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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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weitern Grundsatz der Wiederholung in sich, doch so, daß beide zu unter-
scheiden sind. Dieß zeigt nun sogleich der Schmuck des Fensters. Der
Blendbogen, in den die Fenstergruppen des romanischen Styls mit ihren
Trennungssäulchen eingerahmt waren, ist nämlich geöffnet worden und in
sein Leeres zeichnet sich nun das reiche Ornament ein, das man Maaß-
werk nennt. Dasselbe bildet sich aus einer organischen Verästung von
Stäben mit eckiger Vorlage, die theils auf der schrägen Fensterbrüstung
frei, theils aus einem von Hohlkehlen durchschnittenen Bündel an beiden
Seiten als feine Pfostengliederung aufsteigen, während andere Rundstäbe
desselben Bündels zur spitzbogigen Einrahmung des Ganzen fortwachsen.
An den Stellen, wo man einen Kreis oder Bogen blätterartig theilen will,
lösen sich die eckigen Vorlagen der Stäbe oder Sprossen ab, biegen sich in
das Leere herein und schneiden so unter dem Namen der sogenannten Nasen
eine Blattform aus. Diese organische Verästung kann als eine freiere
Wiederholung des Pfeilers und Gewölbes betrachtet werden. Zunächst
nun werden auf diese Weise gewöhnlich zwei Spitzbögen gebildet, es
wiederholt sich durch sie das Fenster im Fenster und diese Wiederholung
wiederholt sich abermals, denn in diesen Spitzbögen sind wieder kleinere,
in diesen oft noch kleinere Spitzbögen; es handelt sich aber nun um die
Füllung des übrigen Raums, d. h. des noch leeren Hauptfeldes über den
größeren secundären Spitzbögen unter dem Spitzbogen des Fensters selbst
und ebenso über den kleineren Spitzbögen, die unter den größeren befaßt
sind. Dazu dienen in der Zeit des noch reinen Styls fünf Grundformen:
der volle Kreis, der Vierpaß und das Vierblatt, der Dreipaß und das
Dreiblatt; diese combiniren sich auf die verschiedenste Weise: die Pässe
nehmen die Blätter, der Kreis die Pässe und die Blätter, die Blätter
wieder Blätter in sich auf; der Kreis theilt sich ohne Vermittlung des
Passes in eine vielblättrige Gestalt; die Blätter sind rund oder spitz oder
rund und durch Nasen gelappt u. s. w. In diesen Bildern tritt nun die
Kreistheilung hervor, wie sie den Krystall in einfacher, die Pflanzenbildung
in mannigfaltiger Weise beherrscht (auch hiezu vergl. Metzger a. a. O.).
In der wechselnden Stellung und Zusammenstellung derselben aber zeigt
sich vornämlich das, was der §. einen mathematischen Schematismus nennt
(vergl. Bötticher a. a. O. S. 23): dasselbe Verhältnißspiel, das wir in
der Brechung und Umstellung des Eckigen haben schalten sehen, tritt hier
in reicherer Weise ein und wendet als eine künstlerische Scholastik das
Dogma der Grundform nach allen Seiten: der Drei- und Vierpaß, das
Drei- und Vierblatt kann sich auf die breite oder spitze Seite setzen, in
das Feld zwischen den Spitzbögen heruntertreten oder auf deren Spitzen
lagern, an den äußersten größten Spitzbogen anlegen oder von ihm ab-
lösen, mehrere dieser Bilder können sich um einen Kreis oder Kreise um

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weitern Grundſatz der Wiederholung in ſich, doch ſo, daß beide zu unter-
ſcheiden ſind. Dieß zeigt nun ſogleich der Schmuck des Fenſters. Der
Blendbogen, in den die Fenſtergruppen des romaniſchen Styls mit ihren
Trennungsſäulchen eingerahmt waren, iſt nämlich geöffnet worden und in
ſein Leeres zeichnet ſich nun das reiche Ornament ein, das man Maaß-
werk nennt. Daſſelbe bildet ſich aus einer organiſchen Veräſtung von
Stäben mit eckiger Vorlage, die theils auf der ſchrägen Fenſterbrüſtung
frei, theils aus einem von Hohlkehlen durchſchnittenen Bündel an beiden
Seiten als feine Pfoſtengliederung aufſteigen, während andere Rundſtäbe
deſſelben Bündels zur ſpitzbogigen Einrahmung des Ganzen fortwachſen.
An den Stellen, wo man einen Kreis oder Bogen blätterartig theilen will,
löſen ſich die eckigen Vorlagen der Stäbe oder Sproſſen ab, biegen ſich in
das Leere herein und ſchneiden ſo unter dem Namen der ſogenannten Naſen
eine Blattform aus. Dieſe organiſche Veräſtung kann als eine freiere
Wiederholung des Pfeilers und Gewölbes betrachtet werden. Zunächſt
nun werden auf dieſe Weiſe gewöhnlich zwei Spitzbögen gebildet, es
wiederholt ſich durch ſie das Fenſter im Fenſter und dieſe Wiederholung
wiederholt ſich abermals, denn in dieſen Spitzbögen ſind wieder kleinere,
in dieſen oft noch kleinere Spitzbögen; es handelt ſich aber nun um die
Füllung des übrigen Raums, d. h. des noch leeren Hauptfeldes über den
größeren ſecundären Spitzbögen unter dem Spitzbogen des Fenſters ſelbſt
und ebenſo über den kleineren Spitzbögen, die unter den größeren befaßt
ſind. Dazu dienen in der Zeit des noch reinen Styls fünf Grundformen:
der volle Kreis, der Vierpaß und das Vierblatt, der Dreipaß und das
Dreiblatt; dieſe combiniren ſich auf die verſchiedenſte Weiſe: die Päſſe
nehmen die Blätter, der Kreis die Päſſe und die Blätter, die Blätter
wieder Blätter in ſich auf; der Kreis theilt ſich ohne Vermittlung des
Paſſes in eine vielblättrige Geſtalt; die Blätter ſind rund oder ſpitz oder
rund und durch Naſen gelappt u. ſ. w. In dieſen Bildern tritt nun die
Kreistheilung hervor, wie ſie den Kryſtall in einfacher, die Pflanzenbildung
in mannigfaltiger Weiſe beherrſcht (auch hiezu vergl. Metzger a. a. O.).
In der wechſelnden Stellung und Zuſammenſtellung derſelben aber zeigt
ſich vornämlich das, was der §. einen mathematiſchen Schematiſmus nennt
(vergl. Bötticher a. a. O. S. 23): daſſelbe Verhältnißſpiel, das wir in
der Brechung und Umſtellung des Eckigen haben ſchalten ſehen, tritt hier
in reicherer Weiſe ein und wendet als eine künſtleriſche Scholaſtik das
Dogma der Grundform nach allen Seiten: der Drei- und Vierpaß, das
Drei- und Vierblatt kann ſich auf die breite oder ſpitze Seite ſetzen, in
das Feld zwiſchen den Spitzbögen heruntertreten oder auf deren Spitzen
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löſen, mehrere dieſer Bilder können ſich um einen Kreis oder Kreiſe um

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[319/0159] weitern Grundſatz der Wiederholung in ſich, doch ſo, daß beide zu unter- ſcheiden ſind. Dieß zeigt nun ſogleich der Schmuck des Fenſters. Der Blendbogen, in den die Fenſtergruppen des romaniſchen Styls mit ihren Trennungsſäulchen eingerahmt waren, iſt nämlich geöffnet worden und in ſein Leeres zeichnet ſich nun das reiche Ornament ein, das man Maaß- werk nennt. Daſſelbe bildet ſich aus einer organiſchen Veräſtung von Stäben mit eckiger Vorlage, die theils auf der ſchrägen Fenſterbrüſtung frei, theils aus einem von Hohlkehlen durchſchnittenen Bündel an beiden Seiten als feine Pfoſtengliederung aufſteigen, während andere Rundſtäbe deſſelben Bündels zur ſpitzbogigen Einrahmung des Ganzen fortwachſen. An den Stellen, wo man einen Kreis oder Bogen blätterartig theilen will, löſen ſich die eckigen Vorlagen der Stäbe oder Sproſſen ab, biegen ſich in das Leere herein und ſchneiden ſo unter dem Namen der ſogenannten Naſen eine Blattform aus. Dieſe organiſche Veräſtung kann als eine freiere Wiederholung des Pfeilers und Gewölbes betrachtet werden. Zunächſt nun werden auf dieſe Weiſe gewöhnlich zwei Spitzbögen gebildet, es wiederholt ſich durch ſie das Fenſter im Fenſter und dieſe Wiederholung wiederholt ſich abermals, denn in dieſen Spitzbögen ſind wieder kleinere, in dieſen oft noch kleinere Spitzbögen; es handelt ſich aber nun um die Füllung des übrigen Raums, d. h. des noch leeren Hauptfeldes über den größeren ſecundären Spitzbögen unter dem Spitzbogen des Fenſters ſelbſt und ebenſo über den kleineren Spitzbögen, die unter den größeren befaßt ſind. Dazu dienen in der Zeit des noch reinen Styls fünf Grundformen: der volle Kreis, der Vierpaß und das Vierblatt, der Dreipaß und das Dreiblatt; dieſe combiniren ſich auf die verſchiedenſte Weiſe: die Päſſe nehmen die Blätter, der Kreis die Päſſe und die Blätter, die Blätter wieder Blätter in ſich auf; der Kreis theilt ſich ohne Vermittlung des Paſſes in eine vielblättrige Geſtalt; die Blätter ſind rund oder ſpitz oder rund und durch Naſen gelappt u. ſ. w. In dieſen Bildern tritt nun die Kreistheilung hervor, wie ſie den Kryſtall in einfacher, die Pflanzenbildung in mannigfaltiger Weiſe beherrſcht (auch hiezu vergl. Metzger a. a. O.). In der wechſelnden Stellung und Zuſammenſtellung derſelben aber zeigt ſich vornämlich das, was der §. einen mathematiſchen Schematiſmus nennt (vergl. Bötticher a. a. O. S. 23): daſſelbe Verhältnißſpiel, das wir in der Brechung und Umſtellung des Eckigen haben ſchalten ſehen, tritt hier in reicherer Weiſe ein und wendet als eine künſtleriſche Scholaſtik das Dogma der Grundform nach allen Seiten: der Drei- und Vierpaß, das Drei- und Vierblatt kann ſich auf die breite oder ſpitze Seite ſetzen, in das Feld zwiſchen den Spitzbögen heruntertreten oder auf deren Spitzen lagern, an den äußerſten größten Spitzbogen anlegen oder von ihm ab- löſen, mehrere dieſer Bilder können ſich um einen Kreis oder Kreiſe um 21*

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/159>, abgerufen am 24.11.2024.