Maaßen, Zirkelriß u. s. w. für Curven und andere, zusammengesetztere mathematische Formen im Steinschnitte zu bearbeiten. Dadurch erst ist der Baukünstler im Stande, jeden Theil so zu fügen, daß jenes leben- dige Wechselverhältniß der Kräfte entsteht, das alle Baukunst fordert. Ihre ganze Wichtigkeit erhält diese Grundbedingung freien Baus in der Decke: "da aus der Ueberspannung und Ueberdeckung der Räumlichkeit wie der freien Stützenweiten die Gliederung der Deckung hervorgeht und wiederum an die Gliederung der Deckung das Schema des Planes, die Disposition und die realen Abstands- oder Spannweiten der freistehenden Stützen gebunden sind und nach ihr gestimmt werden, so kann man sagen: der Baustyl stehe in Hinsicht auf Mechanik" (nicht blos dieß) "am höch- sten, welcher mittelst einer künstlichen, Momente erzeugenden Gliederung der Decke jedes Material so weit besiegt habe, daß er nicht allein die größeren Raum- oder Stützweiten überspannen, sondern dabei auch jed- wedes Schema der Räumlichkeit überdecken könne und mithin möglich mache" (Bötticher a. a. O. Excurs I, S. 2). -- Die zweite Bedingung ist eine Textur des Materials, welche die der allgemeinen und einzelnen Aufgabe entsprechende künstlerische Bearbeitung der Oberfläche und Aus- führung des Decorativen zuläßt. Der Ausdruck ist absichtlich unbestimmt gehalten; ein Bauwerk fordert seiner Bedeutung nach feinere Bearbeitung, Schleifung, Politur, einem andern steht eine rauhere Oberfläche, sicht- barer Meißelschlag besser an; ein gewisser Grad von Feinheit, Glätte wird dem ernst monumentalen Styl immer widersprechen, dagegen dem prachtvollen, glänzenden, leichten, schlanken günstiger sein; der Zufall, daß gerade ein Material zur Hand ist, das in dieser Beziehung die eine oder andere Behandlungsweise bedingt, kann aber auch auf die Stimmung des Künstlers tief zurückwirken und so auf den Grundcharakter seines Werkes einfließen. Was insbesondere die Glieder und das Ornament betrifft, so ist klar, daß das feinere Korn eine reichere Durchbildung, das gröbere eine breitere Haltung auch nach dieser Seite mit sich bringt. -- Die dritte Bedingung faßt mit der vorhergehenden das Moment der Farbe zusammen. Die Wichtigkeit dieses Moments folgt von selbst aus dem, was über die in den Farben liegende Stimmung in §. 246 ff. gesagt ist. Sofern die natürliche Farbe des Materials unzulänglich er- scheint, tritt hier die Frage über die Polychromie ein. Da jedoch, auch wenn bewiesen sein sollte, daß im griechischen Bau kein Fleck unbemalt blieb, dieses Verfahren nimmermehr allgemeines, bleibendes Gesetz werden kann, so behandeln wir diese Frage vorerst ganz unbefangen so, daß wir überall von der natürlichen Farbenwirkung des Materials ausgehen und die Farbe nur als eine Nachhilfe betrachten, die da eintritt, wo diese unzulänglich ist.
Maaßen, Zirkelriß u. ſ. w. für Curven und andere, zuſammengeſetztere mathematiſche Formen im Steinſchnitte zu bearbeiten. Dadurch erſt iſt der Baukünſtler im Stande, jeden Theil ſo zu fügen, daß jenes leben- dige Wechſelverhältniß der Kräfte entſteht, das alle Baukunſt fordert. Ihre ganze Wichtigkeit erhält dieſe Grundbedingung freien Baus in der Decke: „da aus der Ueberſpannung und Ueberdeckung der Räumlichkeit wie der freien Stützenweiten die Gliederung der Deckung hervorgeht und wiederum an die Gliederung der Deckung das Schema des Planes, die Diſpoſition und die realen Abſtands- oder Spannweiten der freiſtehenden Stützen gebunden ſind und nach ihr geſtimmt werden, ſo kann man ſagen: der Bauſtyl ſtehe in Hinſicht auf Mechanik“ (nicht blos dieß) „am höch- ſten, welcher mittelſt einer künſtlichen, Momente erzeugenden Gliederung der Decke jedes Material ſo weit beſiegt habe, daß er nicht allein die größeren Raum- oder Stützweiten überſpannen, ſondern dabei auch jed- wedes Schema der Räumlichkeit überdecken könne und mithin möglich mache“ (Bötticher a. a. O. Excurs I, S. 2). — Die zweite Bedingung iſt eine Textur des Materials, welche die der allgemeinen und einzelnen Aufgabe entſprechende künſtleriſche Bearbeitung der Oberfläche und Aus- führung des Decorativen zuläßt. Der Ausdruck iſt abſichtlich unbeſtimmt gehalten; ein Bauwerk fordert ſeiner Bedeutung nach feinere Bearbeitung, Schleifung, Politur, einem andern ſteht eine rauhere Oberfläche, ſicht- barer Meißelſchlag beſſer an; ein gewiſſer Grad von Feinheit, Glätte wird dem ernſt monumentalen Styl immer widerſprechen, dagegen dem prachtvollen, glänzenden, leichten, ſchlanken günſtiger ſein; der Zufall, daß gerade ein Material zur Hand iſt, das in dieſer Beziehung die eine oder andere Behandlungsweiſe bedingt, kann aber auch auf die Stimmung des Künſtlers tief zurückwirken und ſo auf den Grundcharakter ſeines Werkes einfließen. Was insbeſondere die Glieder und das Ornament betrifft, ſo iſt klar, daß das feinere Korn eine reichere Durchbildung, das gröbere eine breitere Haltung auch nach dieſer Seite mit ſich bringt. — Die dritte Bedingung faßt mit der vorhergehenden das Moment der Farbe zuſammen. Die Wichtigkeit dieſes Moments folgt von ſelbſt aus dem, was über die in den Farben liegende Stimmung in §. 246 ff. geſagt iſt. Sofern die natürliche Farbe des Materials unzulänglich er- ſcheint, tritt hier die Frage über die Polychromie ein. Da jedoch, auch wenn bewieſen ſein ſollte, daß im griechiſchen Bau kein Fleck unbemalt blieb, dieſes Verfahren nimmermehr allgemeines, bleibendes Geſetz werden kann, ſo behandeln wir dieſe Frage vorerſt ganz unbefangen ſo, daß wir überall von der natürlichen Farbenwirkung des Materials ausgehen und die Farbe nur als eine Nachhilfe betrachten, die da eintritt, wo dieſe unzulänglich iſt.
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Maaßen, Zirkelriß u. ſ. w. für Curven und andere, zuſammengeſetztere
mathematiſche Formen im Steinſchnitte zu bearbeiten. Dadurch erſt iſt
der Baukünſtler im Stande, jeden Theil ſo zu fügen, daß jenes leben-
dige Wechſelverhältniß der Kräfte entſteht, das alle Baukunſt fordert.
Ihre ganze Wichtigkeit erhält dieſe Grundbedingung freien Baus in der
Decke: „da aus der Ueberſpannung und Ueberdeckung der Räumlichkeit
wie der freien Stützenweiten die Gliederung der Deckung hervorgeht und
wiederum an die Gliederung der Deckung das Schema des Planes, die
Diſpoſition und die realen Abſtands- oder Spannweiten der freiſtehenden
Stützen gebunden ſind und nach ihr geſtimmt werden, ſo kann man ſagen:
der Bauſtyl ſtehe in Hinſicht auf Mechanik“ (nicht blos dieß) „am höch-
ſten, welcher mittelſt einer künſtlichen, Momente erzeugenden Gliederung
der Decke jedes Material ſo weit beſiegt habe, daß er nicht allein die
größeren Raum- oder Stützweiten überſpannen, ſondern dabei auch jed-
wedes Schema der Räumlichkeit überdecken könne und mithin möglich
mache“ (Bötticher a. a. O. Excurs I, S. 2). — Die zweite Bedingung
iſt eine Textur des Materials, welche die der allgemeinen und einzelnen
Aufgabe entſprechende künſtleriſche Bearbeitung der Oberfläche und Aus-
führung des Decorativen zuläßt. Der Ausdruck iſt abſichtlich unbeſtimmt
gehalten; ein Bauwerk fordert ſeiner Bedeutung nach feinere Bearbeitung,
Schleifung, Politur, einem andern ſteht eine rauhere Oberfläche, ſicht-
barer Meißelſchlag beſſer an; ein gewiſſer Grad von Feinheit, Glätte
wird dem ernſt monumentalen Styl immer widerſprechen, dagegen dem
prachtvollen, glänzenden, leichten, ſchlanken günſtiger ſein; der Zufall,
daß gerade ein Material zur Hand iſt, das in dieſer Beziehung die eine
oder andere Behandlungsweiſe bedingt, kann aber auch auf die Stimmung
des Künſtlers tief zurückwirken und ſo auf den Grundcharakter ſeines
Werkes einfließen. Was insbeſondere die Glieder und das Ornament
betrifft, ſo iſt klar, daß das feinere Korn eine reichere Durchbildung, das
gröbere eine breitere Haltung auch nach dieſer Seite mit ſich bringt. —
Die dritte Bedingung faßt mit der vorhergehenden das Moment der
Farbe zuſammen. Die Wichtigkeit dieſes Moments folgt von ſelbſt aus
dem, was über die in den Farben liegende Stimmung in §. 246 ff.
geſagt iſt. Sofern die natürliche Farbe des Materials unzulänglich er-
ſcheint, tritt hier die Frage über die Polychromie ein. Da jedoch, auch
wenn bewieſen ſein ſollte, daß im griechiſchen Bau kein Fleck unbemalt
blieb, dieſes Verfahren nimmermehr allgemeines, bleibendes Geſetz werden
kann, ſo behandeln wir dieſe Frage vorerſt ganz unbefangen ſo, daß wir
überall von der natürlichen Farbenwirkung des Materials ausgehen und
die Farbe nur als eine Nachhilfe betrachten, die da eintritt, wo dieſe
unzulänglich iſt.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/49>, abgerufen am 16.07.2024.
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