Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
liebe in den verschiedensten Formen sich müße entwickeln lassen. Noch Vischer's Aesthetik. 3. Band. 2
liebe in den verſchiedenſten Formen ſich müße entwickeln laſſen. Noch Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 2
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liebe in den verſchiedenſten Formen ſich müße entwickeln laſſen. Noch
deutlicher ſind ſolche Beiſpiele, wo der Stoff zunächſt etwas enthält,
was weniger günſtig ſcheint, aber doch Hebel iſt für eine Summe von
Schönheiten. So iſt das Wunder des Moſes, wie er an den Fels ſchlägt
und aus dieſem Waſſer quillt, eben ein Mirakel, wie andere auch; aber
es gibt Anlaß, die Dürſtenden, ſich Labenden in den verſchiedenſten
Gruppen darzuſtellen, und iſt daher ein gutes Motiv. Es kann dieß
Verhältniß ſo weit gehen, daß das ganze Werk eine Lüge wird, indem
nicht der angebliche Gegenſtand, ſondern etwas Anderes, wozu er das
Motiv geben muß, der eigentliche Darſtellungszweck iſt; man vergißt dieß
bei ſo ſchönen Werken, wie die Hochzeit zu Kana von Paolo Veroneſe,
aber nicht bei Baſſano, wenn ihm ein Mirakel als Motiv zu einem
Viehſtück, oder Niederländern, wenn ihnen eine Ausſtellung des gegeiſel-
ten Chriſtus als Motiv eines Fleiſchmarkts dient und dergl. Man ſieht
hier deutlich den Unterſchied von dem Erzeugen des innern Bildes, das
hinter uns liegt; in jenem Acte der noch im Innern verſchloſſenen
Phantaſie gibt ſich der Geiſt rein dem innern Geſtalten hin; dabei iſt
freilich ſchon vorausgeſetzt, daß inſtinctmäßig die rechten, die fruchtbaren
Stoffe ergriffen und als inneres Gemälde entfaltet, ausgebeutet werden;
allein theils iſt zu bedenken, daß wir in der Lehre von der Phantaſie
nur den glücklichen, den normalen Fall aufgeſtellt haben, daß die Phantaſie
auch irren, aus unfruchtbarem Stoff ein unglückliches Bild innerlich er-
zeugen kann, und daß eben der Act, von dem jetzt die Rede iſt, das
innerlich Entworfene in dieſer Richtung prüft; theils iſt auch das aus
glücklich ergriffenem Stoff erzeugte innere Bild noch ausdrücklich erſt
darauf anzuſehen, ob es wirklich entwickelt hat, was als furchtbarer Keim
im Stoffe lag. Die Beſtimmtheit dieſes Actes iſt bedingt durch die nun
erſt eintretende Rückſicht auf den Zuſchauer und das Material, ſowie durch
die erneuerte Rückſicht auf das Naturſchöne. Der Stoff ſoll ein Motiv
von Schönheiten werden, die dem Zuſchauer objectiv faßbar und mit
reicher Ausbeutung der Naturerſcheinungen, in die er einen Blick öffnet,
entgegentreten durch das Material, das dem Geiſte des Entwerfenden
vorſchwebt. Was das letztere betrifft, ſo haben wir eine beſtimmt
organiſirte Phantaſie bereits gefordert und dieſe Beſtimmtheit aufgewieſen
(§. 404); daß dieſe Phantaſie nach dem Materiale greifen werde, das
ihrer Art zu ſchauen entſpricht, folgt mit Nothwendigkeit, und aus dieſen
vereinigten Momenten werden wir die verſchiedenen Künſte entſtehen ſehen;
an der gegenwärtigen Stelle aber iſt zu dem, was unter §. 491 über die
Technik geſagt iſt, hinzuzufügen, daß insbeſondere die Natur des Materials,
und zwar auch ganz ſpeziell, ſofern jede Kunſt wieder die Wahl unter
verſchiedenen hat, auf die Erfindung zurückwirkt, indem die Schönheiten,
Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 2
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