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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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momente begründeten Zweigbildung nicht ersetzen. So besteht in der Malerei
aus tieferen Gründen der große Unterschied von Landschaft, Genre, Bild-
niß, Geschichtsbild und erst weiterhin tritt dann allerdings in einigen dieser
Zweige der Unterschied des Materials und der Technik in seiner ganzen
Wichtigkeit hervor. Wie bedeutend dieser in der Baukunst ist, hat schon
§. 540 Anm. 1. und §. 562 gezeigt. Allein abgesehen davon, daß er
die eigentliche Zweig-Eintheilung nicht ersetzen kann, ist auch nicht zu
übersehen, daß die so eben zur Verdeutlichung beigezogene Malerei immer
und überall das eine oder andere Material wählen und demnach ihren
Styl bestimmen kann, während in der Baukunst die Ergreifung verschie-
denen Materials namentlich von localen Zufällen abhängt. Einige Arten
von Bauwerken werden zwar auch da, wo es Stein gibt, immer zweck-
mäßiger in Holz, andere in Backstein ausgeführt werden, umgekehrt wird
für gewisse Arten auch da, wo es keinen Stein gibt, dieser nicht blos
aus structivem, sondern auch monumental ästhetischem Zwecke um jeden
Preis hergeschafft werden müssen, allein diese Arten selbst gründen sich
auf ein streng aus der Sache, dem Bauzweck, genommenes Eintheilungs-
prinzip und daher kann der auf das Material begründete Styl-Unterschied
nicht in erster Linie seine Bedeutung geltend machen.

2. Wenn demnach eine solche Eintheilung in der Baukunst nur auf
die verschiedenen Bauzwecke gegründet werden kann, so ist zunächst nicht
zu übersehen, daß dieß eigentlich ein logischer Mißstand ist, der so in der
Gliederung keiner andern Kunst eintritt, denn nur im Tempel erhebt sich
das Bauen zur reinen Kunst, allen andern Bauten wird nur durch Rück-
strahlung des künstlerischen Schwungs, den der absolute Zweck im Tem-
pelbau hervorruft, der Stempel aufgedrückt, der ihnen die höhere ästhe-
tische Form verleiht; es wird daher durch jene Eintheilung Aesthetisches
und nicht rein Aesthetisches coordinirt. Dennoch führt der objective, ge-
schichtliche, öffentliche, monumentale Charakter, der sich durch jenen Stempel
auch über die Gebäude-Arten ausdehnt, welche nicht der absoluten Idee
der Religion dienen, eine Würde mit sich, welche gebietet, jene logische
Kluft zu übersehen. Diese Zusammenstellung des absoluten Baus mit den
Bauten der relativen Zweckmäßigkeit führt nun, wenn man auf den
Schlußsatz von §. 541 zurückblickt, zu einem tief bedeutenden Unterschiede
zwischen der Baukunst und andern Künsten. Dort ist nämlich gesagt, das
Eindringen der zweiten Stoffwelt führe die Schwierigkeit mit sich, daß
gewisse Zweige, die es hervorbringt, neben solchen Zweigen, deren
Aufkommen sie eigentlich verdrängen müßte, fortbestehen, wie das mythische
Gemälde neben dem historischen, das denselben reinen Geschichtsgehalt wie
jenes, aber frei von der transcendenten Form zur Darstellung bringt.
Dem mythischen Gemälde (ebenso dem Epos, Mysterien-Drama) würde

Vischer's Aesthetik. 3. Band. 17

momente begründeten Zweigbildung nicht erſetzen. So beſteht in der Malerei
aus tieferen Gründen der große Unterſchied von Landſchaft, Genre, Bild-
niß, Geſchichtsbild und erſt weiterhin tritt dann allerdings in einigen dieſer
Zweige der Unterſchied des Materials und der Technik in ſeiner ganzen
Wichtigkeit hervor. Wie bedeutend dieſer in der Baukunſt iſt, hat ſchon
§. 540 Anm. 1. und §. 562 gezeigt. Allein abgeſehen davon, daß er
die eigentliche Zweig-Eintheilung nicht erſetzen kann, iſt auch nicht zu
überſehen, daß die ſo eben zur Verdeutlichung beigezogene Malerei immer
und überall das eine oder andere Material wählen und demnach ihren
Styl beſtimmen kann, während in der Baukunſt die Ergreifung verſchie-
denen Materials namentlich von localen Zufällen abhängt. Einige Arten
von Bauwerken werden zwar auch da, wo es Stein gibt, immer zweck-
mäßiger in Holz, andere in Backſtein ausgeführt werden, umgekehrt wird
für gewiſſe Arten auch da, wo es keinen Stein gibt, dieſer nicht blos
aus ſtructivem, ſondern auch monumental äſthetiſchem Zwecke um jeden
Preis hergeſchafft werden müſſen, allein dieſe Arten ſelbſt gründen ſich
auf ein ſtreng aus der Sache, dem Bauzweck, genommenes Eintheilungs-
prinzip und daher kann der auf das Material begründete Styl-Unterſchied
nicht in erſter Linie ſeine Bedeutung geltend machen.

2. Wenn demnach eine ſolche Eintheilung in der Baukunſt nur auf
die verſchiedenen Bauzwecke gegründet werden kann, ſo iſt zunächſt nicht
zu überſehen, daß dieß eigentlich ein logiſcher Mißſtand iſt, der ſo in der
Gliederung keiner andern Kunſt eintritt, denn nur im Tempel erhebt ſich
das Bauen zur reinen Kunſt, allen andern Bauten wird nur durch Rück-
ſtrahlung des künſtleriſchen Schwungs, den der abſolute Zweck im Tem-
pelbau hervorruft, der Stempel aufgedrückt, der ihnen die höhere äſthe-
tiſche Form verleiht; es wird daher durch jene Eintheilung Aeſthetiſches
und nicht rein Aeſthetiſches coordinirt. Dennoch führt der objective, ge-
ſchichtliche, öffentliche, monumentale Charakter, der ſich durch jenen Stempel
auch über die Gebäude-Arten ausdehnt, welche nicht der abſoluten Idee
der Religion dienen, eine Würde mit ſich, welche gebietet, jene logiſche
Kluft zu überſehen. Dieſe Zuſammenſtellung des abſoluten Baus mit den
Bauten der relativen Zweckmäßigkeit führt nun, wenn man auf den
Schlußſatz von §. 541 zurückblickt, zu einem tief bedeutenden Unterſchiede
zwiſchen der Baukunſt und andern Künſten. Dort iſt nämlich geſagt, das
Eindringen der zweiten Stoffwelt führe die Schwierigkeit mit ſich, daß
gewiſſe Zweige, die es hervorbringt, neben ſolchen Zweigen, deren
Aufkommen ſie eigentlich verdrängen müßte, fortbeſtehen, wie das mythiſche
Gemälde neben dem hiſtoriſchen, das denſelben reinen Geſchichtsgehalt wie
jenes, aber frei von der tranſcendenten Form zur Darſtellung bringt.
Dem mythiſchen Gemälde (ebenſo dem Epos, Myſterien-Drama) würde

Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 17
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[253/0093] momente begründeten Zweigbildung nicht erſetzen. So beſteht in der Malerei aus tieferen Gründen der große Unterſchied von Landſchaft, Genre, Bild- niß, Geſchichtsbild und erſt weiterhin tritt dann allerdings in einigen dieſer Zweige der Unterſchied des Materials und der Technik in ſeiner ganzen Wichtigkeit hervor. Wie bedeutend dieſer in der Baukunſt iſt, hat ſchon §. 540 Anm. 1. und §. 562 gezeigt. Allein abgeſehen davon, daß er die eigentliche Zweig-Eintheilung nicht erſetzen kann, iſt auch nicht zu überſehen, daß die ſo eben zur Verdeutlichung beigezogene Malerei immer und überall das eine oder andere Material wählen und demnach ihren Styl beſtimmen kann, während in der Baukunſt die Ergreifung verſchie- denen Materials namentlich von localen Zufällen abhängt. Einige Arten von Bauwerken werden zwar auch da, wo es Stein gibt, immer zweck- mäßiger in Holz, andere in Backſtein ausgeführt werden, umgekehrt wird für gewiſſe Arten auch da, wo es keinen Stein gibt, dieſer nicht blos aus ſtructivem, ſondern auch monumental äſthetiſchem Zwecke um jeden Preis hergeſchafft werden müſſen, allein dieſe Arten ſelbſt gründen ſich auf ein ſtreng aus der Sache, dem Bauzweck, genommenes Eintheilungs- prinzip und daher kann der auf das Material begründete Styl-Unterſchied nicht in erſter Linie ſeine Bedeutung geltend machen. 2. Wenn demnach eine ſolche Eintheilung in der Baukunſt nur auf die verſchiedenen Bauzwecke gegründet werden kann, ſo iſt zunächſt nicht zu überſehen, daß dieß eigentlich ein logiſcher Mißſtand iſt, der ſo in der Gliederung keiner andern Kunſt eintritt, denn nur im Tempel erhebt ſich das Bauen zur reinen Kunſt, allen andern Bauten wird nur durch Rück- ſtrahlung des künſtleriſchen Schwungs, den der abſolute Zweck im Tem- pelbau hervorruft, der Stempel aufgedrückt, der ihnen die höhere äſthe- tiſche Form verleiht; es wird daher durch jene Eintheilung Aeſthetiſches und nicht rein Aeſthetiſches coordinirt. Dennoch führt der objective, ge- ſchichtliche, öffentliche, monumentale Charakter, der ſich durch jenen Stempel auch über die Gebäude-Arten ausdehnt, welche nicht der abſoluten Idee der Religion dienen, eine Würde mit ſich, welche gebietet, jene logiſche Kluft zu überſehen. Dieſe Zuſammenſtellung des abſoluten Baus mit den Bauten der relativen Zweckmäßigkeit führt nun, wenn man auf den Schlußſatz von §. 541 zurückblickt, zu einem tief bedeutenden Unterſchiede zwiſchen der Baukunſt und andern Künſten. Dort iſt nämlich geſagt, das Eindringen der zweiten Stoffwelt führe die Schwierigkeit mit ſich, daß gewiſſe Zweige, die es hervorbringt, neben ſolchen Zweigen, deren Aufkommen ſie eigentlich verdrängen müßte, fortbeſtehen, wie das mythiſche Gemälde neben dem hiſtoriſchen, das denſelben reinen Geſchichtsgehalt wie jenes, aber frei von der tranſcendenten Form zur Darſtellung bringt. Dem mythiſchen Gemälde (ebenſo dem Epos, Myſterien-Drama) würde Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 17

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/93>, abgerufen am 22.11.2024.