Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
Plastik hatten und haben, zum bestimmenden zu erheben, d. h. die historische
Plaſtik hatten und haben, zum beſtimmenden zu erheben, d. h. die hiſtoriſche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0171" n="159"/> Plaſtik hatten und haben, zum beſtimmenden zu erheben, d. h. die hiſtoriſche<lb/> Behandlung von der logiſchen zu trennen. Die Losreißung der Malerei<lb/> von der Architektur und Plaſtik, mit denen ſie doch ſchlechthin als bildende<lb/> Kunſt zuſammengehört, iſt Beweis, wie die Bevorzugung des hiſtoriſchen<lb/> Standpuncts hier die Verletzung der Logik zur Folge haben muß. Will<lb/> man aber einmal hiſtoriſch eintheilen, ſo wäre die Poeſie als die im<lb/> ſtrengſten Sinn moderne Kunſt aufzuſtellen, was freilich mit dem bei<lb/> Hegel zu ſehr herrſchenden religionsphiloſophiſchen Standpuncte ſo wenig<lb/> vereinbar iſt, als überhaupt die Aufſtellung eines modernen Ideals,<lb/> denn dieſes ruht auf keiner beſondern Religionsform. Es muß alſo<lb/> jede Kunſt zuerſt allgemein behandelt, d. h. in ihrem Weſen dargeſtellt,<lb/> dann in ihre Zweige auseinandergelegt werden und als weitere Unter-<lb/> eintheilung muß die Geſchichte derſelben, wie ſie ſich gemäß der Geſchichte<lb/> des Ideals geſtaltet hat, alſo mit der Eintheilung in claſſiſch, romantiſch,<lb/> modern in ihren Grundzügen nachfolgen. Dabei iſt nun freilich unver-<lb/> meidlich, daß die logiſche Reihe in der nachfolgenden hiſtoriſchen Behandlung<lb/> vielfach alterirt wird; ſo muß z. B. in der Malerei die Landſchaft dort<lb/> als integrirender Zweig auftreten, während ſie als ſolcher in der ganzen<lb/> älteren Kunſtgeſchichte noch gar nicht exiſtirte. Dieß iſt jedoch die gerin-<lb/> gere Schwierigkeit, denn die logiſche Theilung legt ihrem Schema mit<lb/> Fug eine überſchauende Vergleichung und Verbindung des in der Geſchichte<lb/> ungleich Fortſchreitenden zu Grunde. Ungleich ſchwieriger wird die Durch-<lb/> kreuzung des Logiſchen mit dem Hiſtoriſchen durch den Zutritt der zweiten<lb/> Stoffwelt, wie er durch das geſchichtliche Verhältniß der beſondern zur<lb/> allgemeinen Phantaſie gegeben iſt: die Künſte treiben Zweige, in welchen<lb/> derſelbe Stoff, der in der Kunſt der Aufklärung einfach wunderlos in ge-<lb/> wiſſen Zweigen niedergelegt wird, eine <hi rendition="#g">mythiſche</hi> Darſtellung findet.<lb/> Dadurch entſteht dieſelbe logiſche Verwirrung wie in der Staatslehre durch<lb/> die Exiſtenz mythiſcher Stände (des Adels und Clerus) neben den rationell<lb/> auf den Unterſchied der Thätigkeit begründeten, eine Verwirrung, die<lb/> freilich in beiden Gebieten auch ſehr zur praktiſchen geworden iſt. Es<lb/> zeigen ſich nun die Folgen des in §. 418 aufgezeigten Widerſpruchs in<lb/> dem Gebiete der verwirklichten Phantaſie, der Kunſt. Theilweiſe<lb/> nämlich wird durch den mythiſchen Zweig der entſprechende wunderlos<lb/> natürliche verdrängt: ſo gibt es keine eigentlich hiſtoriſche Malerei, ſo lang<lb/> aller Geſchichtsgehalt in der heiligen Sage zuſammengezogen angeſchaut<lb/> wird: nachdem aber jene ſich gebildet, ſollte es conſequent keine Mythen-<lb/> malerei mehr geben, allein dieſe überlebt ihren Tod, dauert <hi rendition="#g">neben</hi> der<lb/> rein hiſtoriſchen Malerei fort, durch die ſie eigentlich aufgehoben iſt, und<lb/> daraus entſteht eine unvermeidliche Confuſion: das unkritiſche Bewußt-<lb/> ſein wirft beide Formen getroſt in der Kategorie Hiſtorienmalerei zu-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [159/0171]
Plaſtik hatten und haben, zum beſtimmenden zu erheben, d. h. die hiſtoriſche
Behandlung von der logiſchen zu trennen. Die Losreißung der Malerei
von der Architektur und Plaſtik, mit denen ſie doch ſchlechthin als bildende
Kunſt zuſammengehört, iſt Beweis, wie die Bevorzugung des hiſtoriſchen
Standpuncts hier die Verletzung der Logik zur Folge haben muß. Will
man aber einmal hiſtoriſch eintheilen, ſo wäre die Poeſie als die im
ſtrengſten Sinn moderne Kunſt aufzuſtellen, was freilich mit dem bei
Hegel zu ſehr herrſchenden religionsphiloſophiſchen Standpuncte ſo wenig
vereinbar iſt, als überhaupt die Aufſtellung eines modernen Ideals,
denn dieſes ruht auf keiner beſondern Religionsform. Es muß alſo
jede Kunſt zuerſt allgemein behandelt, d. h. in ihrem Weſen dargeſtellt,
dann in ihre Zweige auseinandergelegt werden und als weitere Unter-
eintheilung muß die Geſchichte derſelben, wie ſie ſich gemäß der Geſchichte
des Ideals geſtaltet hat, alſo mit der Eintheilung in claſſiſch, romantiſch,
modern in ihren Grundzügen nachfolgen. Dabei iſt nun freilich unver-
meidlich, daß die logiſche Reihe in der nachfolgenden hiſtoriſchen Behandlung
vielfach alterirt wird; ſo muß z. B. in der Malerei die Landſchaft dort
als integrirender Zweig auftreten, während ſie als ſolcher in der ganzen
älteren Kunſtgeſchichte noch gar nicht exiſtirte. Dieß iſt jedoch die gerin-
gere Schwierigkeit, denn die logiſche Theilung legt ihrem Schema mit
Fug eine überſchauende Vergleichung und Verbindung des in der Geſchichte
ungleich Fortſchreitenden zu Grunde. Ungleich ſchwieriger wird die Durch-
kreuzung des Logiſchen mit dem Hiſtoriſchen durch den Zutritt der zweiten
Stoffwelt, wie er durch das geſchichtliche Verhältniß der beſondern zur
allgemeinen Phantaſie gegeben iſt: die Künſte treiben Zweige, in welchen
derſelbe Stoff, der in der Kunſt der Aufklärung einfach wunderlos in ge-
wiſſen Zweigen niedergelegt wird, eine mythiſche Darſtellung findet.
Dadurch entſteht dieſelbe logiſche Verwirrung wie in der Staatslehre durch
die Exiſtenz mythiſcher Stände (des Adels und Clerus) neben den rationell
auf den Unterſchied der Thätigkeit begründeten, eine Verwirrung, die
freilich in beiden Gebieten auch ſehr zur praktiſchen geworden iſt. Es
zeigen ſich nun die Folgen des in §. 418 aufgezeigten Widerſpruchs in
dem Gebiete der verwirklichten Phantaſie, der Kunſt. Theilweiſe
nämlich wird durch den mythiſchen Zweig der entſprechende wunderlos
natürliche verdrängt: ſo gibt es keine eigentlich hiſtoriſche Malerei, ſo lang
aller Geſchichtsgehalt in der heiligen Sage zuſammengezogen angeſchaut
wird: nachdem aber jene ſich gebildet, ſollte es conſequent keine Mythen-
malerei mehr geben, allein dieſe überlebt ihren Tod, dauert neben der
rein hiſtoriſchen Malerei fort, durch die ſie eigentlich aufgehoben iſt, und
daraus entſteht eine unvermeidliche Confuſion: das unkritiſche Bewußt-
ſein wirft beide Formen getroſt in der Kategorie Hiſtorienmalerei zu-
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