ist (wie in den meisten Buddha-Tempeln), kann eigentlich auch von keinem Innenbau die Rede sein, denn ohne alles Aeußere kann man auch nicht von einem Innern sprechen; man nähme denn die umgebende Felswand mit unscheinbarer Oeffnung als die das Ganze umfassende Mauer, die der Künstler von der Natur wie von einem frühern rohen Künstler überkam: eine Auffassung, wodurch dann auch jener Satz §. 278, 2., daß überall im Orient das Innere unverhältnißmäßig klein sei, auf diese Grotten seine Anwendung findet. Aber jene Vorbildung einer Baukunst, welche die antike Säulenhalle in den umschlossenen Raum hereinnimmt, verbindet sich nun ohne alles feste Gesetz auch mit einem Außenbau, der als Keim des Classischen erscheinen kann. Es wird nämlich nicht blos eine Höhle in den Fels gehauen, sondern auch wieder nach oben gearbeitet, die Felsen- decke weggenommen, so ein großer freier Hof gebildet, in dessen Mitte ein Fels stehen gelassen, zum Sanctuarium mit Nebenkapellen ausgearbeitet und im Fels rings um den Hof eine Pfeilerreihe so ausgemeisselt, daß er wie das vorspringende griechische Tempeldach über sie überhängt. So namentlich die prachtvolle Kailasa zu Ellora. Nun ist das Innere wieder zu einem Aeußern umgestülpt und es verhält sich wie mit jenen primitiven Thieren, die man gleich einem Handschuh umkehren kann, ohne daß sie Schaden leiden. Eigentlich war freilich schon der Höhlentempel relativ ein Außenbau, denn in ihm stand ein Sanctuarium, zu dem sich der übrige Raum, der als Ganzes doch ein Innenbau war, als Aeußeres verhielt. Man sieht schon hier die zu §. 578 bemerkte dialektische Schwierigkeit des Begriffs von Innen- und Außenbau. Dieser Hofbau steht nun aber durch eine seltsame Nabelschnur mit dem Höhlenbau in Zusammenhang, indem ausgesparte Brücken von dem freistehenden Tempel zu Grotten- tempeln führen, die in Stockwerken übereinander in den umgebenden Fels gemeisselt sind. -- Ganz incunabelartig ist namentlich der Pfeiler, von dem man eben nicht weiß, ob man ihn Säule nennen soll. Die Haupt- form unter seinen wechselnden Bildungen ist diese: er beginnt von unten mit einem Würfel, der bedeutend höher, als breit ist; aus ihm entwindet sich ein ungleich kürzerer, verjüngt anlaufender, nach unten meist ausge- bauchter, cannelirter Schaft, der durch einen aus mehreren Ringen be- stehenden Hals in das Kapitell übergeht, das aus einem überstark aus- quellenden gedrückten Pfühl gebildet ist; der Decke ist es durch eine Platte verbunden, an die sich zwei consolenartige Ansätze schließen, auf welchen jene vermittelst eines architrav-artigen Streifens ruht, der im Keime das griechische Gebälke zeigt. Dieser Säulenpfeiler stellt denn den Druck einer ungeheuern Last dar, welche, von der überall niedrigen Decke ausgeübt, das Kapitell zu jener Breite ausquetscht, so daß das Band, das um seinen mit Streifen verzierten Kreis läuft, als ein Ring erscheint, der es dem
iſt (wie in den meiſten Buddha-Tempeln), kann eigentlich auch von keinem Innenbau die Rede ſein, denn ohne alles Aeußere kann man auch nicht von einem Innern ſprechen; man nähme denn die umgebende Felswand mit unſcheinbarer Oeffnung als die das Ganze umfaſſende Mauer, die der Künſtler von der Natur wie von einem frühern rohen Künſtler überkam: eine Auffaſſung, wodurch dann auch jener Satz §. 278, 2., daß überall im Orient das Innere unverhältnißmäßig klein ſei, auf dieſe Grotten ſeine Anwendung findet. Aber jene Vorbildung einer Baukunſt, welche die antike Säulenhalle in den umſchloſſenen Raum hereinnimmt, verbindet ſich nun ohne alles feſte Geſetz auch mit einem Außenbau, der als Keim des Claſſiſchen erſcheinen kann. Es wird nämlich nicht blos eine Höhle in den Fels gehauen, ſondern auch wieder nach oben gearbeitet, die Felſen- decke weggenommen, ſo ein großer freier Hof gebildet, in deſſen Mitte ein Fels ſtehen gelaſſen, zum Sanctuarium mit Nebenkapellen ausgearbeitet und im Fels rings um den Hof eine Pfeilerreihe ſo ausgemeiſſelt, daß er wie das vorſpringende griechiſche Tempeldach über ſie überhängt. So namentlich die prachtvolle Kailaſa zu Ellora. Nun iſt das Innere wieder zu einem Aeußern umgeſtülpt und es verhält ſich wie mit jenen primitiven Thieren, die man gleich einem Handſchuh umkehren kann, ohne daß ſie Schaden leiden. Eigentlich war freilich ſchon der Höhlentempel relativ ein Außenbau, denn in ihm ſtand ein Sanctuarium, zu dem ſich der übrige Raum, der als Ganzes doch ein Innenbau war, als Aeußeres verhielt. Man ſieht ſchon hier die zu §. 578 bemerkte dialektiſche Schwierigkeit des Begriffs von Innen- und Außenbau. Dieſer Hofbau ſteht nun aber durch eine ſeltſame Nabelſchnur mit dem Höhlenbau in Zuſammenhang, indem ausgeſparte Brücken von dem freiſtehenden Tempel zu Grotten- tempeln führen, die in Stockwerken übereinander in den umgebenden Fels gemeiſſelt ſind. — Ganz incunabelartig iſt namentlich der Pfeiler, von dem man eben nicht weiß, ob man ihn Säule nennen ſoll. Die Haupt- form unter ſeinen wechſelnden Bildungen iſt dieſe: er beginnt von unten mit einem Würfel, der bedeutend höher, als breit iſt; aus ihm entwindet ſich ein ungleich kürzerer, verjüngt anlaufender, nach unten meiſt ausge- bauchter, cannelirter Schaft, der durch einen aus mehreren Ringen be- ſtehenden Hals in das Kapitell übergeht, das aus einem überſtark aus- quellenden gedrückten Pfühl gebildet iſt; der Decke iſt es durch eine Platte verbunden, an die ſich zwei conſolenartige Anſätze ſchließen, auf welchen jene vermittelſt eines architrav-artigen Streifens ruht, der im Keime das griechiſche Gebälke zeigt. Dieſer Säulenpfeiler ſtellt denn den Druck einer ungeheuern Laſt dar, welche, von der überall niedrigen Decke ausgeübt, das Kapitell zu jener Breite ausquetſcht, ſo daß das Band, das um ſeinen mit Streifen verzierten Kreis läuft, als ein Ring erſcheint, der es dem
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iſt (wie in den meiſten Buddha-Tempeln), kann eigentlich auch von keinem
Innenbau die Rede ſein, denn ohne alles Aeußere kann man auch nicht
von einem Innern ſprechen; man nähme denn die umgebende Felswand
mit unſcheinbarer Oeffnung als die das Ganze umfaſſende Mauer, die der
Künſtler von der Natur wie von einem frühern rohen Künſtler überkam:
eine Auffaſſung, wodurch dann auch jener Satz §. 278, 2., daß überall
im Orient das Innere unverhältnißmäßig klein ſei, auf dieſe Grotten ſeine
Anwendung findet. Aber jene Vorbildung einer Baukunſt, welche die
antike Säulenhalle in den umſchloſſenen Raum hereinnimmt, verbindet ſich
nun ohne alles feſte Geſetz auch mit einem Außenbau, der als Keim des
Claſſiſchen erſcheinen kann. Es wird nämlich nicht blos eine Höhle in
den Fels gehauen, ſondern auch wieder nach oben gearbeitet, die Felſen-
decke weggenommen, ſo ein großer freier Hof gebildet, in deſſen Mitte ein
Fels ſtehen gelaſſen, zum Sanctuarium mit Nebenkapellen ausgearbeitet
und im Fels rings um den Hof eine Pfeilerreihe ſo ausgemeiſſelt, daß
er wie das vorſpringende griechiſche Tempeldach über ſie überhängt. So
namentlich die prachtvolle Kailaſa zu Ellora. Nun iſt das Innere wieder
zu einem Aeußern umgeſtülpt und es verhält ſich wie mit jenen primitiven
Thieren, die man gleich einem Handſchuh umkehren kann, ohne daß ſie
Schaden leiden. Eigentlich war freilich ſchon der Höhlentempel relativ ein
Außenbau, denn in ihm ſtand ein Sanctuarium, zu dem ſich der übrige
Raum, der als Ganzes doch ein Innenbau war, als Aeußeres verhielt.
Man ſieht ſchon hier die zu §. 578 bemerkte dialektiſche Schwierigkeit
des Begriffs von Innen- und Außenbau. Dieſer Hofbau ſteht nun aber
durch eine ſeltſame Nabelſchnur mit dem Höhlenbau in Zuſammenhang,
indem ausgeſparte Brücken von dem freiſtehenden Tempel zu Grotten-
tempeln führen, die in Stockwerken übereinander in den umgebenden Fels
gemeiſſelt ſind. — Ganz incunabelartig iſt namentlich der Pfeiler, von
dem man eben nicht weiß, ob man ihn Säule nennen ſoll. Die Haupt-
form unter ſeinen wechſelnden Bildungen iſt dieſe: er beginnt von unten
mit einem Würfel, der bedeutend höher, als breit iſt; aus ihm entwindet
ſich ein ungleich kürzerer, verjüngt anlaufender, nach unten meiſt ausge-
bauchter, cannelirter Schaft, der durch einen aus mehreren Ringen be-
ſtehenden Hals in das Kapitell übergeht, das aus einem überſtark aus-
quellenden gedrückten Pfühl gebildet iſt; der Decke iſt es durch eine Platte
verbunden, an die ſich zwei conſolenartige Anſätze ſchließen, auf welchen
jene vermittelſt eines architrav-artigen Streifens ruht, der im Keime das
griechiſche Gebälke zeigt. Dieſer Säulenpfeiler ſtellt denn den Druck einer
ungeheuern Laſt dar, welche, von der überall niedrigen Decke ausgeübt,
das Kapitell zu jener Breite ausquetſcht, ſo daß das Band, das um ſeinen
mit Streifen verzierten Kreis läuft, als ein Ring erſcheint, der es dem
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/115>, abgerufen am 16.02.2025.
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