Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
Antagonismus der Formen in Einem Leibe zusammendrängt; eigentlich 30*
Antagonismus der Formen in Einem Leibe zuſammendrängt; eigentlich 30*
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Antagonismus der Formen in Einem Leibe zuſammendrängt; eigentlich
iſt aber doch mehr künſtleriſcher Gegenſatz vorhanden, wo ein vollerer Un-
terſchied von Stufen der Handlung und zugleich Formen des Lebens
die Figuren in der Verſchlingung zugleich auseinander hält, wie in der
mehrerwähnten Ludoviſiſchen Gruppe das Auge von der ſchlaff nieder-
hängenden ſchon getödteten Frau oder Tochter zu dem ſtraffen, wilden,
eben erſt ſich tödtenden Mann aufſteigt, um wieder zu jener milderen
Form gerührter niederzuſteigen, ſo daß dieſes mildere Bild des Todes
zugleich als Vorbereitung und Löſung zu dem gewaltſameren im Manne
ſich verhält. Gegenſatz von Thier und Menſch im Kampf oder freund-
lichen Verkehr bietet ſtarken, aber weniger tiefen Contraſt. Die vollere
Gruppe wird ſich naturgemäß zur Dreizahl der Figuren neigen, weil in
dieſer die Hauptmomente der Compoſition: Ueberordnung mit ſymmetriſcher
Unterordnung, Vorbereitung, höchſter Gipfel, Löſung und darin das volle Le-
ben und die Verſöhnung der Contraſte mit der ganzen Einfachheit und Spar-
ſamkeit, welche dieſe Kunſt fordert, ſich entwickeln laſſen; bei den Alten
ging auch hierin das Schauſpiel voran (vergl. Winkelmann G. d. K.
Band 2, S. 178). Die Gruppe des farneſiſchen Stiers iſt bekanntlich
durch ſpätere Zuthat überladen. Kindergeſtalten, Thiere oder halbthieriſch
mythiſche Weſen werden am eheſten eine Gruppe über die Zwei- oder
Dreizahl vermehren können (die berühmte große Gruppe des Skopas:
Achilles und Thetis von Meeresgottheiten nach der Inſel Leuke geführt,
war wohl in aufgelöſter Compoſition gehalten). Die Pyramidalform
tritt nun aus den nachgewieſenen Gründen in Kraft; man darf aber da-
bei nicht an gleich volle Geltung aller Seiten einer vielſeitig vorgeſtellten
Pyramide denken, vielmehr iſt nur Eine Seite die vollgültige, denn gerade
hier kehrt in gewiſſem Sinn der Standpunct des Reliefs wieder: die
Gruppe iſt nämlich zwar beſtimmt, umwandelt zu werden und eine Viel-
heit ſchöner Gruppen zu entfalten, aber doch auf Einen Geſichtspunct vor
allen berechnet und daraus ergibt ſich, daß ſich die Figuren von der
Hauptſeite als ein Nebeneinander präſentiren müſſen, wie angelehnt an
eine verticale Fläche; auch wird nur ſo erreicht, daß ſie ſich wenig mit
den Gliedern decken; es iſt dieß natürlich auch bei der Gruppe von nur zwei
Figuren der Fall, aber es drängt ſich erſt hier in ſeinem Nachdruck auf,
indem die in der Dreizahl begründete Pyramidalform wieder an das
Giebelfeld erinnert, das dem Relief zunächſt ſteht. Ein näheres Bild
des rhythmiſchen Lebens in ſolcher Compoſition iſt zu §. 500, 1. am Bei-
ſpiele der Laokoongruppe gegeben. In der des farneſiſchen Stiers ſehen
wir zwei active Geſtalten, tiefer, halbliegend zwiſchen ihnen die paſſive
der Dirke; über ihr, die Pyramidenſpitze bildend, bäumt ſich der Stier,
er bildet gegen ſie den vollen Contraſt des thieriſch Wilden zu dem weib-
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