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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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nicht auch in ihrer Art eine Längen-Composition hätte: Zusammenstellung
von Figuren, die durch ein deutlich erkennbar Gemeinsames vereinigt,
aber nicht in eigentlicher Handlung verflochten sind, doch auf Einer Ba-
sis, oder zwei solche locker verbundene Gruppen auf zwei Basen sich sym-
metrisch entsprechend. Solcher Art war die Zusammenstellung und Ge-
genüberstellung achäischer und troischer Helden zu Olympia in zwei
Halbkreisen und die turma Alexandri von Lysippus. Diese Form der
Composition, die so geeignet wäre, große historische Ideen monumental
zu entwickeln, ist viel zu sehr vergessen; Zusammenstellungen geschichtlicher
Charaktere, die Einer Sache angehören, Einer großen Idee dienen, wä-
ren gerade für unsere historisch gesinnte Zeit der rechte Stoff für reiche
Monumente und der rechte Ersatz für den Olymp. Einige nähere Wech-
selbeziehung werden die Statuen allerdings auch hier haben müssen, da-
mit sich diese Form von der noch lockereren, der Aufstellung von entsprechen-
den Statuen auf verschiedenen Postamenten, wie z. B. der Rossebändi-
genden Dioskuren, und der bloßen Vereinigung verwandter Darstellun-
gen durch Einen Raum, Saal, Halle, Grabgebäude unterscheide; sie
werden sich wie im Gespräch begriffen zueinander wenden, sich zum
Kampfe anfeuern u. s. w., dürfen überhaupt nicht allzusehr getrennt
stehen; ein größerer Zwischenraum gemeinschaftlicher Basis würde selbst
Figuren, die sich zueinander wenden, nicht zu Einem Werke zusammen-
fassen, denn es fehlt die Scenerie, die das Theater hinzugibt (vergl.
Schleiermacher Vorles. über d. Aesth. S. 591. 592), an dessen Aufstellun-
gen übrigens die auseinandergezogene Composition allerdings erinnert.
Die architektonische Gruppirung an einem Denkmal (vergl. §. 609,
Anm. 1.) ist verwandt, aber schon enger ansammelnd. Die schwierigste
Leistung der Bildnerkunst ist nun aber die freie Gruppe. Zunächst er-
weitert sich die Einheit zur Zwei; die Pyramidalform kann sich noch
nicht entwickeln, die Zusammenfassung der Zwei kann nur in der Bewe-
gung, im Ausdruck liegen. Die losere Form ist die, wo zwei Figuren
zusammengestellt sind, die sich nicht zu einander wenden, sondern nur von
derselben Stimmung beherrscht sind, wie z. B. die Gruppe von Ildefonso;
da ist der Contrast noch mild und sanft, seine Auflösung nur der durch
das Ganze gehende Zug und Geist. Bewegter wird die Gruppe, wenn
die Gestalten in freundlichem Affect (Amor und Psyche) oder gemein-
schaftlich traurigem (Gruppen der Abschiednehmenden Ehegatten) oder ge-
mischtem (Orestes und Elektra) sich zueinander kehren, sich fassen, um-
armen, oder gar in feindlicher Erbitterung, furchtbarer Handlung bei
schrecklichem Leiden sich bekämpfen, verschlingen, aneinander klammern
u. s. f. Die engste Form ist das Symplegma, wie in dem Ringerpaare
zu Florenz, wo Glied gegen Glied, Muskel gegen Muskel sich wie zum

nicht auch in ihrer Art eine Längen-Compoſition hätte: Zuſammenſtellung
von Figuren, die durch ein deutlich erkennbar Gemeinſames vereinigt,
aber nicht in eigentlicher Handlung verflochten ſind, doch auf Einer Ba-
ſis, oder zwei ſolche locker verbundene Gruppen auf zwei Baſen ſich ſym-
metriſch entſprechend. Solcher Art war die Zuſammenſtellung und Ge-
genüberſtellung achäiſcher und troiſcher Helden zu Olympia in zwei
Halbkreiſen und die turma Alexandri von Lyſippus. Dieſe Form der
Compoſition, die ſo geeignet wäre, große hiſtoriſche Ideen monumental
zu entwickeln, iſt viel zu ſehr vergeſſen; Zuſammenſtellungen geſchichtlicher
Charaktere, die Einer Sache angehören, Einer großen Idee dienen, wä-
ren gerade für unſere hiſtoriſch geſinnte Zeit der rechte Stoff für reiche
Monumente und der rechte Erſatz für den Olymp. Einige nähere Wech-
ſelbeziehung werden die Statuen allerdings auch hier haben müſſen, da-
mit ſich dieſe Form von der noch lockereren, der Aufſtellung von entſprechen-
den Statuen auf verſchiedenen Poſtamenten, wie z. B. der Roſſebändi-
genden Dioſkuren, und der bloßen Vereinigung verwandter Darſtellun-
gen durch Einen Raum, Saal, Halle, Grabgebäude unterſcheide; ſie
werden ſich wie im Geſpräch begriffen zueinander wenden, ſich zum
Kampfe anfeuern u. ſ. w., dürfen überhaupt nicht allzuſehr getrennt
ſtehen; ein größerer Zwiſchenraum gemeinſchaftlicher Baſis würde ſelbſt
Figuren, die ſich zueinander wenden, nicht zu Einem Werke zuſammen-
faſſen, denn es fehlt die Scenerie, die das Theater hinzugibt (vergl.
Schleiermacher Vorleſ. über d. Aeſth. S. 591. 592), an deſſen Aufſtellun-
gen übrigens die auseinandergezogene Compoſition allerdings erinnert.
Die architektoniſche Gruppirung an einem Denkmal (vergl. §. 609,
Anm. 1.) iſt verwandt, aber ſchon enger anſammelnd. Die ſchwierigſte
Leiſtung der Bildnerkunſt iſt nun aber die freie Gruppe. Zunächſt er-
weitert ſich die Einheit zur Zwei; die Pyramidalform kann ſich noch
nicht entwickeln, die Zuſammenfaſſung der Zwei kann nur in der Bewe-
gung, im Ausdruck liegen. Die loſere Form iſt die, wo zwei Figuren
zuſammengeſtellt ſind, die ſich nicht zu einander wenden, ſondern nur von
derſelben Stimmung beherrſcht ſind, wie z. B. die Gruppe von Ildefonſo;
da iſt der Contraſt noch mild und ſanft, ſeine Auflöſung nur der durch
das Ganze gehende Zug und Geiſt. Bewegter wird die Gruppe, wenn
die Geſtalten in freundlichem Affect (Amor und Pſyche) oder gemein-
ſchaftlich traurigem (Gruppen der Abſchiednehmenden Ehegatten) oder ge-
miſchtem (Oreſtes und Elektra) ſich zueinander kehren, ſich faſſen, um-
armen, oder gar in feindlicher Erbitterung, furchtbarer Handlung bei
ſchrecklichem Leiden ſich bekämpfen, verſchlingen, aneinander klammern
u. ſ. f. Die engſte Form iſt das Symplegma, wie in dem Ringerpaare
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[452/0126] nicht auch in ihrer Art eine Längen-Compoſition hätte: Zuſammenſtellung von Figuren, die durch ein deutlich erkennbar Gemeinſames vereinigt, aber nicht in eigentlicher Handlung verflochten ſind, doch auf Einer Ba- ſis, oder zwei ſolche locker verbundene Gruppen auf zwei Baſen ſich ſym- metriſch entſprechend. Solcher Art war die Zuſammenſtellung und Ge- genüberſtellung achäiſcher und troiſcher Helden zu Olympia in zwei Halbkreiſen und die turma Alexandri von Lyſippus. Dieſe Form der Compoſition, die ſo geeignet wäre, große hiſtoriſche Ideen monumental zu entwickeln, iſt viel zu ſehr vergeſſen; Zuſammenſtellungen geſchichtlicher Charaktere, die Einer Sache angehören, Einer großen Idee dienen, wä- ren gerade für unſere hiſtoriſch geſinnte Zeit der rechte Stoff für reiche Monumente und der rechte Erſatz für den Olymp. Einige nähere Wech- ſelbeziehung werden die Statuen allerdings auch hier haben müſſen, da- mit ſich dieſe Form von der noch lockereren, der Aufſtellung von entſprechen- den Statuen auf verſchiedenen Poſtamenten, wie z. B. der Roſſebändi- genden Dioſkuren, und der bloßen Vereinigung verwandter Darſtellun- gen durch Einen Raum, Saal, Halle, Grabgebäude unterſcheide; ſie werden ſich wie im Geſpräch begriffen zueinander wenden, ſich zum Kampfe anfeuern u. ſ. w., dürfen überhaupt nicht allzuſehr getrennt ſtehen; ein größerer Zwiſchenraum gemeinſchaftlicher Baſis würde ſelbſt Figuren, die ſich zueinander wenden, nicht zu Einem Werke zuſammen- faſſen, denn es fehlt die Scenerie, die das Theater hinzugibt (vergl. Schleiermacher Vorleſ. über d. Aeſth. S. 591. 592), an deſſen Aufſtellun- gen übrigens die auseinandergezogene Compoſition allerdings erinnert. Die architektoniſche Gruppirung an einem Denkmal (vergl. §. 609, Anm. 1.) iſt verwandt, aber ſchon enger anſammelnd. Die ſchwierigſte Leiſtung der Bildnerkunſt iſt nun aber die freie Gruppe. Zunächſt er- weitert ſich die Einheit zur Zwei; die Pyramidalform kann ſich noch nicht entwickeln, die Zuſammenfaſſung der Zwei kann nur in der Bewe- gung, im Ausdruck liegen. Die loſere Form iſt die, wo zwei Figuren zuſammengeſtellt ſind, die ſich nicht zu einander wenden, ſondern nur von derſelben Stimmung beherrſcht ſind, wie z. B. die Gruppe von Ildefonſo; da iſt der Contraſt noch mild und ſanft, ſeine Auflöſung nur der durch das Ganze gehende Zug und Geiſt. Bewegter wird die Gruppe, wenn die Geſtalten in freundlichem Affect (Amor und Pſyche) oder gemein- ſchaftlich traurigem (Gruppen der Abſchiednehmenden Ehegatten) oder ge- miſchtem (Oreſtes und Elektra) ſich zueinander kehren, ſich faſſen, um- armen, oder gar in feindlicher Erbitterung, furchtbarer Handlung bei ſchrecklichem Leiden ſich bekämpfen, verſchlingen, aneinander klammern u. ſ. f. Die engſte Form iſt das Symplegma, wie in dem Ringerpaare zu Florenz, wo Glied gegen Glied, Muſkel gegen Muſkel ſich wie zum

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/126>, abgerufen am 27.11.2024.