die seiner pyramidalen Gestalt zu Grunde lag und in der eigentlichen Pyramide zu Tage tritt, wird in dem Sinne nicht verwendet, daß sie zu der abschließenden Giebelform des Daches sich umbildete. Durch die flache Deckung (wo es sich überhaupt von gedeckten Theilen handelt), so- wie durch die ausgedehnte Reihe der Vorräume, von welcher zu 2. die Rede sein wird, ist nun dieser Bau zu sehr Langbau; also auch hier wieder einseitiges Hervortreten einer der in §. 565 aufgeführten Rich- tungen. Dagegen hat sich ein Rest des Pyramidalen in der schrägen Neigung der Thore und der Seitenflächen aller Mauern erhalten; diese Richtung hat sich von der geraden senkrechten noch nicht getrennt, um sich über ihren wagrechten Abschluß als höhere Zusammenfassung zu legen, sondern ist noch unreif mit ihr verwachsen, denn die Mauer ist nach der innern Seite senkrecht. Wo nun der Mauer die freistehende Stütze vor- gestellt ist, um einen Säulen-Umgang zu bilden, oder wo sie die Decke eines auch nach oben ganz geschlossenen Raumes trägt, ist dagegen ein weiterer Schritt an die Schwelle organisch reifer Baukunst gethan: die drückende Last, die in Indien den Pfeiler nicht wahrhaft zur Säule werden läßt, das Auffahren in die Höhe, das in Persien auch der tra- genden Säule zu schlanke Verhältnisse läßt, ist verschwunden, Gleichge- wicht von Kraft und Last bis nahe zur Vollkommenheit entwickelt. Die ägyptische Säule sondert sich klar in die durch die Natur der Sache be- dingte Dreiheit der Gliederung; nur erscheinen an jedem Theile derselben Eigenheiten, die auf die Unreife zurückweisen: die runde Form der Fuß- Platte ist nicht das richtige Glied für die Vermittlung mit der Sohle des Baus, der verjüngte, in angemessenem Höhenmaaß aufsteigende Schaft hat häufig über dem Plinthus eine seiner Bedeutung widersprechende Ein- ziehung, ist theils convex, theils concav, aber seicht cannelirt, hat neben senkrecht laufenden Pflanzen-Ornamenten auch horizontale bandartige oder hieroglyphisches Bildwerk darstellende, die seiner Bewegung widersprechen. Neben der als offener Lotoskelch oder Palmblätter-Krater motivirten Welle des Kapitells, die sich über einer Anzahl von Ringen erhebt, tritt eine nach unten statt nach oben ausgeschwellte, also den Druck der Last am falschen Puncte darstellende Knospenform auf, auch Kapitelle mit Isis- Masken sind nicht selten; statt der Platte erhebt sich über dem Kapitell ein Würfel, zu schmal, um eine richtige Vermittlung mit dem wagrecht überliegenden Balken darzustellen; dieser kommt so hoch zu liegen, daß die quer übergelegten Deckenbalken nicht über ihn treten können, sondern ihre Köpfe hinter ihm tiefer auf dem Würfel aufsitzen: damit fällt der schöne mittlere Theil weg, den wir im dreigliedrigen griechischen Gebälke finden werden, und es erhebt sich über dem mit einem Rundstabe ge- säumten Hauptbalken sogleich das Kranzgesimse, das sich, da es nichts
die ſeiner pyramidalen Geſtalt zu Grunde lag und in der eigentlichen Pyramide zu Tage tritt, wird in dem Sinne nicht verwendet, daß ſie zu der abſchließenden Giebelform des Daches ſich umbildete. Durch die flache Deckung (wo es ſich überhaupt von gedeckten Theilen handelt), ſo- wie durch die ausgedehnte Reihe der Vorräume, von welcher zu 2. die Rede ſein wird, iſt nun dieſer Bau zu ſehr Langbau; alſo auch hier wieder einſeitiges Hervortreten einer der in §. 565 aufgeführten Rich- tungen. Dagegen hat ſich ein Reſt des Pyramidalen in der ſchrägen Neigung der Thore und der Seitenflächen aller Mauern erhalten; dieſe Richtung hat ſich von der geraden ſenkrechten noch nicht getrennt, um ſich über ihren wagrechten Abſchluß als höhere Zuſammenfaſſung zu legen, ſondern iſt noch unreif mit ihr verwachſen, denn die Mauer iſt nach der innern Seite ſenkrecht. Wo nun der Mauer die freiſtehende Stütze vor- geſtellt iſt, um einen Säulen-Umgang zu bilden, oder wo ſie die Decke eines auch nach oben ganz geſchloſſenen Raumes trägt, iſt dagegen ein weiterer Schritt an die Schwelle organiſch reifer Baukunſt gethan: die drückende Laſt, die in Indien den Pfeiler nicht wahrhaft zur Säule werden läßt, das Auffahren in die Höhe, das in Perſien auch der tra- genden Säule zu ſchlanke Verhältniſſe läßt, iſt verſchwunden, Gleichge- wicht von Kraft und Laſt bis nahe zur Vollkommenheit entwickelt. Die ägyptiſche Säule ſondert ſich klar in die durch die Natur der Sache be- dingte Dreiheit der Gliederung; nur erſcheinen an jedem Theile derſelben Eigenheiten, die auf die Unreife zurückweiſen: die runde Form der Fuß- Platte iſt nicht das richtige Glied für die Vermittlung mit der Sohle des Baus, der verjüngte, in angemeſſenem Höhenmaaß aufſteigende Schaft hat häufig über dem Plinthus eine ſeiner Bedeutung widerſprechende Ein- ziehung, iſt theils convex, theils concav, aber ſeicht cannelirt, hat neben ſenkrecht laufenden Pflanzen-Ornamenten auch horizontale bandartige oder hieroglyphiſches Bildwerk darſtellende, die ſeiner Bewegung widerſprechen. Neben der als offener Lotoskelch oder Palmblätter-Krater motivirten Welle des Kapitells, die ſich über einer Anzahl von Ringen erhebt, tritt eine nach unten ſtatt nach oben ausgeſchwellte, alſo den Druck der Laſt am falſchen Puncte darſtellende Knoſpenform auf, auch Kapitelle mit Iſis- Masken ſind nicht ſelten; ſtatt der Platte erhebt ſich über dem Kapitell ein Würfel, zu ſchmal, um eine richtige Vermittlung mit dem wagrecht überliegenden Balken darzuſtellen; dieſer kommt ſo hoch zu liegen, daß die quer übergelegten Deckenbalken nicht über ihn treten können, ſondern ihre Köpfe hinter ihm tiefer auf dem Würfel aufſitzen: damit fällt der ſchöne mittlere Theil weg, den wir im dreigliedrigen griechiſchen Gebälke finden werden, und es erhebt ſich über dem mit einem Rundſtabe ge- ſäumten Hauptbalken ſogleich das Kranzgeſimſe, das ſich, da es nichts
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die ſeiner pyramidalen Geſtalt zu Grunde lag und in der eigentlichen
Pyramide zu Tage tritt, wird in dem Sinne nicht verwendet, daß ſie
zu der abſchließenden Giebelform des Daches ſich umbildete. Durch die
flache Deckung (wo es ſich überhaupt von gedeckten Theilen handelt), ſo-
wie durch die ausgedehnte Reihe der Vorräume, von welcher zu 2. die
Rede ſein wird, iſt nun dieſer Bau zu ſehr Langbau; alſo auch hier
wieder einſeitiges Hervortreten einer der in §. 565 aufgeführten Rich-
tungen. Dagegen hat ſich ein Reſt des Pyramidalen in der ſchrägen
Neigung der Thore und der Seitenflächen aller Mauern erhalten; dieſe
Richtung hat ſich von der geraden ſenkrechten noch nicht getrennt, um ſich
über ihren wagrechten Abſchluß als höhere Zuſammenfaſſung zu legen,
ſondern iſt noch unreif mit ihr verwachſen, denn die Mauer iſt nach der
innern Seite ſenkrecht. Wo nun der Mauer die freiſtehende Stütze vor-
geſtellt iſt, um einen Säulen-Umgang zu bilden, oder wo ſie die Decke
eines auch nach oben ganz geſchloſſenen Raumes trägt, iſt dagegen ein
weiterer Schritt an die Schwelle organiſch reifer Baukunſt gethan: die
drückende Laſt, die in Indien den Pfeiler nicht wahrhaft zur Säule
werden läßt, das Auffahren in die Höhe, das in Perſien auch der tra-
genden Säule zu ſchlanke Verhältniſſe läßt, iſt verſchwunden, Gleichge-
wicht von Kraft und Laſt bis nahe zur Vollkommenheit entwickelt. Die
ägyptiſche Säule ſondert ſich klar in die durch die Natur der Sache be-
dingte Dreiheit der Gliederung; nur erſcheinen an jedem Theile derſelben
Eigenheiten, die auf die Unreife zurückweiſen: die runde Form der Fuß-
Platte iſt nicht das richtige Glied für die Vermittlung mit der Sohle
des Baus, der verjüngte, in angemeſſenem Höhenmaaß aufſteigende Schaft
hat häufig über dem Plinthus eine ſeiner Bedeutung widerſprechende Ein-
ziehung, iſt theils convex, theils concav, aber ſeicht cannelirt, hat neben
ſenkrecht laufenden Pflanzen-Ornamenten auch horizontale bandartige oder
hieroglyphiſches Bildwerk darſtellende, die ſeiner Bewegung widerſprechen.
Neben der als offener Lotoskelch oder Palmblätter-Krater motivirten Welle
des Kapitells, die ſich über einer Anzahl von Ringen erhebt, tritt eine
nach unten ſtatt nach oben ausgeſchwellte, alſo den Druck der Laſt am
falſchen Puncte darſtellende Knoſpenform auf, auch Kapitelle mit Iſis-
Masken ſind nicht ſelten; ſtatt der Platte erhebt ſich über dem Kapitell
ein Würfel, zu ſchmal, um eine richtige Vermittlung mit dem wagrecht
überliegenden Balken darzuſtellen; dieſer kommt ſo hoch zu liegen, daß
die quer übergelegten Deckenbalken nicht über ihn treten können, ſondern
ihre Köpfe hinter ihm tiefer auf dem Würfel aufſitzen: damit fällt der
ſchöne mittlere Theil weg, den wir im dreigliedrigen griechiſchen Gebälke
finden werden, und es erhebt ſich über dem mit einem Rundſtabe ge-
ſäumten Hauptbalken ſogleich das Kranzgeſimſe, das ſich, da es nichts
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/121>, abgerufen am 16.02.2025.
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