Einzelne würde nun zum Syſteme eingeſammelt; einen
gediegenen Grund für eine ſolche Anſchauung der Gymnaſtik hat die ge-
nannte, nur in der Darſtellung zu ſehr überfruchtete Schrift von Jäger
gelegt. Wir geben nur eine flüchtige Ueberſicht, wobei wir von Allem
abſehen, was nur Vorſchule iſt. Erſtens: Einzelthätigkeit ohne Kampf,
d. h. ohne (ſcheinbar) feindliches Meſſen der Kräfte. Bewegung in die
Höhe oder Höhe und Weite zugleich: freier Sprung (hauptſächlich die
Füße betheiligt), Stabſprung (Arme mitbetheiligt), beides über Hinder-
niſſe oder ohne ſolche. Bewegung in die Weite: Lauf (wieder hauptſäch-
lich die Füße betheiligt), frei oder mit Hinderniſſen (d. h. mit Sprung
über Gräben u. ſ. w., mit Tragen von Waffen, Fackeln verbunden),
hiezu Schwimmen, wo mehr die Arme wirken; Verbindung der Vor-
wärtsbewegung mit den Kräften des Thiers oder mit einem mechaniſchen
Mittel oder mit beiden zugleich: Reiten, Schiffen, Fahren. Wurf mit dem
Stein, Ball (ſchönes Ballone-Spiel in Italien), Diſkus, Schleuder,
Speer, Unterſchied der Schönheit in Kern- und Bogenſchuß; der Fort-
ſchritt zu erleichternden Mechaniſmen bricht der gymnaſtiſchen Schönheit
ab, ſo zuerſt Pfeil und Bogen, dann Armbruſt, dann vollends das Schieß-
gewehr. Zweitens: Kampf als ſcheinbar feindliches Meſſen der Kräfte;
ohne Waffen: Ringen, Betheiligung aller Glieder (der Fauſtkampf fällt
nach Obigem weg); mit Waffen: Schwert oder Degen auf Hieb oder Stoß
oder beides; Lanzenſtoß zu Fuß, zu Pferd (Turnier), zu Schiff (Schiffer-
ſtechen). Einfach vereinigten die Griechen in ihrem Pentathlon (Lauf,
Sprung, Wurf des Diſkus, des Speers, Ringen) die weſentlichen For-
men, um die Vollendung des Organiſmus nach allen Seiten zu entfalten,
und der Pentathlet war zwar nie in Einer Form ſo ſtark, wie der, wel-
cher ſich nur in ihr zeigte, aber er war durch dieſe Allſeitigkeit der edelſte,
vollendetſte, geehrteſte, ſchönſte Wettkämpfer. Drittens: Geſammtbewe-
gung und Kampf von Maſſen; hier tritt ein neues Element, das zwar
in Griechenland auch bei den andern Formen nicht fehlte, mit Nothwen-
digkeit ein, nämlich das Rhythmiſche, denn Maſſenbewegungen, Evolu-
tionen, Figurenzeichnen im Großen mit einer geordneten Menſchenmenge,
die zugleich einen Kampf mit Waffen darſtellt oder nicht, ſetzt weſentlich
die Leitung durch Tact und Tempo der Muſik voraus. Dieß iſt nun
aber bereits Orcheſtik und gehört in den Anhang zur Muſik. Wir haben
einen Reſt der rhythmiſchen Maſſenbewegung in der militäriſchen Evolu-
tion und dem Scheinkampf kriegeriſcher Maſſen, wie er auch abgeſehen
vom Uebungszweck als Schauſpiel veranſtaltet wird, aber es iſt ein dürf-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/177>, abgerufen am 30.07.2024.
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