Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
nicht vorhanden, ja sie enthält auch für die Figur Gretchens selbst §. 499. Ebenso sehr tritt nun aber der Mangel an Verbindung zu Tage.1 1. Mit der Wirkung des Contrasts kann ein greller Mißbrauch
nicht vorhanden, ja ſie enthält auch für die Figur Gretchens ſelbſt §. 499. Ebenſo ſehr tritt nun aber der Mangel an Verbindung zu Tage.1 1. Mit der Wirkung des Contraſts kann ein greller Mißbrauch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0049" n="37"/> nicht vorhanden, ja ſie enthält auch für die Figur Gretchens ſelbſt<lb/> nur einen ſchwachen Anknüpfungspunkt. Nun nehme man den Mephiſtopheles<lb/> dazu und beobachte die Wirkungen des Contraſtes nur z. B. in der Garten-<lb/> ſcene, wo die Geſpräche zwiſchen dieſem und Marthen, Fauſt und<lb/> Gretchen abwechſeln.</hi> </p> </div><lb/> <div n="7"> <head>§. 499.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Ebenſo ſehr tritt nun aber der Mangel an <hi rendition="#g">Verbindung</hi> zu Tage.<note place="right">1</note><lb/> Das Compoſitionsgeſetz, das an dieſer Stelle auftritt, verlangt zuerſt <hi rendition="#g">Vorbe-<lb/> reitung</hi> der Contraſte und überhaupt der entfalteten Wirkungen im Kunſt-<lb/> werke, es geht aber durch das Ganze deſſelben hindurch als die Forderung,<lb/> daß alle Einzelbilder lebendig auseinander hervorwachſen, und beſtimmt ſich<lb/> näher als Geſetz der <hi rendition="#g">Motivirung</hi>, d. h. der Begründung alles deſſen, was<note place="right">2</note><lb/> zur Darſtellung kommt, in hinreichenden Bedingungen; worin ſich übrigens die<lb/> Kunſt zur Motivirung im Naturſchönen ebenſo verhält, wie das Ideal über-<lb/> haupt zu dieſem. Das ſo vorbereitete und ſelbſtändig gewordene Einzelne ſoll<note place="right">3</note><lb/> aber demſelben Geſetze gemäß wieder lebendig ineinander übergehen, keine Fuge<lb/> unausgefüllt bleiben, Glied mit Glied durch Gelenke verbunden ſein und die<lb/> Contraſte ſollen ſich <hi rendition="#g">auflöſen</hi>.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Mit der Wirkung des Contraſts kann ein greller Mißbrauch<lb/> getrieben werden; eine überreife Kunſt wird leicht in dieſen Fehler ver-<lb/> fallen. Niemand hat ſich dieß mehr zu Schulden kommen laſſen, als die<lb/> Franzoſen, deren pointirendem Geiſt überhaupt eine Unnatur auf dieſem<lb/> Puncte nahe liegt. Es geſchah dieß vorzüglich in ihrer romantiſchen<lb/> Poeſie, das ſchlagendſte Bild aber gibt ihre Schauſpielkunſt, die es liebt,<lb/> vom Schrei der äußerſten Leidenſchaft ganz unvermittelt in den gleich-<lb/> gültigſten oder matteſten Redeton überzugehen. Dieſe Art des Ueber-<lb/> ſchlagens iſt nun freilich ganz blaſirt; in unſchuldigerer Weiſe tritt Aehnliches<lb/> ein bei unreifen Dichtern und Künſtlern, es iſt aber beidemal gegen „die<lb/> Beſcheidenheit der Natur.“ Dieſe Bemerkung führt uns aus der Lehre<lb/> vom Contraſt hinüber zu der Lehre von der <hi rendition="#g">Verbindung</hi> im Kunſtwerk<lb/> überhaupt. Wir wählen abſichtlich dieſen Ausdruck, der etwas mehr<lb/> Aeußerliches zu bezeichnen ſcheint; die innere Einheit muß natürlich zu<lb/> Grunde liegen, hier aber handelt es ſich davon, daß auch ausdrücklich<lb/> für ihr Hervortreten geſorgt ſei, und dieß nennen wir mit einem anſpruch-<lb/> loſen Namen das Compoſitionsgeſetz der Verbindung. Von dem Stand-<lb/> puncte, den wir mit der Lehre des Contraſtes eingenommen, ſtellt ſich als<lb/> erſte der in dieſem Geſetz enthaltenen Forderungen die der Vorbereitung<lb/> hervor; denn mit dem Contraſte ſtehen wir da, wo das Kunſtwerk ſich<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0049]
nicht vorhanden, ja ſie enthält auch für die Figur Gretchens ſelbſt
nur einen ſchwachen Anknüpfungspunkt. Nun nehme man den Mephiſtopheles
dazu und beobachte die Wirkungen des Contraſtes nur z. B. in der Garten-
ſcene, wo die Geſpräche zwiſchen dieſem und Marthen, Fauſt und
Gretchen abwechſeln.
§. 499.
Ebenſo ſehr tritt nun aber der Mangel an Verbindung zu Tage.
Das Compoſitionsgeſetz, das an dieſer Stelle auftritt, verlangt zuerſt Vorbe-
reitung der Contraſte und überhaupt der entfalteten Wirkungen im Kunſt-
werke, es geht aber durch das Ganze deſſelben hindurch als die Forderung,
daß alle Einzelbilder lebendig auseinander hervorwachſen, und beſtimmt ſich
näher als Geſetz der Motivirung, d. h. der Begründung alles deſſen, was
zur Darſtellung kommt, in hinreichenden Bedingungen; worin ſich übrigens die
Kunſt zur Motivirung im Naturſchönen ebenſo verhält, wie das Ideal über-
haupt zu dieſem. Das ſo vorbereitete und ſelbſtändig gewordene Einzelne ſoll
aber demſelben Geſetze gemäß wieder lebendig ineinander übergehen, keine Fuge
unausgefüllt bleiben, Glied mit Glied durch Gelenke verbunden ſein und die
Contraſte ſollen ſich auflöſen.
1. Mit der Wirkung des Contraſts kann ein greller Mißbrauch
getrieben werden; eine überreife Kunſt wird leicht in dieſen Fehler ver-
fallen. Niemand hat ſich dieß mehr zu Schulden kommen laſſen, als die
Franzoſen, deren pointirendem Geiſt überhaupt eine Unnatur auf dieſem
Puncte nahe liegt. Es geſchah dieß vorzüglich in ihrer romantiſchen
Poeſie, das ſchlagendſte Bild aber gibt ihre Schauſpielkunſt, die es liebt,
vom Schrei der äußerſten Leidenſchaft ganz unvermittelt in den gleich-
gültigſten oder matteſten Redeton überzugehen. Dieſe Art des Ueber-
ſchlagens iſt nun freilich ganz blaſirt; in unſchuldigerer Weiſe tritt Aehnliches
ein bei unreifen Dichtern und Künſtlern, es iſt aber beidemal gegen „die
Beſcheidenheit der Natur.“ Dieſe Bemerkung führt uns aus der Lehre
vom Contraſt hinüber zu der Lehre von der Verbindung im Kunſtwerk
überhaupt. Wir wählen abſichtlich dieſen Ausdruck, der etwas mehr
Aeußerliches zu bezeichnen ſcheint; die innere Einheit muß natürlich zu
Grunde liegen, hier aber handelt es ſich davon, daß auch ausdrücklich
für ihr Hervortreten geſorgt ſei, und dieß nennen wir mit einem anſpruch-
loſen Namen das Compoſitionsgeſetz der Verbindung. Von dem Stand-
puncte, den wir mit der Lehre des Contraſtes eingenommen, ſtellt ſich als
erſte der in dieſem Geſetz enthaltenen Forderungen die der Vorbereitung
hervor; denn mit dem Contraſte ſtehen wir da, wo das Kunſtwerk ſich
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