tasie zur Baukunst das Werk der Plastik zu dieser herüberzieht, vgl. §. 578, Anm. 2. Dieß Hinüberschwanken der Architektur in die Plastik ist ebenso- gut auch als Hinüberschwanken dieser in jene zu fassen; schon die Herr- schaft des Colossalen, die reihenweise Aufstellung ist architekturartig, das Ueberwuchern des Relief, namentlich des ganz flachen, versenkten (vergl. §. 611) ebenfalls ein Ueberfluß des Anschlusses an die Baukunst; die Sculptur liebt es aber durchaus, auch ihr selbständigeres Werk an Pfei- ler, Säulen zu lehnen, wo sie es nicht wirklich ungetrennt aus Einem Materialstück mit diesen beläßt oder zudem kraus mit dem Ornament verschmelzt, wie die indische Pagode; ja sie ahmt die primitive Baukunst nach, die den natürlichen Fels behaut, wie in der colossalen Sphinx von Ghizeh. Weist dieß Verwachsensein zweier Künste bereits auf die unent- wickelte Einheit der Kräfte im orientalischen Leben hin, so klebt nun die Sculptur auch mit der Malerei zusammen, die freilich selbst wieder nur An- strich ist, also bloßer Architektur-Bemalung nahe liegt; denn die Poly- chromie beschränkt sich nicht auf bloßen Ton, sondern überzieht alles Bild- werk mit ungebrochenen Farben, insbesondere aus symbolischen Gründen das Götterbild; die Koilonaglyphen aber sind an sich schon in engerem Sinn malerisch, als das eigentliche Relief, das zwar auch in Aegypten neben ihnen auftritt; diese Wandüberkleidung ist, wie nach der einen Seite architektonisch, nach der andern in ihrer Buntheit eine Reminiscenz der Teppichweberei und Stickerei. -- Mitten in diesen Schranken fehlt es zwar nicht an jenem großen Zug der Linie, an jenem Schwunge, der den Styl bildet, aber es bleibt bei Ansätzen, sie können nicht durchdrin- gen; das Harte, Schüchterne, Kindische, Linkische, Willkührliche wird, zwar ohne förmliches Priesterverbot, durch die Scheue festgehalten, die eingelassene Freiheit des subjectiven Lebens in Stoff und Künstler möchte zur Frivolität führen: eine ächt, streng religiöse Kunst. So bleibt z. B. in Assyrien und Persien die Seitenstellung der Füße bei Vornstellung des Gesichts im Relief, in Aegypten die durchgängige bloße Profilstel- lung, also die Unkenntniß der Verkürzung und somit überhaupt der Per- spective, so daß eine vertieft darzustellende Mehrheit von Figuren in Reihen übereinander tritt, bei allen betheiligten Völkern die ängstliche Regelmäßigkeit in Behandlung gewisser kleinerer, dünnerer, feinerer Ein- zelformen wie Haare, Federn, Kleider-Falten: eine kindliche, auch wie- der an die Architektur erinnernde Ueberstrenge in der an sich allerdings nothwendigen Stylisirung dieser Dinge. Die Technik ist also die nicht völlig beseelte; nicht an der gemeinen Technik fehlt es: die Ungeschicklich- keit des Kinderstandpunktes ist mit der größten Geschicklichkeit fixirt und der Meißel nur zu bewundern. Also hier im Grund eine weitere Form des Dualismus: Geist und Technik fallen auseinander.
taſie zur Baukunſt das Werk der Plaſtik zu dieſer herüberzieht, vgl. §. 578, Anm. 2. Dieß Hinüberſchwanken der Architektur in die Plaſtik iſt ebenſo- gut auch als Hinüberſchwanken dieſer in jene zu faſſen; ſchon die Herr- ſchaft des Coloſſalen, die reihenweiſe Aufſtellung iſt architekturartig, das Ueberwuchern des Relief, namentlich des ganz flachen, verſenkten (vergl. §. 611) ebenfalls ein Ueberfluß des Anſchluſſes an die Baukunſt; die Sculptur liebt es aber durchaus, auch ihr ſelbſtändigeres Werk an Pfei- ler, Säulen zu lehnen, wo ſie es nicht wirklich ungetrennt aus Einem Materialſtück mit dieſen beläßt oder zudem kraus mit dem Ornament verſchmelzt, wie die indiſche Pagode; ja ſie ahmt die primitive Baukunſt nach, die den natürlichen Fels behaut, wie in der coloſſalen Sphinx von Ghizeh. Weist dieß Verwachſenſein zweier Künſte bereits auf die unent- wickelte Einheit der Kräfte im orientaliſchen Leben hin, ſo klebt nun die Sculptur auch mit der Malerei zuſammen, die freilich ſelbſt wieder nur An- ſtrich iſt, alſo bloßer Architektur-Bemalung nahe liegt; denn die Poly- chromie beſchränkt ſich nicht auf bloßen Ton, ſondern überzieht alles Bild- werk mit ungebrochenen Farben, insbeſondere aus ſymboliſchen Gründen das Götterbild; die Koilonaglyphen aber ſind an ſich ſchon in engerem Sinn maleriſch, als das eigentliche Relief, das zwar auch in Aegypten neben ihnen auftritt; dieſe Wandüberkleidung iſt, wie nach der einen Seite architektoniſch, nach der andern in ihrer Buntheit eine Reminiſcenz der Teppichweberei und Stickerei. — Mitten in dieſen Schranken fehlt es zwar nicht an jenem großen Zug der Linie, an jenem Schwunge, der den Styl bildet, aber es bleibt bei Anſätzen, ſie können nicht durchdrin- gen; das Harte, Schüchterne, Kindiſche, Linkiſche, Willkührliche wird, zwar ohne förmliches Prieſterverbot, durch die Scheue feſtgehalten, die eingelaſſene Freiheit des ſubjectiven Lebens in Stoff und Künſtler möchte zur Frivolität führen: eine ächt, ſtreng religiöſe Kunſt. So bleibt z. B. in Aſſyrien und Perſien die Seitenſtellung der Füße bei Vornſtellung des Geſichts im Relief, in Aegypten die durchgängige bloße Profilſtel- lung, alſo die Unkenntniß der Verkürzung und ſomit überhaupt der Per- ſpective, ſo daß eine vertieft darzuſtellende Mehrheit von Figuren in Reihen übereinander tritt, bei allen betheiligten Völkern die ängſtliche Regelmäßigkeit in Behandlung gewiſſer kleinerer, dünnerer, feinerer Ein- zelformen wie Haare, Federn, Kleider-Falten: eine kindliche, auch wie- der an die Architektur erinnernde Ueberſtrenge in der an ſich allerdings nothwendigen Styliſirung dieſer Dinge. Die Technik iſt alſo die nicht völlig beſeelte; nicht an der gemeinen Technik fehlt es: die Ungeſchicklich- keit des Kinderſtandpunktes iſt mit der größten Geſchicklichkeit fixirt und der Meißel nur zu bewundern. Alſo hier im Grund eine weitere Form des Dualiſmus: Geiſt und Technik fallen auseinander.
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taſie zur Baukunſt das Werk der Plaſtik zu dieſer herüberzieht, vgl. §. 578,
Anm. 2. Dieß Hinüberſchwanken der Architektur in die Plaſtik iſt ebenſo-
gut auch als Hinüberſchwanken dieſer in jene zu faſſen; ſchon die Herr-
ſchaft des Coloſſalen, die reihenweiſe Aufſtellung iſt architekturartig, das
Ueberwuchern des Relief, namentlich des ganz flachen, verſenkten (vergl.
§. 611) ebenfalls ein Ueberfluß des Anſchluſſes an die Baukunſt; die
Sculptur liebt es aber durchaus, auch ihr ſelbſtändigeres Werk an Pfei-
ler, Säulen zu lehnen, wo ſie es nicht wirklich ungetrennt aus Einem
Materialſtück mit dieſen beläßt oder zudem kraus mit dem Ornament
verſchmelzt, wie die indiſche Pagode; ja ſie ahmt die primitive Baukunſt
nach, die den natürlichen Fels behaut, wie in der coloſſalen Sphinx von
Ghizeh. Weist dieß Verwachſenſein zweier Künſte bereits auf die unent-
wickelte Einheit der Kräfte im orientaliſchen Leben hin, ſo klebt nun die
Sculptur auch mit der Malerei zuſammen, die freilich ſelbſt wieder nur An-
ſtrich iſt, alſo bloßer Architektur-Bemalung nahe liegt; denn die Poly-
chromie beſchränkt ſich nicht auf bloßen Ton, ſondern überzieht alles Bild-
werk mit ungebrochenen Farben, insbeſondere aus ſymboliſchen Gründen
das Götterbild; die Koilonaglyphen aber ſind an ſich ſchon in engerem
Sinn maleriſch, als das eigentliche Relief, das zwar auch in Aegypten
neben ihnen auftritt; dieſe Wandüberkleidung iſt, wie nach der einen
Seite architektoniſch, nach der andern in ihrer Buntheit eine Reminiſcenz
der Teppichweberei und Stickerei. — Mitten in dieſen Schranken fehlt
es zwar nicht an jenem großen Zug der Linie, an jenem Schwunge, der
den Styl bildet, aber es bleibt bei Anſätzen, ſie können nicht durchdrin-
gen; das Harte, Schüchterne, Kindiſche, Linkiſche, Willkührliche wird,
zwar ohne förmliches Prieſterverbot, durch die Scheue feſtgehalten, die
eingelaſſene Freiheit des ſubjectiven Lebens in Stoff und Künſtler möchte
zur Frivolität führen: eine ächt, ſtreng religiöſe Kunſt. So bleibt z. B.
in Aſſyrien und Perſien die Seitenſtellung der Füße bei Vornſtellung
des Geſichts im Relief, in Aegypten die durchgängige bloße Profilſtel-
lung, alſo die Unkenntniß der Verkürzung und ſomit überhaupt der Per-
ſpective, ſo daß eine vertieft darzuſtellende Mehrheit von Figuren in
Reihen übereinander tritt, bei allen betheiligten Völkern die ängſtliche
Regelmäßigkeit in Behandlung gewiſſer kleinerer, dünnerer, feinerer Ein-
zelformen wie Haare, Federn, Kleider-Falten: eine kindliche, auch wie-
der an die Architektur erinnernde Ueberſtrenge in der an ſich allerdings
nothwendigen Styliſirung dieſer Dinge. Die Technik iſt alſo die nicht
völlig beſeelte; nicht an der gemeinen Technik fehlt es: die Ungeſchicklich-
keit des Kinderſtandpunktes iſt mit der größten Geſchicklichkeit fixirt und
der Meißel nur zu bewundern. Alſo hier im Grund eine weitere Form
des Dualiſmus: Geiſt und Technik fallen auseinander.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/146>, abgerufen am 30.07.2024.
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