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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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Fügung der mehr nur verschließenden Massen, so daß ein Ganzes aus
Einem Gusse, wie bei dem Holze nicht, möglich wird. An sich indiffe-
rent gegen die Form nimmt er im Allgemeinen jede an, die nicht zu
einer den structiven Charakter aufhebenden Dünnheit fortgeht, doch lassen
sich die natürlichen Grenzen des Verhältnisses zwischen Kraft und Masse
durch bindende Nachhilfen (Döbel u. dergl.) erweitern. Die im Allge-
meinen körnige Textur gibt auch dem feiner Ausgeführten im decorativen
Theile den nöthigen Charakter der Solidität und läßt doch verschiedene
Grade der Feinheit in der Bearbeitung der Oberfläche bis zur Politur
zu, und die große Mannigfaltigkeit der Färbung bietet sich den verschie-
densten Zwecken dar: die vollere Farbe und das reinere Weiß den Auf-
gaben höherer Pracht, die ruhigeren Farbentöne dem einfacheren monu-
mentalen Zwecke. Verkleidung und Färbung kann, wo die gewünschte
Farbenwirkung im Materiale nicht vorhanden ist, nachhelfen, ohne daß
der Stein darunter leidet, wie das Holz. Wie sich innerhalb dieser all-
gemeinen Eigenschaften einzelnes Gestein unterscheidet, wird an wenigen
Haupt-Arten klar. So bieten die quarzhaltigen Sandsteine in ihren
Farben: grau, gelblich, grünlich, weißlich, braun, düsterer oder heller roth
(Straßburger- und Freiburger-Münster) dem Auge einen architektonisch
höchst wirksamen Ton und zugleich ist ihre markige Textur in dem Sinne
günstig, daß sie die allzufeine Bearbeitung der Oberfläche nicht zuläßt,
daher eine mächtigere, energisch breite Ausführung der Glieder und Or-
namente gebietet; der Meißelschlag, den man bei solcher Behandlung
sichtbar läßt, stimmt mit jener Textur zusammen und gibt den Eindruck
des Kräftigen, des Naturderben, des Monumentalen. Dagegen hat der
thonhaltige Keupersandstein (namentlich am Neckar) zwar ebenfalls ange-
nehmen, wiewohl nicht so schönen, graulichen, grünlichen, auch röthlichen
Farbenton, ist durch seine Weichheit bequemer zu bearbeiten und läßt
feinere Einzelbildungen zu; allein diese Eigenschaft führt auch leicht zu
einer Zierlichkeit, die nicht mehr architektonisch ist, und zu dem weniger
kräftigen Eindruck der thonigen Textur kommt noch die nahe liegende allzu-
geleckte Behandlung der Oberfläche, namentlich durch häufiges Schleifen.
Eine noch viel breitere Haltung, als der quarzige Sandstein, bedingt durch
seine Porosität der Tufstein; das Starke und Tüchtige der massigen Behand-
lung wird bei der gelben Farbe des Travertin zum Großartigen, Festlichen.
Unter den Kalksteinen ist hier als besonders edles Baumaterial nur der Mar-
mor zu erwähnen und zwar vor Allem der weiße. Die reine Farben-Einheit,
die das Weiß darstellt, verbunden mit dem feinen Korn, dem Anhauch
von Durchsichtigkeit, übergehend in den herrlichen gelblichen Anflug, den
der parische und pentelische Marmor mit der Zeit annimmt, muß als der
herrlichste Stoff für den idealen Ausdruck der höchsten Aufgaben der Bau-

Fügung der mehr nur verſchließenden Maſſen, ſo daß ein Ganzes aus
Einem Guſſe, wie bei dem Holze nicht, möglich wird. An ſich indiffe-
rent gegen die Form nimmt er im Allgemeinen jede an, die nicht zu
einer den ſtructiven Charakter aufhebenden Dünnheit fortgeht, doch laſſen
ſich die natürlichen Grenzen des Verhältniſſes zwiſchen Kraft und Maſſe
durch bindende Nachhilfen (Döbel u. dergl.) erweitern. Die im Allge-
meinen körnige Textur gibt auch dem feiner Ausgeführten im decorativen
Theile den nöthigen Charakter der Solidität und läßt doch verſchiedene
Grade der Feinheit in der Bearbeitung der Oberfläche bis zur Politur
zu, und die große Mannigfaltigkeit der Färbung bietet ſich den verſchie-
denſten Zwecken dar: die vollere Farbe und das reinere Weiß den Auf-
gaben höherer Pracht, die ruhigeren Farbentöne dem einfacheren monu-
mentalen Zwecke. Verkleidung und Färbung kann, wo die gewünſchte
Farbenwirkung im Materiale nicht vorhanden iſt, nachhelfen, ohne daß
der Stein darunter leidet, wie das Holz. Wie ſich innerhalb dieſer all-
gemeinen Eigenſchaften einzelnes Geſtein unterſcheidet, wird an wenigen
Haupt-Arten klar. So bieten die quarzhaltigen Sandſteine in ihren
Farben: grau, gelblich, grünlich, weißlich, braun, düſterer oder heller roth
(Straßburger- und Freiburger-Münſter) dem Auge einen architektoniſch
höchſt wirkſamen Ton und zugleich iſt ihre markige Textur in dem Sinne
günſtig, daß ſie die allzufeine Bearbeitung der Oberfläche nicht zuläßt,
daher eine mächtigere, energiſch breite Ausführung der Glieder und Or-
namente gebietet; der Meißelſchlag, den man bei ſolcher Behandlung
ſichtbar läßt, ſtimmt mit jener Textur zuſammen und gibt den Eindruck
des Kräftigen, des Naturderben, des Monumentalen. Dagegen hat der
thonhaltige Keuperſandſtein (namentlich am Neckar) zwar ebenfalls ange-
nehmen, wiewohl nicht ſo ſchönen, graulichen, grünlichen, auch röthlichen
Farbenton, iſt durch ſeine Weichheit bequemer zu bearbeiten und läßt
feinere Einzelbildungen zu; allein dieſe Eigenſchaft führt auch leicht zu
einer Zierlichkeit, die nicht mehr architektoniſch iſt, und zu dem weniger
kräftigen Eindruck der thonigen Textur kommt noch die nahe liegende allzu-
geleckte Behandlung der Oberfläche, namentlich durch häufiges Schleifen.
Eine noch viel breitere Haltung, als der quarzige Sandſtein, bedingt durch
ſeine Poroſität der Tufſtein; das Starke und Tüchtige der maſſigen Behand-
lung wird bei der gelben Farbe des Travertin zum Großartigen, Feſtlichen.
Unter den Kalkſteinen iſt hier als beſonders edles Baumaterial nur der Mar-
mor zu erwähnen und zwar vor Allem der weiße. Die reine Farben-Einheit,
die das Weiß darſtellt, verbunden mit dem feinen Korn, dem Anhauch
von Durchſichtigkeit, übergehend in den herrlichen gelblichen Anflug, den
der pariſche und penteliſche Marmor mit der Zeit annimmt, muß als der
herrlichſte Stoff für den idealen Ausdruck der höchſten Aufgaben der Bau-

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[212/0052] Fügung der mehr nur verſchließenden Maſſen, ſo daß ein Ganzes aus Einem Guſſe, wie bei dem Holze nicht, möglich wird. An ſich indiffe- rent gegen die Form nimmt er im Allgemeinen jede an, die nicht zu einer den ſtructiven Charakter aufhebenden Dünnheit fortgeht, doch laſſen ſich die natürlichen Grenzen des Verhältniſſes zwiſchen Kraft und Maſſe durch bindende Nachhilfen (Döbel u. dergl.) erweitern. Die im Allge- meinen körnige Textur gibt auch dem feiner Ausgeführten im decorativen Theile den nöthigen Charakter der Solidität und läßt doch verſchiedene Grade der Feinheit in der Bearbeitung der Oberfläche bis zur Politur zu, und die große Mannigfaltigkeit der Färbung bietet ſich den verſchie- denſten Zwecken dar: die vollere Farbe und das reinere Weiß den Auf- gaben höherer Pracht, die ruhigeren Farbentöne dem einfacheren monu- mentalen Zwecke. Verkleidung und Färbung kann, wo die gewünſchte Farbenwirkung im Materiale nicht vorhanden iſt, nachhelfen, ohne daß der Stein darunter leidet, wie das Holz. Wie ſich innerhalb dieſer all- gemeinen Eigenſchaften einzelnes Geſtein unterſcheidet, wird an wenigen Haupt-Arten klar. So bieten die quarzhaltigen Sandſteine in ihren Farben: grau, gelblich, grünlich, weißlich, braun, düſterer oder heller roth (Straßburger- und Freiburger-Münſter) dem Auge einen architektoniſch höchſt wirkſamen Ton und zugleich iſt ihre markige Textur in dem Sinne günſtig, daß ſie die allzufeine Bearbeitung der Oberfläche nicht zuläßt, daher eine mächtigere, energiſch breite Ausführung der Glieder und Or- namente gebietet; der Meißelſchlag, den man bei ſolcher Behandlung ſichtbar läßt, ſtimmt mit jener Textur zuſammen und gibt den Eindruck des Kräftigen, des Naturderben, des Monumentalen. Dagegen hat der thonhaltige Keuperſandſtein (namentlich am Neckar) zwar ebenfalls ange- nehmen, wiewohl nicht ſo ſchönen, graulichen, grünlichen, auch röthlichen Farbenton, iſt durch ſeine Weichheit bequemer zu bearbeiten und läßt feinere Einzelbildungen zu; allein dieſe Eigenſchaft führt auch leicht zu einer Zierlichkeit, die nicht mehr architektoniſch iſt, und zu dem weniger kräftigen Eindruck der thonigen Textur kommt noch die nahe liegende allzu- geleckte Behandlung der Oberfläche, namentlich durch häufiges Schleifen. Eine noch viel breitere Haltung, als der quarzige Sandſtein, bedingt durch ſeine Poroſität der Tufſtein; das Starke und Tüchtige der maſſigen Behand- lung wird bei der gelben Farbe des Travertin zum Großartigen, Feſtlichen. Unter den Kalkſteinen iſt hier als beſonders edles Baumaterial nur der Mar- mor zu erwähnen und zwar vor Allem der weiße. Die reine Farben-Einheit, die das Weiß darſtellt, verbunden mit dem feinen Korn, dem Anhauch von Durchſichtigkeit, übergehend in den herrlichen gelblichen Anflug, den der pariſche und penteliſche Marmor mit der Zeit annimmt, muß als der herrlichſte Stoff für den idealen Ausdruck der höchſten Aufgaben der Bau-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/52>, abgerufen am 22.11.2024.