Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.aus ihr ziehen (mit der Architekturmalerei hat es eine besondere Bewandt- aus ihr ziehen (mit der Architekturmalerei hat es eine beſondere Bewandt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <pb facs="#f0176" n="164"/> <hi rendition="#et">aus ihr ziehen (mit der Architekturmalerei hat es eine beſondere Bewandt-<lb/> niß, wovon nachher); aber auch die Malerei nichts aus der Plaſtik,<lb/> nämlich kein fertiges Bild, denn wenn ſie, von ihr angeregt, nur über-<lb/> haupt denſelben Stoff benützt, dieß iſt etwas Anderes und gehört nicht<lb/> hieber; der Grund dieſer letztern Grenzſperre iſt der tiefe Gegenſatz im<lb/> Geiſte beider Künſte bei Einheit der ganzen Kunſtſphäre. Aber auch die<lb/> Plaſtik kann nicht wohl Gemaltes in ihrem Sinne verarbeiten, und zwar<lb/> aus demſelben Grunde, warum die bildende Kunſt überhaupt nicht gut<lb/> thut, ein dramatiſches Werk auszubeuten. Innerhalb der Poeſie kehrt<lb/> dieſe Einſchränkung wieder im Verhältniß der epiſchen zur dramatiſchen<lb/> Form: ein Drama in Erzählung umſetzen heißt das Reifere in das Un-<lb/> reifere decomponiren. Es bleiben aber viele Möglichkeiten fruchtbarer<lb/> gegenſeitiger Benützung übrig. Ueberſehen wir die Reihe noch einmal,<lb/> ſo bietet die eriſche Poeſie der bildenden Kunſt eine reiche, ſchon in<lb/> Griechenland (Zeus des Phidias) vielbenützte Fundgrube und keines-<lb/> wegs nur ſo, daß der Bildhauer und Maler vom Dichter angeregt würde,<lb/> denſelben Stoff zu bearbeiten, alſo namentlich aus derſelben Sage zu<lb/> ſchöpfen, ſondern fertige Bilder, ganze Scenen und Scenenreihen nimmt<lb/> er aus dieſem, freilich nur, um ſie im Geiſte ſeiner Kunſt umzubilden;<lb/> aber auch die dramatiſche Poeſie hat epiſche Theile und <hi rendition="#g">dieſe</hi> natürlich<lb/> kann die bildende Kunſt trefflich verwenden (Mord der Söhne Eduards<lb/> in Richard <hi rendition="#aq">III</hi>). Die Muſik hat an der lyriſchen und dramatiſchen Poeſie<lb/> eine Welt von Stoff. Die Poeſie kann aus Werken der bildenden Kunſt<lb/> in beſtimmterem Sinn, als die Muſik, Motive entnehmen, ähnlich wie der<lb/> Mythus aus einzelnen Erſcheinungen (vergl. Thl. <hi rendition="#aq">II</hi> S. 342 die Anekdote<lb/> von <hi rendition="#aq">la cruche cassée;</hi> ſo hat man das Genrebild einer Brautwerbung<lb/> auf Helgoland zu einem Luſtſpiel umgearbeitet). Innerhalb der Gruppe<lb/> der bildenden Künſte ſtellt ſich eine Erſcheinung dar, auf welche allein<lb/> das Wort des §. „abbildend“ paßt: das Werk der Baukunſt nämlich, an<lb/> ſich ſchon am meiſten natur-artig unter allen Werken der Kunſt, nimmt<lb/> mit der Zeit noch mehr einen Naturton an und wird ſo Gegenſtand<lb/> der Malerei wie ein Bau der Natur, Berg, Baum u. ſ. w. Kein Werk<lb/> einer Kunſt kann in dieſem Sinne, nämlich im Sinne der künſtleriſchen<lb/> Abbildung eines fertigen Stoffs, Gegenſtand für eine andere Kunſt wer-<lb/> den, wie ein Bauwerk in der Architekturmalerei; die epiſche Dichtkunſt<lb/> kann Paläſte, Statuen, Gemälde ſchildern, aber ſie iſt darin viel ſchwächer,<lb/> als in den frei von ihr ſelbſt erzeugten Geſtalten, weil das Abbilden eines<lb/> feſt Gegebenen mit ihrem bewegten Charakter im Widerſpruch ſteht. In-<lb/> nerhalb der großen Zweige der Poeſie iſt die reichſte Stoffquelle eröffnet<lb/> in der epiſchen für die dramatiſche Gattung: der epiſche Stoff hat auf<lb/> höherer Stufe genau noch das Unreife, von geiſtigen Willensbeſtimmungen<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [164/0176]
aus ihr ziehen (mit der Architekturmalerei hat es eine beſondere Bewandt-
niß, wovon nachher); aber auch die Malerei nichts aus der Plaſtik,
nämlich kein fertiges Bild, denn wenn ſie, von ihr angeregt, nur über-
haupt denſelben Stoff benützt, dieß iſt etwas Anderes und gehört nicht
hieber; der Grund dieſer letztern Grenzſperre iſt der tiefe Gegenſatz im
Geiſte beider Künſte bei Einheit der ganzen Kunſtſphäre. Aber auch die
Plaſtik kann nicht wohl Gemaltes in ihrem Sinne verarbeiten, und zwar
aus demſelben Grunde, warum die bildende Kunſt überhaupt nicht gut
thut, ein dramatiſches Werk auszubeuten. Innerhalb der Poeſie kehrt
dieſe Einſchränkung wieder im Verhältniß der epiſchen zur dramatiſchen
Form: ein Drama in Erzählung umſetzen heißt das Reifere in das Un-
reifere decomponiren. Es bleiben aber viele Möglichkeiten fruchtbarer
gegenſeitiger Benützung übrig. Ueberſehen wir die Reihe noch einmal,
ſo bietet die eriſche Poeſie der bildenden Kunſt eine reiche, ſchon in
Griechenland (Zeus des Phidias) vielbenützte Fundgrube und keines-
wegs nur ſo, daß der Bildhauer und Maler vom Dichter angeregt würde,
denſelben Stoff zu bearbeiten, alſo namentlich aus derſelben Sage zu
ſchöpfen, ſondern fertige Bilder, ganze Scenen und Scenenreihen nimmt
er aus dieſem, freilich nur, um ſie im Geiſte ſeiner Kunſt umzubilden;
aber auch die dramatiſche Poeſie hat epiſche Theile und dieſe natürlich
kann die bildende Kunſt trefflich verwenden (Mord der Söhne Eduards
in Richard III). Die Muſik hat an der lyriſchen und dramatiſchen Poeſie
eine Welt von Stoff. Die Poeſie kann aus Werken der bildenden Kunſt
in beſtimmterem Sinn, als die Muſik, Motive entnehmen, ähnlich wie der
Mythus aus einzelnen Erſcheinungen (vergl. Thl. II S. 342 die Anekdote
von la cruche cassée; ſo hat man das Genrebild einer Brautwerbung
auf Helgoland zu einem Luſtſpiel umgearbeitet). Innerhalb der Gruppe
der bildenden Künſte ſtellt ſich eine Erſcheinung dar, auf welche allein
das Wort des §. „abbildend“ paßt: das Werk der Baukunſt nämlich, an
ſich ſchon am meiſten natur-artig unter allen Werken der Kunſt, nimmt
mit der Zeit noch mehr einen Naturton an und wird ſo Gegenſtand
der Malerei wie ein Bau der Natur, Berg, Baum u. ſ. w. Kein Werk
einer Kunſt kann in dieſem Sinne, nämlich im Sinne der künſtleriſchen
Abbildung eines fertigen Stoffs, Gegenſtand für eine andere Kunſt wer-
den, wie ein Bauwerk in der Architekturmalerei; die epiſche Dichtkunſt
kann Paläſte, Statuen, Gemälde ſchildern, aber ſie iſt darin viel ſchwächer,
als in den frei von ihr ſelbſt erzeugten Geſtalten, weil das Abbilden eines
feſt Gegebenen mit ihrem bewegten Charakter im Widerſpruch ſteht. In-
nerhalb der großen Zweige der Poeſie iſt die reichſte Stoffquelle eröffnet
in der epiſchen für die dramatiſche Gattung: der epiſche Stoff hat auf
höherer Stufe genau noch das Unreife, von geiſtigen Willensbeſtimmungen
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