Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
großer Männer, Fresken in Kirchen und andern öffentlichen Gebäuden 2. Dieß Wurzelschlagen der Kunst im Volksboden setzt nun freilich,
großer Männer, Fresken in Kirchen und andern öffentlichen Gebäuden 2. Dieß Wurzelſchlagen der Kunſt im Volksboden ſetzt nun freilich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0084" n="72"/> großer Männer, Fresken in Kirchen und andern öffentlichen Gebäuden<lb/> ſind an vielen Orten erſtanden und haben der Kunſt die Wege geöffnet,<lb/> wo Gedanke und Compoſition aus dem rechten Elemente, dem des<lb/> öffentlichen, geſchichtlichen Bewußtſeins, ſchöpfen kann. Die fürſtliche Pflege<lb/> kam dabei allerdings dem gleichzeitigen Drange des Publikums und der<lb/> Kunſt entgegen. Die Muſik erfriſchte ſich am Volksliede, die Poeſie kehrte<lb/> dahin zurück, wo Göthe mit ſeinem Götz begonnen hatte, freilich ohne<lb/> viel vorwärts zu bringen (vergl. §. 484); die Schauſpielkunſt ſuchte zu<lb/> folgen. König Ludwig von Baiern hat vielleicht mehr für die Kunſt<lb/> gethan, als je ein Monarch, doch hat er ein ſchon begonnenes neues Leben<lb/> vorgefunden, und ſo verhält es ſich mit aller Pflege der Kunſt durch<lb/> Monarchen: ſie erſtarkt im Bürgerthum und die monarchiſche Sonne<lb/> gewinnt ihr nur die letzten, reichſten Blüthen ab. In Florenz war gereift,<lb/> was kunſtliebende Päbſte zum höchſten Glanze riefen, im griechiſchen Volke,<lb/> was Perikles und ſpäter Alexander d. Gr., jener ſelbſt ein republicaniſches<lb/> Haupt, zu den höchſten Leiſtungen ſteigerten. Shakespeare war ein Volkskind<lb/> und arme bürgerliche Prinzipalſchaften haben die deutſche Schauſpielkunſt<lb/> zur Reife gebracht. Neben den Anfängen einer öffentlichen, monumentalen<lb/> Kunſt beſteht in der Gegenwart die Kabinetskunſt noch fort und zwar in<lb/> ungleich größerem Umfang natürlich, als jener nie ganz zum Verſchwin-<lb/> den beſtimmte Unterſchied zwiſchen Kennern und Nichtkennern es an<lb/> ſich bedingt. Man bedenke nur z. B. wie lang es noch dauern muß, bis<lb/> das Volk in ausgedehnteren Kreiſen die Schönheit der Landſchaft verſteht,<lb/> aber eine Behandlung wie die von Rottmann, muß auch in dieſem Gebiete<lb/> gewaltig und im edelſten Sinne populariſirend wirken.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Dieß Wurzelſchlagen der Kunſt im Volksboden ſetzt nun freilich,<lb/> wenn es zum Ziele gedeihen ſoll, neue Zuſtände des ganzen Staats-<lb/> und Geſellſchaft-Lebens voraus, wie ſchon zu §. 507, <hi rendition="#sub">3.</hi> (vergl. die Anm.<lb/> zu §. 484) angedeutet iſt. Die Kluft der Stände kann nicht ohne die<lb/> Hilfe großer politiſcher Reformen überwachſen, die zerfahrene Bildung nicht<lb/> ohne neue vollere Strömung des Bluts im Körper der Nationen zurück-<lb/> kehren in Fülle und Freude des Gefühls. Bis dahin muß aber wenigſtens<lb/> das Mögliche geſchehen: die höhere Pflege der Kunſt muß der Zufällig-<lb/> keit wahrer Kunſtliebe in der wechſelnden Perſon der Monarchen entnom-<lb/> men und zu einer Cultus-Angelegenheit (vergl. namtl. Oſten a. a. O.)<lb/> gemacht werden. Die Cultminiſterien, geführt von den Volksvertretungen,<lb/> haben nicht nur die Erziehungsanſtalten für die Kunſt (von denen hier<lb/> noch nicht die Rede iſt) zu leiten, ſondern namentlich die architektoniſchen<lb/> Unternehmungen für die Zwecke des Staats zum Mittelpunkte der höheren<lb/> Hebung der bildenden Künſte zu machen, die Hoftheater in National-<lb/> theater umzuwandeln und von dieſem Mittelpunkt aus insbeſondere Muſik<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0084]
großer Männer, Fresken in Kirchen und andern öffentlichen Gebäuden
ſind an vielen Orten erſtanden und haben der Kunſt die Wege geöffnet,
wo Gedanke und Compoſition aus dem rechten Elemente, dem des
öffentlichen, geſchichtlichen Bewußtſeins, ſchöpfen kann. Die fürſtliche Pflege
kam dabei allerdings dem gleichzeitigen Drange des Publikums und der
Kunſt entgegen. Die Muſik erfriſchte ſich am Volksliede, die Poeſie kehrte
dahin zurück, wo Göthe mit ſeinem Götz begonnen hatte, freilich ohne
viel vorwärts zu bringen (vergl. §. 484); die Schauſpielkunſt ſuchte zu
folgen. König Ludwig von Baiern hat vielleicht mehr für die Kunſt
gethan, als je ein Monarch, doch hat er ein ſchon begonnenes neues Leben
vorgefunden, und ſo verhält es ſich mit aller Pflege der Kunſt durch
Monarchen: ſie erſtarkt im Bürgerthum und die monarchiſche Sonne
gewinnt ihr nur die letzten, reichſten Blüthen ab. In Florenz war gereift,
was kunſtliebende Päbſte zum höchſten Glanze riefen, im griechiſchen Volke,
was Perikles und ſpäter Alexander d. Gr., jener ſelbſt ein republicaniſches
Haupt, zu den höchſten Leiſtungen ſteigerten. Shakespeare war ein Volkskind
und arme bürgerliche Prinzipalſchaften haben die deutſche Schauſpielkunſt
zur Reife gebracht. Neben den Anfängen einer öffentlichen, monumentalen
Kunſt beſteht in der Gegenwart die Kabinetskunſt noch fort und zwar in
ungleich größerem Umfang natürlich, als jener nie ganz zum Verſchwin-
den beſtimmte Unterſchied zwiſchen Kennern und Nichtkennern es an
ſich bedingt. Man bedenke nur z. B. wie lang es noch dauern muß, bis
das Volk in ausgedehnteren Kreiſen die Schönheit der Landſchaft verſteht,
aber eine Behandlung wie die von Rottmann, muß auch in dieſem Gebiete
gewaltig und im edelſten Sinne populariſirend wirken.
2. Dieß Wurzelſchlagen der Kunſt im Volksboden ſetzt nun freilich,
wenn es zum Ziele gedeihen ſoll, neue Zuſtände des ganzen Staats-
und Geſellſchaft-Lebens voraus, wie ſchon zu §. 507, 3. (vergl. die Anm.
zu §. 484) angedeutet iſt. Die Kluft der Stände kann nicht ohne die
Hilfe großer politiſcher Reformen überwachſen, die zerfahrene Bildung nicht
ohne neue vollere Strömung des Bluts im Körper der Nationen zurück-
kehren in Fülle und Freude des Gefühls. Bis dahin muß aber wenigſtens
das Mögliche geſchehen: die höhere Pflege der Kunſt muß der Zufällig-
keit wahrer Kunſtliebe in der wechſelnden Perſon der Monarchen entnom-
men und zu einer Cultus-Angelegenheit (vergl. namtl. Oſten a. a. O.)
gemacht werden. Die Cultminiſterien, geführt von den Volksvertretungen,
haben nicht nur die Erziehungsanſtalten für die Kunſt (von denen hier
noch nicht die Rede iſt) zu leiten, ſondern namentlich die architektoniſchen
Unternehmungen für die Zwecke des Staats zum Mittelpunkte der höheren
Hebung der bildenden Künſte zu machen, die Hoftheater in National-
theater umzuwandeln und von dieſem Mittelpunkt aus insbeſondere Muſik
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