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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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den Künstler hineingestellt haben. Diese drei Gläubiger begleiten ihn auf
dem ganzen Wege vom Entwurfe zur Ausführung, also auch bei der
organisirenden Thätigkeit, die wir so eben betrachtet haben. So kann, um
die zweite Bedingung zu erwähnen, Vorrath oder Mangel an einer gewissen
Gattung von Naturschönheit (z. B. Modellen) auf die ganze Conception
und Composition fördernd, hemmend, in ein anderes als das zuerst beab-
sichtigte Bett leitend einwirken, so kann die Art eines gegebenen Materials
schon im Anfange des Entwurfs die Richtung bestimmen; klar aber ist,
daß, unbeschadet des fortdauernd gleichzeitigen Einwirkens aller drei Be-
dingungen, doch die erste, die Stellung zum Publikum, gerade bei dem
geistigsten Theile der Arbeit, dem ersten Wurf und der Composition,
ganz wesentlich bedingend im fördernden oder hemmenden Sinne sich
geltend macht, daß also hier der Ort ist, wo diese Seite dargestellt werden
muß. Die zwei andern Anforderungen erledigen sich dagegen in besondern
Abschnitten und begründen im Wege zur eigentlichen Ausführung bestimmte,
weitere Momonte, wobei sich jedoch allerdings zeigen muß, daß sie auch
auf die ersten, hier vorliegenden Schritte bestimmend einwirken. Auch
dieses Gebiet ist im System der Aesthetik bis jetzt noch wenig beleuchtet;
Hegel hat unter der Aufschrift: "die Aeußerlichkeit des Ideals im Verhält-
niß zum Publikum" im 1. Theil s. Aesth. die Frage über die sog. historische
Treue abgehandelt, die wir in §. 400 erörtert haben. Andeutungen über
das, wovon im gegenwärtigen Zusammenhang die Rede ist, über die
Bestimmung der künstlerischen Thätigkeit durch einen äußern Willen u. s. w.
giebt Schleiermacher a. a. O. S. 264 ff.

2. Die zwei Standpuncte, die der §. durch "sittlich betrachtet" und
"es handelt sich aber allgemein" u. s. w. unterscheidet, verhalten sich so,
daß unter jenem eine Pflicht ausgesprochen wird, unter diesem aber das
Ganze der Verhältnisse, in das die Kunst hineingesetzt ist und das auf
einem Geschlinge von Bedingungen beruht, zu denen allerdings wesentlich
auch der Zustand des sittlichen Lebens gehört und mit diesem alles Factische,
was gegenüber jener Pflicht von der Kunst, wie sie der Einzelne antrifft,
gethan oder unterlassen ist: also das Ganze des geschichtlichen Zustands,
wie er dem Einzelnen die Erfüllung jener Pflicht, der Kunst ihre Freiheit
zu bewahren, erleichtert oder erschwert. Wir geben jedoch weder unter
jenem Standpunct eine Künstlermoral, noch unter diesem eine Geschichte
des Verhältnißes der Kunst zum Publikum. Die gründliche Erledigung
jenes Standpunctes nämlich müßte Gegenstand einer besondern ethischen
Abhandlung sein, die freilich eine höchst bedeutende Aufgabe und wünschens-
werthes Werk wäre; die Aesthetik muß sich darauf beschränken, den
leitenden Gedanken aufzustellen, und der §. spricht ihn einfach dahin
aus, daß die Schuld der besondern Phantasie an die allgemeine nie zur

den Künſtler hineingeſtellt haben. Dieſe drei Gläubiger begleiten ihn auf
dem ganzen Wege vom Entwurfe zur Ausführung, alſo auch bei der
organiſirenden Thätigkeit, die wir ſo eben betrachtet haben. So kann, um
die zweite Bedingung zu erwähnen, Vorrath oder Mangel an einer gewiſſen
Gattung von Naturſchönheit (z. B. Modellen) auf die ganze Conception
und Compoſition fördernd, hemmend, in ein anderes als das zuerſt beab-
ſichtigte Bett leitend einwirken, ſo kann die Art eines gegebenen Materials
ſchon im Anfange des Entwurfs die Richtung beſtimmen; klar aber iſt,
daß, unbeſchadet des fortdauernd gleichzeitigen Einwirkens aller drei Be-
dingungen, doch die erſte, die Stellung zum Publikum, gerade bei dem
geiſtigſten Theile der Arbeit, dem erſten Wurf und der Compoſition,
ganz weſentlich bedingend im fördernden oder hemmenden Sinne ſich
geltend macht, daß alſo hier der Ort iſt, wo dieſe Seite dargeſtellt werden
muß. Die zwei andern Anforderungen erledigen ſich dagegen in beſondern
Abſchnitten und begründen im Wege zur eigentlichen Ausführung beſtimmte,
weitere Momonte, wobei ſich jedoch allerdings zeigen muß, daß ſie auch
auf die erſten, hier vorliegenden Schritte beſtimmend einwirken. Auch
dieſes Gebiet iſt im Syſtem der Aeſthetik bis jetzt noch wenig beleuchtet;
Hegel hat unter der Aufſchrift: „die Aeußerlichkeit des Ideals im Verhält-
niß zum Publikum“ im 1. Theil ſ. Aeſth. die Frage über die ſog. hiſtoriſche
Treue abgehandelt, die wir in §. 400 erörtert haben. Andeutungen über
das, wovon im gegenwärtigen Zuſammenhang die Rede iſt, über die
Beſtimmung der künſtleriſchen Thätigkeit durch einen äußern Willen u. ſ. w.
giebt Schleiermacher a. a. O. S. 264 ff.

2. Die zwei Standpuncte, die der §. durch „ſittlich betrachtet“ und
„es handelt ſich aber allgemein“ u. ſ. w. unterſcheidet, verhalten ſich ſo,
daß unter jenem eine Pflicht ausgeſprochen wird, unter dieſem aber das
Ganze der Verhältniſſe, in das die Kunſt hineingeſetzt iſt und das auf
einem Geſchlinge von Bedingungen beruht, zu denen allerdings weſentlich
auch der Zuſtand des ſittlichen Lebens gehört und mit dieſem alles Factiſche,
was gegenüber jener Pflicht von der Kunſt, wie ſie der Einzelne antrifft,
gethan oder unterlaſſen iſt: alſo das Ganze des geſchichtlichen Zuſtands,
wie er dem Einzelnen die Erfüllung jener Pflicht, der Kunſt ihre Freiheit
zu bewahren, erleichtert oder erſchwert. Wir geben jedoch weder unter
jenem Standpunct eine Künſtlermoral, noch unter dieſem eine Geſchichte
des Verhältnißes der Kunſt zum Publikum. Die gründliche Erledigung
jenes Standpunctes nämlich müßte Gegenſtand einer beſondern ethiſchen
Abhandlung ſein, die freilich eine höchſt bedeutende Aufgabe und wünſchens-
werthes Werk wäre; die Aeſthetik muß ſich darauf beſchränken, den
leitenden Gedanken aufzuſtellen, und der §. ſpricht ihn einfach dahin
aus, daß die Schuld der beſondern Phantaſie an die allgemeine nie zur

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[54/0066] den Künſtler hineingeſtellt haben. Dieſe drei Gläubiger begleiten ihn auf dem ganzen Wege vom Entwurfe zur Ausführung, alſo auch bei der organiſirenden Thätigkeit, die wir ſo eben betrachtet haben. So kann, um die zweite Bedingung zu erwähnen, Vorrath oder Mangel an einer gewiſſen Gattung von Naturſchönheit (z. B. Modellen) auf die ganze Conception und Compoſition fördernd, hemmend, in ein anderes als das zuerſt beab- ſichtigte Bett leitend einwirken, ſo kann die Art eines gegebenen Materials ſchon im Anfange des Entwurfs die Richtung beſtimmen; klar aber iſt, daß, unbeſchadet des fortdauernd gleichzeitigen Einwirkens aller drei Be- dingungen, doch die erſte, die Stellung zum Publikum, gerade bei dem geiſtigſten Theile der Arbeit, dem erſten Wurf und der Compoſition, ganz weſentlich bedingend im fördernden oder hemmenden Sinne ſich geltend macht, daß alſo hier der Ort iſt, wo dieſe Seite dargeſtellt werden muß. Die zwei andern Anforderungen erledigen ſich dagegen in beſondern Abſchnitten und begründen im Wege zur eigentlichen Ausführung beſtimmte, weitere Momonte, wobei ſich jedoch allerdings zeigen muß, daß ſie auch auf die erſten, hier vorliegenden Schritte beſtimmend einwirken. Auch dieſes Gebiet iſt im Syſtem der Aeſthetik bis jetzt noch wenig beleuchtet; Hegel hat unter der Aufſchrift: „die Aeußerlichkeit des Ideals im Verhält- niß zum Publikum“ im 1. Theil ſ. Aeſth. die Frage über die ſog. hiſtoriſche Treue abgehandelt, die wir in §. 400 erörtert haben. Andeutungen über das, wovon im gegenwärtigen Zuſammenhang die Rede iſt, über die Beſtimmung der künſtleriſchen Thätigkeit durch einen äußern Willen u. ſ. w. giebt Schleiermacher a. a. O. S. 264 ff. 2. Die zwei Standpuncte, die der §. durch „ſittlich betrachtet“ und „es handelt ſich aber allgemein“ u. ſ. w. unterſcheidet, verhalten ſich ſo, daß unter jenem eine Pflicht ausgeſprochen wird, unter dieſem aber das Ganze der Verhältniſſe, in das die Kunſt hineingeſetzt iſt und das auf einem Geſchlinge von Bedingungen beruht, zu denen allerdings weſentlich auch der Zuſtand des ſittlichen Lebens gehört und mit dieſem alles Factiſche, was gegenüber jener Pflicht von der Kunſt, wie ſie der Einzelne antrifft, gethan oder unterlaſſen iſt: alſo das Ganze des geſchichtlichen Zuſtands, wie er dem Einzelnen die Erfüllung jener Pflicht, der Kunſt ihre Freiheit zu bewahren, erleichtert oder erſchwert. Wir geben jedoch weder unter jenem Standpunct eine Künſtlermoral, noch unter dieſem eine Geſchichte des Verhältnißes der Kunſt zum Publikum. Die gründliche Erledigung jenes Standpunctes nämlich müßte Gegenſtand einer beſondern ethiſchen Abhandlung ſein, die freilich eine höchſt bedeutende Aufgabe und wünſchens- werthes Werk wäre; die Aeſthetik muß ſich darauf beſchränken, den leitenden Gedanken aufzuſtellen, und der §. ſpricht ihn einfach dahin aus, daß die Schuld der beſondern Phantaſie an die allgemeine nie zur

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/66>, abgerufen am 24.11.2024.