Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
der empirische Mensch durch Geräthschaften, Gefäße u. s. w. die Mittel 2. Es ist sehr schwer, die unendliche Formenwelt einzutheilen, von
der empiriſche Menſch durch Geräthſchaften, Gefäße u. ſ. w. die Mittel 2. Es iſt ſehr ſchwer, die unendliche Formenwelt einzutheilen, von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0172" n="332"/> der empiriſche Menſch durch Geräthſchaften, Gefäße u. ſ. w. die Mittel<lb/> ſchafft. Wir nennen dieß Gebiet das der untergeordneten Tektonik. Otfr.<lb/> Müller befaßt unter dem Namen Tektonik ſowohl die Baukunſt im Großen,<lb/> als die Technik der Geräthe und Gefäße; wir folgen ihm, indem wir<lb/> durch den Beiſatz „untergeordnet“ dieſe Geſammt-Benennung auch für die<lb/> Architektonik offen laſſen. Die tiefere äſthetiſche Bedeutung aller ver-<lb/> ſchönernden Kunſt iſt ſchon in §. 545 mit Rückbeziehung auf frühere,<lb/> allgemeine Sätze ausgeſprochen. Niemand rühme ſich des Kunſtſinns,<lb/> der ſich nicht auch für dieſe untergeordneten Zweige, wodurch die Kunſt<lb/> ſich concret mit dem Leben verſchlingt, lebendig intereſſirt; wer das Auge<lb/> im Großen für das Schöne gebildet hat, der geht am Laden des Kunſt-<lb/> tiſchlers, Waffenſchmieds, an der Auslage von Gefäßen u. dergl. nicht<lb/> gleichgiltig vorüber. Das äſthetiſche Geſetz nun für dieſes Gebiet beſtimmt<lb/> der §. dahin, daß das verſchönernde Spiel den zierenden Zuſatz mit der<lb/> außeräſthetiſchen Kernform nicht äußerlich, ſondern organiſch in einer den<lb/> Zweck ſelbſt klar ſymboliſirenden Weiſe vereinigen ſoll. Wenige Beiſpiele<lb/> mögen dieß erläutern. Der thieriſche Fuß an antiken Tiſchen und andern<lb/> Geräthen zeigt ſinnig an, daß das Geräthe beweglich iſt, die Panther-<lb/> tatze deutet ſpezieller die Beſtimmung des Weintiſchs an (Attribut des<lb/> Dionyſos). Am Sturmbock kann der harte, ſpröde, dumpfe Stoß nicht<lb/> beſſer charakteriſirt ſein, als durch den Widderkopf. Der Hahn am Schloſſe<lb/> des Schießgewehrs ſchnappt vor, ſchlägt auf, entzündet das Feuer: das<lb/> Schnappen mag durch eine Fiſchform ſymboliſirt werden, oder mehr als<lb/> pickender Stoß aufgefaßt durch das Bild des Raubvogels, dagegen be-<lb/> zeichnet der Drache zugleich den Entzündungsprozeß; ſo belebt ſich die<lb/> Waffe und es liegt in dem treffenden Spiele des Schmucks dieſelbe Poeſie<lb/> wie in Beilegung perſönlicher Namen, wodurch bei den alten Völkern<lb/> jede Waffe zu einem perſönlichen Weſen wurde, wodurch die Glocke, das<lb/> Schiff noch heute beſeelt vorgeſtellt wird. Dagegen mag durch die Be-<lb/> merkung, daß es ſehr ſchwer iſt, für den Mechanismus des Zündnadel-<lb/> gewehrs eine paſſende ſymboliſche Verzierung zu erfinden, ſogleich auf<lb/> den ſchweren Kampf hingewieſen werden, welchen in der modernen Zeit<lb/> der Kunſtſinn mit der Nacktheit zu beſtehen hat, die der unendliche Fort-<lb/> ſchritt der mechaniſchen Erfindungen mit ſich bringt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Es iſt ſehr ſchwer, die unendliche Formenwelt einzutheilen, von<lb/> der es ſich hier handelt. Die Eintheilung nach Gegenſtänden, an ſich<lb/> ſchon ſchwierig, durchkreuzt ſich mit der Eintheilung nach Gewerken, da<lb/> dieſelben Gegenſtände, aus verſchiedenem Materiale geformt, verſchiedenen<lb/> Zweigen der Technik zufallen. Der §. legt ſeiner Ueberſchrift die Richt-<lb/> ſchnur zu Grunde, daß er von dem Gebiete, das der Baukunſt enger ſich<lb/> anſchließt, zu den Endpuncten fortgeht, wo ſich dieſe Welt geſchmückter<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [332/0172]
der empiriſche Menſch durch Geräthſchaften, Gefäße u. ſ. w. die Mittel
ſchafft. Wir nennen dieß Gebiet das der untergeordneten Tektonik. Otfr.
Müller befaßt unter dem Namen Tektonik ſowohl die Baukunſt im Großen,
als die Technik der Geräthe und Gefäße; wir folgen ihm, indem wir
durch den Beiſatz „untergeordnet“ dieſe Geſammt-Benennung auch für die
Architektonik offen laſſen. Die tiefere äſthetiſche Bedeutung aller ver-
ſchönernden Kunſt iſt ſchon in §. 545 mit Rückbeziehung auf frühere,
allgemeine Sätze ausgeſprochen. Niemand rühme ſich des Kunſtſinns,
der ſich nicht auch für dieſe untergeordneten Zweige, wodurch die Kunſt
ſich concret mit dem Leben verſchlingt, lebendig intereſſirt; wer das Auge
im Großen für das Schöne gebildet hat, der geht am Laden des Kunſt-
tiſchlers, Waffenſchmieds, an der Auslage von Gefäßen u. dergl. nicht
gleichgiltig vorüber. Das äſthetiſche Geſetz nun für dieſes Gebiet beſtimmt
der §. dahin, daß das verſchönernde Spiel den zierenden Zuſatz mit der
außeräſthetiſchen Kernform nicht äußerlich, ſondern organiſch in einer den
Zweck ſelbſt klar ſymboliſirenden Weiſe vereinigen ſoll. Wenige Beiſpiele
mögen dieß erläutern. Der thieriſche Fuß an antiken Tiſchen und andern
Geräthen zeigt ſinnig an, daß das Geräthe beweglich iſt, die Panther-
tatze deutet ſpezieller die Beſtimmung des Weintiſchs an (Attribut des
Dionyſos). Am Sturmbock kann der harte, ſpröde, dumpfe Stoß nicht
beſſer charakteriſirt ſein, als durch den Widderkopf. Der Hahn am Schloſſe
des Schießgewehrs ſchnappt vor, ſchlägt auf, entzündet das Feuer: das
Schnappen mag durch eine Fiſchform ſymboliſirt werden, oder mehr als
pickender Stoß aufgefaßt durch das Bild des Raubvogels, dagegen be-
zeichnet der Drache zugleich den Entzündungsprozeß; ſo belebt ſich die
Waffe und es liegt in dem treffenden Spiele des Schmucks dieſelbe Poeſie
wie in Beilegung perſönlicher Namen, wodurch bei den alten Völkern
jede Waffe zu einem perſönlichen Weſen wurde, wodurch die Glocke, das
Schiff noch heute beſeelt vorgeſtellt wird. Dagegen mag durch die Be-
merkung, daß es ſehr ſchwer iſt, für den Mechanismus des Zündnadel-
gewehrs eine paſſende ſymboliſche Verzierung zu erfinden, ſogleich auf
den ſchweren Kampf hingewieſen werden, welchen in der modernen Zeit
der Kunſtſinn mit der Nacktheit zu beſtehen hat, die der unendliche Fort-
ſchritt der mechaniſchen Erfindungen mit ſich bringt.
2. Es iſt ſehr ſchwer, die unendliche Formenwelt einzutheilen, von
der es ſich hier handelt. Die Eintheilung nach Gegenſtänden, an ſich
ſchon ſchwierig, durchkreuzt ſich mit der Eintheilung nach Gewerken, da
dieſelben Gegenſtände, aus verſchiedenem Materiale geformt, verſchiedenen
Zweigen der Technik zufallen. Der §. legt ſeiner Ueberſchrift die Richt-
ſchnur zu Grunde, daß er von dem Gebiete, das der Baukunſt enger ſich
anſchließt, zu den Endpuncten fortgeht, wo ſich dieſe Welt geſchmückter
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