zum Ausdrucke der Mannigfaltigkeit getheiltes Rundes mit dem Viereck sich verbindet, einförmig, als unterschiedslose Einheit, und bewährt sich also, was schon zu §. 565 von ihm gesagt ist. Es erscheint hiemit wieder eine einseitige Richtung, welche in der weiteren Geschichte sich mit ihren Gegen- sätzen versöhnen soll; eine Einseitigkeit, die dießmal allerdings nicht in einer unreifen, sondern einer reifen Kunst auftritt, dafür aber auch selbst in dieser vereinzelt (außer dem Pantheon in Vesta-Tempeln) und in andern Formen vermittelt (eben im Kreuzgewölbe und in jener Gurtbogen- Kuppel), nur noch nicht in wahrhaft concreter Durchbildung, noch nicht so, daß die vermitteltere Form weiterhin angewandt wird und sich als Styl festsetzt. Da nun aber bei den Römern die Gliederung des Runden noch nicht wahrhaft entwickelt ist, so dürfen wir gerade in der einfachen kuppelbedeckten Rotunde ein treues Bild der weltgeschichtlichen Bedeutung dieses Volks suchen, den Ausdruck der übergreifenden Weltmacht, die sich mit demselben Geiste der Klugheit und Kraft über die Völker her- spannt, mit welchem sie in der technischen Praxis ein so wichtiges Gesetz entdeckt. Wir haben dieß schon zu §. 557, 2. beispielsweise angedeutet; zu dem, was zu §. 564, 2. über die runde Linie gesagt ist, verhält sich diese Auffassung ungesucht als nähere, geschichtliche Anwendung. Es fehlt aber dem römischen Gewölbebau noch an einem andern wesentlichen Mo- mente. Die freistehende Stütze nämlich erhält in ihrer Verbindung mit dem Gewölbe eine neue Aufgabe; sie soll nicht nur dem senkrechten Drucke, sondern auch dem Seitenschube widerstreben. Diese neue Function fordert statt der Säule den Pfeiler. Der Pfeiler aber soll diese structive Leistung in einer neuen Kunstform aussprechen und es leuchtet ein, daß eine neue, schöne Form der Vermittlung entstehen wird, wenn diese gegliederte Ge- stalt des Pfeilers sich zugleich mit der concreten Durchgliederung des Ge- wölbs, deren Rudiment in jenen Gurtbögen auftritt, verbindet. Auf diesem Puncte aber versagt den Römern die Erfindungskraft. Sie wissen den Pfeiler nicht zu gliedern; wo sie das Gewölbe nicht auf die Wand setzen, belassen sie ihn als rohes Mauerstück und da irgend eine Kunstform doch hinzutreten soll, so stellen sie die ganze Säule, als mittragend an den Pfeilern im Kreuzgewölbe, als ganz unthätig vor den Arkadenbogen. Hier tritt denn über ganzen oder Halbsäulen zugleich ein Gebälke oberhalb des Bogens hervor und so verbindet sich der Architrav- und Säulenbau als reine, nicht fungirende Blend-Architektur mit dem Gewölbebau; die wirk- liche Form bleibt noch, die Kunstform ist bloßer Schein, man "schämt sich" der ersteren (Hübsch a. a. O. S. 48). Das Organische, das sich entwickeln soll, wird allerdings eine Verbindung von Säule und Pfeiler sein, aber keine äußerliche, todte, sondern eine innige, bewegte, lebendige. Die unorganische Vermischung von zwei grundverschiedenen Stylen tritt
zum Ausdrucke der Mannigfaltigkeit getheiltes Rundes mit dem Viereck ſich verbindet, einförmig, als unterſchiedsloſe Einheit, und bewährt ſich alſo, was ſchon zu §. 565 von ihm geſagt iſt. Es erſcheint hiemit wieder eine einſeitige Richtung, welche in der weiteren Geſchichte ſich mit ihren Gegen- ſätzen verſöhnen ſoll; eine Einſeitigkeit, die dießmal allerdings nicht in einer unreifen, ſondern einer reifen Kunſt auftritt, dafür aber auch ſelbſt in dieſer vereinzelt (außer dem Pantheon in Veſta-Tempeln) und in andern Formen vermittelt (eben im Kreuzgewölbe und in jener Gurtbogen- Kuppel), nur noch nicht in wahrhaft concreter Durchbildung, noch nicht ſo, daß die vermitteltere Form weiterhin angewandt wird und ſich als Styl feſtſetzt. Da nun aber bei den Römern die Gliederung des Runden noch nicht wahrhaft entwickelt iſt, ſo dürfen wir gerade in der einfachen kuppelbedeckten Rotunde ein treues Bild der weltgeſchichtlichen Bedeutung dieſes Volks ſuchen, den Ausdruck der übergreifenden Weltmacht, die ſich mit demſelben Geiſte der Klugheit und Kraft über die Völker her- ſpannt, mit welchem ſie in der techniſchen Praxis ein ſo wichtiges Geſetz entdeckt. Wir haben dieß ſchon zu §. 557, 2. beiſpielsweiſe angedeutet; zu dem, was zu §. 564, 2. über die runde Linie geſagt iſt, verhält ſich dieſe Auffaſſung ungeſucht als nähere, geſchichtliche Anwendung. Es fehlt aber dem römiſchen Gewölbebau noch an einem andern weſentlichen Mo- mente. Die freiſtehende Stütze nämlich erhält in ihrer Verbindung mit dem Gewölbe eine neue Aufgabe; ſie ſoll nicht nur dem ſenkrechten Drucke, ſondern auch dem Seitenſchube widerſtreben. Dieſe neue Function fordert ſtatt der Säule den Pfeiler. Der Pfeiler aber ſoll dieſe ſtructive Leiſtung in einer neuen Kunſtform ausſprechen und es leuchtet ein, daß eine neue, ſchöne Form der Vermittlung entſtehen wird, wenn dieſe gegliederte Ge- ſtalt des Pfeilers ſich zugleich mit der concreten Durchgliederung des Ge- wölbs, deren Rudiment in jenen Gurtbögen auftritt, verbindet. Auf dieſem Puncte aber verſagt den Römern die Erfindungskraft. Sie wiſſen den Pfeiler nicht zu gliedern; wo ſie das Gewölbe nicht auf die Wand ſetzen, belaſſen ſie ihn als rohes Mauerſtück und da irgend eine Kunſtform doch hinzutreten ſoll, ſo ſtellen ſie die ganze Säule, als mittragend an den Pfeilern im Kreuzgewölbe, als ganz unthätig vor den Arkadenbogen. Hier tritt denn über ganzen oder Halbſäulen zugleich ein Gebälke oberhalb des Bogens hervor und ſo verbindet ſich der Architrav- und Säulenbau als reine, nicht fungirende Blend-Architektur mit dem Gewölbebau; die wirk- liche Form bleibt noch, die Kunſtform iſt bloßer Schein, man „ſchämt ſich“ der erſteren (Hübſch a. a. O. S. 48). Das Organiſche, das ſich entwickeln ſoll, wird allerdings eine Verbindung von Säule und Pfeiler ſein, aber keine äußerliche, todte, ſondern eine innige, bewegte, lebendige. Die unorganiſche Vermiſchung von zwei grundverſchiedenen Stylen tritt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0136"n="296"/>
zum Ausdrucke der Mannigfaltigkeit getheiltes Rundes mit dem Viereck ſich<lb/>
verbindet, einförmig, als unterſchiedsloſe Einheit, und bewährt ſich alſo,<lb/>
was ſchon zu §. 565 von ihm geſagt iſt. Es erſcheint hiemit wieder eine<lb/>
einſeitige Richtung, welche in der weiteren Geſchichte ſich mit ihren Gegen-<lb/>ſätzen verſöhnen ſoll; eine Einſeitigkeit, die dießmal allerdings nicht in<lb/>
einer unreifen, ſondern einer reifen Kunſt auftritt, dafür aber auch ſelbſt<lb/>
in dieſer vereinzelt (außer dem Pantheon in Veſta-Tempeln) und in<lb/>
andern Formen vermittelt (eben im Kreuzgewölbe und in jener Gurtbogen-<lb/>
Kuppel), nur noch nicht in wahrhaft concreter Durchbildung, noch nicht<lb/>ſo, daß die vermitteltere Form weiterhin angewandt wird und ſich als<lb/>
Styl feſtſetzt. Da nun aber bei den Römern die Gliederung des Runden<lb/>
noch nicht wahrhaft entwickelt iſt, ſo dürfen wir gerade in der einfachen<lb/>
kuppelbedeckten Rotunde ein treues Bild der weltgeſchichtlichen Bedeutung<lb/>
dieſes Volks ſuchen, den Ausdruck der übergreifenden Weltmacht, die<lb/>ſich mit demſelben Geiſte der Klugheit und Kraft über die Völker her-<lb/>ſpannt, mit welchem ſie in der techniſchen Praxis ein ſo wichtiges Geſetz<lb/>
entdeckt. Wir haben dieß ſchon zu §. 557, <hirendition="#sub">2</hi>. beiſpielsweiſe angedeutet;<lb/>
zu dem, was zu §. 564, <hirendition="#sub">2</hi>. über die runde Linie geſagt iſt, verhält ſich<lb/>
dieſe Auffaſſung ungeſucht als nähere, geſchichtliche Anwendung. Es fehlt<lb/>
aber dem römiſchen Gewölbebau noch an einem andern weſentlichen Mo-<lb/>
mente. Die freiſtehende Stütze nämlich erhält in ihrer Verbindung mit<lb/>
dem Gewölbe eine neue Aufgabe; ſie ſoll nicht nur dem ſenkrechten Drucke,<lb/>ſondern auch dem Seitenſchube widerſtreben. Dieſe neue Function fordert<lb/>ſtatt der Säule den Pfeiler. Der Pfeiler aber ſoll dieſe ſtructive Leiſtung<lb/>
in einer neuen Kunſtform ausſprechen und es leuchtet ein, daß eine neue,<lb/>ſchöne Form der Vermittlung entſtehen wird, wenn dieſe gegliederte Ge-<lb/>ſtalt des Pfeilers ſich zugleich mit der concreten Durchgliederung des Ge-<lb/>
wölbs, deren Rudiment in jenen Gurtbögen auftritt, verbindet. Auf dieſem<lb/>
Puncte aber verſagt den Römern die Erfindungskraft. Sie wiſſen den<lb/>
Pfeiler nicht zu gliedern; wo ſie das Gewölbe nicht auf die Wand ſetzen,<lb/>
belaſſen ſie ihn als rohes Mauerſtück und da irgend eine Kunſtform doch<lb/>
hinzutreten ſoll, ſo ſtellen ſie die ganze Säule, als mittragend an den<lb/>
Pfeilern im Kreuzgewölbe, als ganz unthätig vor den Arkadenbogen. Hier<lb/>
tritt denn über ganzen oder Halbſäulen zugleich ein Gebälke oberhalb des<lb/>
Bogens hervor und ſo verbindet ſich der Architrav- und Säulenbau als<lb/>
reine, nicht fungirende Blend-Architektur mit dem Gewölbebau; die wirk-<lb/>
liche Form bleibt noch, die Kunſtform iſt bloßer Schein, man „ſchämt<lb/>ſich“ der erſteren (Hübſch a. a. O. S. 48). Das Organiſche, das ſich<lb/>
entwickeln ſoll, wird allerdings eine Verbindung von Säule und Pfeiler<lb/>ſein, aber keine äußerliche, todte, ſondern eine innige, bewegte, lebendige.<lb/>
Die unorganiſche Vermiſchung von zwei grundverſchiedenen Stylen tritt<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[296/0136]
zum Ausdrucke der Mannigfaltigkeit getheiltes Rundes mit dem Viereck ſich
verbindet, einförmig, als unterſchiedsloſe Einheit, und bewährt ſich alſo,
was ſchon zu §. 565 von ihm geſagt iſt. Es erſcheint hiemit wieder eine
einſeitige Richtung, welche in der weiteren Geſchichte ſich mit ihren Gegen-
ſätzen verſöhnen ſoll; eine Einſeitigkeit, die dießmal allerdings nicht in
einer unreifen, ſondern einer reifen Kunſt auftritt, dafür aber auch ſelbſt
in dieſer vereinzelt (außer dem Pantheon in Veſta-Tempeln) und in
andern Formen vermittelt (eben im Kreuzgewölbe und in jener Gurtbogen-
Kuppel), nur noch nicht in wahrhaft concreter Durchbildung, noch nicht
ſo, daß die vermitteltere Form weiterhin angewandt wird und ſich als
Styl feſtſetzt. Da nun aber bei den Römern die Gliederung des Runden
noch nicht wahrhaft entwickelt iſt, ſo dürfen wir gerade in der einfachen
kuppelbedeckten Rotunde ein treues Bild der weltgeſchichtlichen Bedeutung
dieſes Volks ſuchen, den Ausdruck der übergreifenden Weltmacht, die
ſich mit demſelben Geiſte der Klugheit und Kraft über die Völker her-
ſpannt, mit welchem ſie in der techniſchen Praxis ein ſo wichtiges Geſetz
entdeckt. Wir haben dieß ſchon zu §. 557, 2. beiſpielsweiſe angedeutet;
zu dem, was zu §. 564, 2. über die runde Linie geſagt iſt, verhält ſich
dieſe Auffaſſung ungeſucht als nähere, geſchichtliche Anwendung. Es fehlt
aber dem römiſchen Gewölbebau noch an einem andern weſentlichen Mo-
mente. Die freiſtehende Stütze nämlich erhält in ihrer Verbindung mit
dem Gewölbe eine neue Aufgabe; ſie ſoll nicht nur dem ſenkrechten Drucke,
ſondern auch dem Seitenſchube widerſtreben. Dieſe neue Function fordert
ſtatt der Säule den Pfeiler. Der Pfeiler aber ſoll dieſe ſtructive Leiſtung
in einer neuen Kunſtform ausſprechen und es leuchtet ein, daß eine neue,
ſchöne Form der Vermittlung entſtehen wird, wenn dieſe gegliederte Ge-
ſtalt des Pfeilers ſich zugleich mit der concreten Durchgliederung des Ge-
wölbs, deren Rudiment in jenen Gurtbögen auftritt, verbindet. Auf dieſem
Puncte aber verſagt den Römern die Erfindungskraft. Sie wiſſen den
Pfeiler nicht zu gliedern; wo ſie das Gewölbe nicht auf die Wand ſetzen,
belaſſen ſie ihn als rohes Mauerſtück und da irgend eine Kunſtform doch
hinzutreten ſoll, ſo ſtellen ſie die ganze Säule, als mittragend an den
Pfeilern im Kreuzgewölbe, als ganz unthätig vor den Arkadenbogen. Hier
tritt denn über ganzen oder Halbſäulen zugleich ein Gebälke oberhalb des
Bogens hervor und ſo verbindet ſich der Architrav- und Säulenbau als
reine, nicht fungirende Blend-Architektur mit dem Gewölbebau; die wirk-
liche Form bleibt noch, die Kunſtform iſt bloßer Schein, man „ſchämt
ſich“ der erſteren (Hübſch a. a. O. S. 48). Das Organiſche, das ſich
entwickeln ſoll, wird allerdings eine Verbindung von Säule und Pfeiler
ſein, aber keine äußerliche, todte, ſondern eine innige, bewegte, lebendige.
Die unorganiſche Vermiſchung von zwei grundverſchiedenen Stylen tritt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/136>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.