Kunstvereine, die Kunstausstellungen, die Preisvertheilungen mit oder ohne Concurrenz bei vorgeschriebenem Gegenstande, die Anlegung von Sammlungen moderner Kunstwerke, die Verloosungen hervorgegan- gen: künstliche Mittel, die sich zu der Lebensfülle, welche die Kunst unge- sucht aus dem flüßigen Rapport mit dem gesammten Volksleben zieht, so verhalten, wie die einzelnen Parteien, Vereine, Versammlungen u. s. w., die in einem gebundenen Staatsleben einem freieren vorarbeiten, zu diesem. Sie sind von großem Nutzen, aber sie haben alle etwas Absicht- liches, Gemachtes; sie sind Nothmittel in einer Zeit, wo die Quelle der Kunst nicht frei und voll von selber sprudelt; sie zeugen von gutem Wil- len, haben aber etwas Armes und Knappes; sie unterstützen, fördern, wecken den Künstler, binden ihn nicht in seinem freien Schaffen, aber begeistern auch nicht; sie sammeln und vereinigen, ohne ein immanentes geistiges Gesammtleben der Künstler unter sich und mit dem Publikum zu erzeugen. An diesen Erscheinungen beschäftigt uns hier die Seite, nach der sie den Zweck haben, Kunstsinn im Volke zu wecken, nur mittelbar, sofern dieser, wenn er wirklich geweckt ist, den schaffenden Künstlergeist naturgemäß hält, hebt und treibt. Da ist es denn klar, daß das Sam- meln, Ausstellen, Verloosen von Kunstwerken, die nach Zweig, Stoff, Behandlung bunt gemischt sind, durch eine zu diesem Zweck besonders gebildete Gesellschaft, neben heilsamer Anregung und rühmenswerthem Verdienst doch auch der zerstreuten Naschhaftigkeit, Eitelkeit und wohlwei- sen Kenner- und Gönner-Miene ächt moderne Nahrung giebt. Auch die Sammlungen alter Kunstwerke, meist in der früher geschilderten Zeit durch Fürsten angelegt, die Galerieen, sind hier zu erwähnen; ihr bildender Werth für Publikum und Künstler ist unberechenbar, aber an sich ist schon ihre Existenz ein Beweis, daß zur Zeit der Sammler die Kunst nicht wahrhaft lebte, denn wo sie lebt, werden solche Herbarien, worin Kunst- werke, von ihrem Ort, an den sie hingehören, hinweggerissen in zerstreu- ender, betäubender, abspannender Menge und Mannigfaltigkeit vereinigt sind, überhaupt nicht angelegt. Nur Wenige vermögen die sinnliche und geistige Abstraction zu vollziehen, daß sie dem einzelnen Kunstwerk einen einzelnen Besuch und gesammelte Betrachtung widmen. Was aber keiner großen Stadt fehlen sollte, sind neben den Abgüßen der bedeutendsten Antiken, Modellen der bedeutendsten architektonischen Werke der Vergan- genheit gute Copieen der großen, namentlich monumentalen Werke der Malerei, nicht blos wegen ihres absoluten Werths für die Studien des Künstlers (die wir hier noch nicht in's Auge fassen), sondern für das Volk, damit es sehen, daher auch die moderne Kunst würdigen lerne und so ein empfänglicher und fördernder Boden für die lebende Kunst werde. Was nun aber die unmittelbare Förderung der Kunst betrifft, welche von
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Kunſtvereine, die Kunſtausſtellungen, die Preisvertheilungen mit oder ohne Concurrenz bei vorgeſchriebenem Gegenſtande, die Anlegung von Sammlungen moderner Kunſtwerke, die Verlooſungen hervorgegan- gen: künſtliche Mittel, die ſich zu der Lebensfülle, welche die Kunſt unge- ſucht aus dem flüßigen Rapport mit dem geſammten Volksleben zieht, ſo verhalten, wie die einzelnen Parteien, Vereine, Verſammlungen u. ſ. w., die in einem gebundenen Staatsleben einem freieren vorarbeiten, zu dieſem. Sie ſind von großem Nutzen, aber ſie haben alle etwas Abſicht- liches, Gemachtes; ſie ſind Nothmittel in einer Zeit, wo die Quelle der Kunſt nicht frei und voll von ſelber ſprudelt; ſie zeugen von gutem Wil- len, haben aber etwas Armes und Knappes; ſie unterſtützen, fördern, wecken den Künſtler, binden ihn nicht in ſeinem freien Schaffen, aber begeiſtern auch nicht; ſie ſammeln und vereinigen, ohne ein immanentes geiſtiges Geſammtleben der Künſtler unter ſich und mit dem Publikum zu erzeugen. An dieſen Erſcheinungen beſchäftigt uns hier die Seite, nach der ſie den Zweck haben, Kunſtſinn im Volke zu wecken, nur mittelbar, ſofern dieſer, wenn er wirklich geweckt iſt, den ſchaffenden Künſtlergeiſt naturgemäß hält, hebt und treibt. Da iſt es denn klar, daß das Sam- meln, Ausſtellen, Verlooſen von Kunſtwerken, die nach Zweig, Stoff, Behandlung bunt gemiſcht ſind, durch eine zu dieſem Zweck beſonders gebildete Geſellſchaft, neben heilſamer Anregung und rühmenswerthem Verdienſt doch auch der zerſtreuten Naſchhaftigkeit, Eitelkeit und wohlwei- ſen Kenner- und Gönner-Miene ächt moderne Nahrung giebt. Auch die Sammlungen alter Kunſtwerke, meiſt in der früher geſchilderten Zeit durch Fürſten angelegt, die Galerieen, ſind hier zu erwähnen; ihr bildender Werth für Publikum und Künſtler iſt unberechenbar, aber an ſich iſt ſchon ihre Exiſtenz ein Beweis, daß zur Zeit der Sammler die Kunſt nicht wahrhaft lebte, denn wo ſie lebt, werden ſolche Herbarien, worin Kunſt- werke, von ihrem Ort, an den ſie hingehören, hinweggeriſſen in zerſtreu- ender, betäubender, abſpannender Menge und Mannigfaltigkeit vereinigt ſind, überhaupt nicht angelegt. Nur Wenige vermögen die ſinnliche und geiſtige Abſtraction zu vollziehen, daß ſie dem einzelnen Kunſtwerk einen einzelnen Beſuch und geſammelte Betrachtung widmen. Was aber keiner großen Stadt fehlen ſollte, ſind neben den Abgüßen der bedeutendſten Antiken, Modellen der bedeutendſten architektoniſchen Werke der Vergan- genheit gute Copieen der großen, namentlich monumentalen Werke der Malerei, nicht blos wegen ihres abſoluten Werths für die Studien des Künſtlers (die wir hier noch nicht in’s Auge faſſen), ſondern für das Volk, damit es ſehen, daher auch die moderne Kunſt würdigen lerne und ſo ein empfänglicher und fördernder Boden für die lebende Kunſt werde. Was nun aber die unmittelbare Förderung der Kunſt betrifft, welche von
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Kunſtvereine, die Kunſtausſtellungen, die Preisvertheilungen
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von Sammlungen moderner Kunſtwerke, die Verlooſungen hervorgegan-
gen: künſtliche Mittel, die ſich zu der Lebensfülle, welche die Kunſt unge-
ſucht aus dem flüßigen Rapport mit dem geſammten Volksleben zieht, ſo
verhalten, wie die einzelnen Parteien, Vereine, Verſammlungen u. ſ. w.,
die in einem gebundenen Staatsleben einem freieren vorarbeiten, zu
dieſem. Sie ſind von großem Nutzen, aber ſie haben alle etwas Abſicht-
liches, Gemachtes; ſie ſind Nothmittel in einer Zeit, wo die Quelle der
Kunſt nicht frei und voll von ſelber ſprudelt; ſie zeugen von gutem Wil-
len, haben aber etwas Armes und Knappes; ſie unterſtützen, fördern,
wecken den Künſtler, binden ihn nicht in ſeinem freien Schaffen, aber
begeiſtern auch nicht; ſie ſammeln und vereinigen, ohne ein immanentes
geiſtiges Geſammtleben der Künſtler unter ſich und mit dem Publikum zu
erzeugen. An dieſen Erſcheinungen beſchäftigt uns hier die Seite, nach
der ſie den Zweck haben, Kunſtſinn im Volke zu wecken, nur mittelbar,
ſofern dieſer, wenn er wirklich geweckt iſt, den ſchaffenden Künſtlergeiſt
naturgemäß hält, hebt und treibt. Da iſt es denn klar, daß das Sam-
meln, Ausſtellen, Verlooſen von Kunſtwerken, die nach Zweig, Stoff,
Behandlung bunt gemiſcht ſind, durch eine zu dieſem Zweck beſonders
gebildete Geſellſchaft, neben heilſamer Anregung und rühmenswerthem
Verdienſt doch auch der zerſtreuten Naſchhaftigkeit, Eitelkeit und wohlwei-
ſen Kenner- und Gönner-Miene ächt moderne Nahrung giebt. Auch die
Sammlungen alter Kunſtwerke, meiſt in der früher geſchilderten Zeit durch
Fürſten angelegt, die Galerieen, ſind hier zu erwähnen; ihr bildender
Werth für Publikum und Künſtler iſt unberechenbar, aber an ſich iſt ſchon
ihre Exiſtenz ein Beweis, daß zur Zeit der Sammler die Kunſt nicht
wahrhaft lebte, denn wo ſie lebt, werden ſolche Herbarien, worin Kunſt-
werke, von ihrem Ort, an den ſie hingehören, hinweggeriſſen in zerſtreu-
ender, betäubender, abſpannender Menge und Mannigfaltigkeit vereinigt
ſind, überhaupt nicht angelegt. Nur Wenige vermögen die ſinnliche und
geiſtige Abſtraction zu vollziehen, daß ſie dem einzelnen Kunſtwerk einen
einzelnen Beſuch und geſammelte Betrachtung widmen. Was aber keiner
großen Stadt fehlen ſollte, ſind neben den Abgüßen der bedeutendſten
Antiken, Modellen der bedeutendſten architektoniſchen Werke der Vergan-
genheit gute Copieen der großen, namentlich monumentalen Werke der
Malerei, nicht blos wegen ihres abſoluten Werths für die Studien des
Künſtlers (die wir hier noch nicht in’s Auge faſſen), ſondern für das
Volk, damit es ſehen, daher auch die moderne Kunſt würdigen lerne und
ſo ein empfänglicher und fördernder Boden für die lebende Kunſt werde.
Was nun aber die unmittelbare Förderung der Kunſt betrifft, welche von
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/79>, abgerufen am 17.07.2024.
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