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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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(vgl. Hettner Vorsch. d. bild. Kunst d. Alten S. 75 ff.), welche auf den
Seiten stark ausladend, da sie an dem dünneren Schafte keinen Stütz-
punct hat, in dieser Weise der Umbildung eines orientalischen Motivs so
behandelt wird, daß sie vom Drucke des Architravs nicht blos eine Aus-
schwellung zu erleiden, sondern sich schneckenförmig in sich einzurollen ge-
nöthigt scheint; schlank aufgeschossen fährt die dünn gedeckte Säule bei
dichtem Zusammenstoße gleichsam zurück und windet sich an den Seiten
in sich selbst ein. Die noch vorhandene Platte, die dennoch als Vermitt-
lung mit dem Balken nicht fehlen darf, erscheint nun als ein abgeblätter-
tes Stück dieses Körpers um so viel schmäler und daher widerstandsloser,
so daß ihr die Last im Profil noch eine Wellenform aufdrückt. Diese
Wirkungen muß das Gebälke ausüben, obwohl es der schlankeren Stützen-
form entsprechend nothwendig leichter ist, als das dorische. Der Haupt-
balken (Architrav) theilt sich in drei Platten oder Streifen, die Triglyphen
fallen mit jenem gebundenen dorischen Verhältniß weg, der glatte Fries
wird durch Ornament, Bildwerk geschmückt, das mehrfach abgestufte, leich-
ter gehaltene Kranzgesimse beginnt von unten mit den (persischen?) Zahn-
schnitten. -- Der reiche korinthische Styl nun erscheint in Base, Schaft,
Weite der Säulenstellung, Gebälke (nur statt der Zahnschnitte Kragsteine,
mutuli) dem jonischen gleich; das Kapitell aber ist offenbar zunächst ein
Rückgang von der dorischen Umbildung des ägyptischen Kelchkapitells in
einen Wulst zu der ursprünglichen ägyptischen Form. Dieses Kapitell
war in Aegypten gewöhnlich ein weit ausladender, oft aber auch über-
höhter schlanker, an die Palme erinnernder Krater; zur letzteren Form
kehrt der korinthische Styl zurück, umlegt aber den Krater statt mit pal-
menartigen, mit Akanthusblättern, die im Geiste der Durchbildung des
Einzelnen, welche statt des blos Aufgemalten nun ein noch volleres kör-
perliches Heraustreten verlangt, als schon der jonische Styl, plastisch
profilirt sind, und läßt unter der wieder etwas stärkeren, an den vier
Ecken ausgebogenen Platte vier Rollen heraustreten, welche zwischen den
jonischen (nun polsterlosen) Voluten und Pflanzenranken ungewiß spielend
in der Mitte schweben. Das Prachtvollere wendet sich zu orientalischem
Glanze zurück. Sehr interessant stellt sich nun eine doppelte Spur orien-
talischen Einflusses heraus: die jonische Säule weist nach Assyrien und
Persien, die dorische ist rein griechische Umgestaltung des ägyptischen Wellen-
Capitells, die korinthische erscheint als bestimmtere Aufnahme einer ägyp-
tischen Form.


(vgl. Hettner Vorſch. d. bild. Kunſt d. Alten S. 75 ff.), welche auf den
Seiten ſtark ausladend, da ſie an dem dünneren Schafte keinen Stütz-
punct hat, in dieſer Weiſe der Umbildung eines orientaliſchen Motivs ſo
behandelt wird, daß ſie vom Drucke des Architravs nicht blos eine Aus-
ſchwellung zu erleiden, ſondern ſich ſchneckenförmig in ſich einzurollen ge-
nöthigt ſcheint; ſchlank aufgeſchoſſen fährt die dünn gedeckte Säule bei
dichtem Zuſammenſtoße gleichſam zurück und windet ſich an den Seiten
in ſich ſelbſt ein. Die noch vorhandene Platte, die dennoch als Vermitt-
lung mit dem Balken nicht fehlen darf, erſcheint nun als ein abgeblätter-
tes Stück dieſes Körpers um ſo viel ſchmäler und daher widerſtandsloſer,
ſo daß ihr die Laſt im Profil noch eine Wellenform aufdrückt. Dieſe
Wirkungen muß das Gebälke ausüben, obwohl es der ſchlankeren Stützen-
form entſprechend nothwendig leichter iſt, als das doriſche. Der Haupt-
balken (Architrav) theilt ſich in drei Platten oder Streifen, die Triglyphen
fallen mit jenem gebundenen doriſchen Verhältniß weg, der glatte Fries
wird durch Ornament, Bildwerk geſchmückt, das mehrfach abgeſtufte, leich-
ter gehaltene Kranzgeſimſe beginnt von unten mit den (perſiſchen?) Zahn-
ſchnitten. — Der reiche korinthiſche Styl nun erſcheint in Baſe, Schaft,
Weite der Säulenſtellung, Gebälke (nur ſtatt der Zahnſchnitte Kragſteine,
mutuli) dem joniſchen gleich; das Kapitell aber iſt offenbar zunächſt ein
Rückgang von der doriſchen Umbildung des ägyptiſchen Kelchkapitells in
einen Wulſt zu der urſprünglichen ägyptiſchen Form. Dieſes Kapitell
war in Aegypten gewöhnlich ein weit ausladender, oft aber auch über-
höhter ſchlanker, an die Palme erinnernder Krater; zur letzteren Form
kehrt der korinthiſche Styl zurück, umlegt aber den Krater ſtatt mit pal-
menartigen, mit Akanthusblättern, die im Geiſte der Durchbildung des
Einzelnen, welche ſtatt des blos Aufgemalten nun ein noch volleres kör-
perliches Heraustreten verlangt, als ſchon der joniſche Styl, plaſtiſch
profilirt ſind, und läßt unter der wieder etwas ſtärkeren, an den vier
Ecken ausgebogenen Platte vier Rollen heraustreten, welche zwiſchen den
joniſchen (nun polſterloſen) Voluten und Pflanzenranken ungewiß ſpielend
in der Mitte ſchweben. Das Prachtvollere wendet ſich zu orientaliſchem
Glanze zurück. Sehr intereſſant ſtellt ſich nun eine doppelte Spur orien-
taliſchen Einfluſſes heraus: die joniſche Säule weist nach Aſſyrien und
Perſien, die doriſche iſt rein griechiſche Umgeſtaltung des ägyptiſchen Wellen-
Capitells, die korinthiſche erſcheint als beſtimmtere Aufnahme einer ägyp-
tiſchen Form.


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[293/0133] (vgl. Hettner Vorſch. d. bild. Kunſt d. Alten S. 75 ff.), welche auf den Seiten ſtark ausladend, da ſie an dem dünneren Schafte keinen Stütz- punct hat, in dieſer Weiſe der Umbildung eines orientaliſchen Motivs ſo behandelt wird, daß ſie vom Drucke des Architravs nicht blos eine Aus- ſchwellung zu erleiden, ſondern ſich ſchneckenförmig in ſich einzurollen ge- nöthigt ſcheint; ſchlank aufgeſchoſſen fährt die dünn gedeckte Säule bei dichtem Zuſammenſtoße gleichſam zurück und windet ſich an den Seiten in ſich ſelbſt ein. Die noch vorhandene Platte, die dennoch als Vermitt- lung mit dem Balken nicht fehlen darf, erſcheint nun als ein abgeblätter- tes Stück dieſes Körpers um ſo viel ſchmäler und daher widerſtandsloſer, ſo daß ihr die Laſt im Profil noch eine Wellenform aufdrückt. Dieſe Wirkungen muß das Gebälke ausüben, obwohl es der ſchlankeren Stützen- form entſprechend nothwendig leichter iſt, als das doriſche. Der Haupt- balken (Architrav) theilt ſich in drei Platten oder Streifen, die Triglyphen fallen mit jenem gebundenen doriſchen Verhältniß weg, der glatte Fries wird durch Ornament, Bildwerk geſchmückt, das mehrfach abgeſtufte, leich- ter gehaltene Kranzgeſimſe beginnt von unten mit den (perſiſchen?) Zahn- ſchnitten. — Der reiche korinthiſche Styl nun erſcheint in Baſe, Schaft, Weite der Säulenſtellung, Gebälke (nur ſtatt der Zahnſchnitte Kragſteine, mutuli) dem joniſchen gleich; das Kapitell aber iſt offenbar zunächſt ein Rückgang von der doriſchen Umbildung des ägyptiſchen Kelchkapitells in einen Wulſt zu der urſprünglichen ägyptiſchen Form. Dieſes Kapitell war in Aegypten gewöhnlich ein weit ausladender, oft aber auch über- höhter ſchlanker, an die Palme erinnernder Krater; zur letzteren Form kehrt der korinthiſche Styl zurück, umlegt aber den Krater ſtatt mit pal- menartigen, mit Akanthusblättern, die im Geiſte der Durchbildung des Einzelnen, welche ſtatt des blos Aufgemalten nun ein noch volleres kör- perliches Heraustreten verlangt, als ſchon der joniſche Styl, plaſtiſch profilirt ſind, und läßt unter der wieder etwas ſtärkeren, an den vier Ecken ausgebogenen Platte vier Rollen heraustreten, welche zwiſchen den joniſchen (nun polſterloſen) Voluten und Pflanzenranken ungewiß ſpielend in der Mitte ſchweben. Das Prachtvollere wendet ſich zu orientaliſchem Glanze zurück. Sehr intereſſant ſtellt ſich nun eine doppelte Spur orien- taliſchen Einfluſſes heraus: die joniſche Säule weist nach Aſſyrien und Perſien, die doriſche iſt rein griechiſche Umgeſtaltung des ägyptiſchen Wellen- Capitells, die korinthiſche erſcheint als beſtimmtere Aufnahme einer ägyp- tiſchen Form.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/133>, abgerufen am 24.11.2024.